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Katja[a]

23. März 2006

Konventionelle Krebstherapie infrage gestellt

Wiener Forscher fanden Schlüsselgen für Tumorentstehung bei Fliegen - auch bei Menschen möglich

Nur wenige Menschen haben eine so starke Affinität zu Insekten wie Forscher am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Dort arbeiten nämlich die Herren der Fruchtfliegen. Einer von ihnen ist Jürgen Knoblich, der nun die konventionelle Krebstherapie in Frage stellt.

Der aus Deutschland stammender Biochemiker, der die Drosohila während seiner Forschungsaufenthalte in London und San Franzisko lieben gelernt hatte, brachte wie viele seiner aus dem Ausland nach Wien gekommenen Forscherkollegen seine Fliegen mit ans Institut, wo sie als wissenschaftlich ausschlachtbare Haustierchen gezüchtet werden. Zurecht, wie Knoblichs jüngste Arbeit über die Ursachen der Tumorentstehung belegt, die am Freitag im renommierten Fachmagazin "Cell" erscheint - und wohl weltweites Aufsehen erregen wird.

"Brat"

Er hat nämlich gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Jörg Betschinger anhand genetischer Studien am Hirn der Drosophila gezeigt, dass zumindest bei der Fruchtfliege das Fehlen nur eines einzigen Gens, "Brat" genannt, für die Entstehung eines Tumors verantwortlich ist.

Freilich ist noch nicht sicher, ob das auch beim Menschen zutrifft - der hat aber immerhin ein ähnliches Gen. Und sollten sich Knoblichs Versuche tatsächlich auf den Menschen übertragen lassen, könnte dies zu einem neuen Ansatz in der Krebsbehandlung führen. Wieso, erklärt der Fliegenforscher am Beispiel von Ameisen: "Wenn Sie eine Invasion dieser Insekten bekämpfen wollen, nutzt es herzlich wenig, jede einzelne Ameise zu jagen, die Sie sehen. Sie müssen schon die Ameisenkönigin erwischen." Und genau diese Königin - sinnbildlich auf die Ausbreitung von Tumoren umgelegt - will Knoblich nun identifiziert haben: die Stammzelle, der eben das "Brat"-Gen fehlt.

Verschiedene Töchter

In allen Organen und Geweben des Körpers sind Stammzellen. Normalerweise teilt sich so eine Stammzelle permanent in zwei unterschiedliche Tochterzellen: Eine davon spezialisiert sich und übernimmt gewebespezifische Aufgaben - wird also zu einer Leber-, Haut- oder Hirnzelle. Die andere Tochterzelle jedoch behält ihren undifferenzierten, also entwicklungsfähigen Charakter und sorgt als Stammzelle weiterhin für geregelten Zellnachschub. Diese Balance wird von Wachstumsfaktoren kontrolliert.

Einer der wichtigsten dieser Faktoren ist "Brat": Dieses Gen wird bei Teilung einer Stammzelle nämlich asymmetrisch nur an eine der beiden Tochterzellen weiter gegeben: an die gewebespezifische. Dort verhindert es weiteres Wachstum, während die andere Zelltochter, der "Brat" vorenthalten wird und die deshalb ihren Stammzellcharakter behält, sich weiterhin teilt.

"Tumorstammzelle"

Fehlt jedoch in der Mutterzelle das "Brat"-Gen, so kann es auch nicht an die gewebespezifische Tochterzelle weitergegeben werden, dieser fehlt dann quasi die Wachstumsbremse - sie beginnt sich unkontrolliert zu teilen, Krebs entsteht. Ausgangspunkt einer jeden bösartigen Wucherung könnte somit eine "Tumorstammzelle" mit fehlendem "Brat"-Gen sein. Bei Fliegenhirnen beobachteten Knoblich und Betschinger jedenfalls, dass aus einer solchen ein tödlicher Hirntumor wird.

Die Wiener Erkenntnisse kommen zur rechten Zeit: Seit etwa einem Jahr mehren sich nach internationalen Studien die Hinweise auf eine derartige Tumorentstehung nicht nur bei Fliegen sondern eben auch beim Menschen.

Solche "Tumorstammzellen" stellten dann auch konventionelle Krebstherapien in Frage, die vor allem jene Zellen zerstören, die sich rasch teilen. Stammzellen hingegen teilen sich langsam und entgehen deshalb einer solchen Behandlung. Dies könnte die hohe Rückfallquote bei machen Krebsformen erklären.
(Andreas Feiertag, DER STANDARD, Print, 24.3.2006)

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