www.hirntumorhilfe.de
Herzlich willkommen im Forum der Deutschen Hirntumorhilfe!

Thema: Presse: Krebs ist bei Kindern oft heilbar

Presse: Krebs ist bei Kindern oft heilbar
Katja[a]
12.10.2005 20:30:48
12. Oktober 2005, Neue Zürcher Zeitung

Krebs ist bei Kindern oft heilbar
Internationale Studien zur Optimierung der Behandlung

Obwohl die gleichen Therapiemethoden eingesetzt werden, ist die Krebsbehandlung bei Kindern erfolgreicher als bei Erwachsenen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die langjährige und enge Zusammenarbeit zwischen den Behandlungszentren auf der ganzen Welt. Für das einzelne Kind bleibt die Behandlung dennoch äusserst belastend.

Krebs bei Kindern löst bei vielen Emotionen aus: Warum muss ein Kind an einer solchen Krankheit leiden und vielleicht sogar daran sterben, obwohl es noch kaum Zeit zum Leben hatte? Solche und ähnliche Fragen werden oft gestellt, ohne dass befriedigende Antworten möglich wären. In der Schweiz erkrankt eines von 250 Kindern innerhalb der ersten 15 Lebensjahre an Krebs. 35 Prozent der kindlichen Tumoren sind Leukämien, 21 Prozent Hirntumoren, der Rest verteilt sich auf Krebserkrankungen der Lymphknoten, der Nieren, der Muskeln, der Knochen und auf weitere seltene Tumorleiden.

Heilung - aber zu welchem Preis?
Über 70 Prozent der krebskranken Kinder können heute geheilt werden. Das ist im Vergleich zu den Ergebnissen der Erwachsenen-Onkologie ein hoher Anteil. Der Preis dafür ist allerdings auch hoch. Jeder Kinderarzt - und sei er noch so einfühlsam und geschickt im Umgang mit seinen Patienten - kennt das Bild des verängstigten Kleinkinds, das nicht weiss, was mit ihm geschieht. So wird etwa ein Patient mit einem Nephroblastom, dem typischen Nierentumor im Kleinkindesalter, zunächst mit einer unterstützenden Chemotherapie behandelt. Diese soll den Tumor verkleinern. Dann folgt eine Operation, in der die kranke Niere entfernt wird. Bei bestimmten Subtypen dieses Tumors muss eine Strahlenbehandlung angeschlossen werden. In den meisten Fällen braucht es nach der Operation zusätzlich eine Chemotherapie. Diese dauert zwischen 10 und 40 Wochen. Ist der Tumor vor der Behandlung bereits aufgebrochen und hat seinen Inhalt in die Bauchhöhle entleert, muss eine Bestrahlung des ganzen Bauchbereichs durchgeführt werden. Bei Lungenmetastasen, die chemotherapeutisch oder operativ nicht entfernt werden können, ist zudem eine Bestrahlung der Lunge nötig.

Wie aber übersteht ein Kind einen solchen Leidensweg? Die Ärzte und das Pflegepersonal von kinderonkologischen Behandlungszentren sind sich der enormen Belastung von Kind und Eltern bewusst. Ihre Bemühungen um Linderung werden in der Regel durch weitere Fachleute unterstützt. Am Kinderspital Luzern etwa ist eine Psychologin ausschliesslich mit der Betreuung von krebskranken Kindern und ihren Eltern beschäftigt. Und am Universitätskinderspital Zürich haben Michael Grotzer, Leitender Arzt für Neuro-Onkologie, und die Grafikerin Anna Sommer ein Buch gestaltet, das Kindern mit Hirntumoren hilft, ihre Situation besser zu verstehen und zu verarbeiten. Solche Bemühungen sind stets Teil eines ganzen Netzwerks von stützenden Massnahmen aus dem psychosozialen Bereich.

Trotz allem bleibt die Belastung für die Kinder gross. Andererseits beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind mit Nephroblastom nach fünf Jahren noch lebt, heute 90 Prozent, was meist eine definitive Heilung bedeutet. In den 1940er Jahren war ein Kind mit Sicherheit einige Monate nach Diagnosestellung tot.

Krebs bei Kindern wird häufiger
Während die Sterblichkeit beim Kinderkrebs zwischen 1973 und 1996 um annähernd die Hälfte gesunken ist und auch heute noch um fast 3 Prozent pro Jahr abnimmt, steigt gleichzeitig die Häufigkeit kindlicher Tumorerkrankungen seit 1970 jährlich um etwa 1 Prozent. Bei Jugendlichen beträgt die Rate sogar 1,5 Prozent. Sorgfältige Untersuchungen zeigen, dass es sich dabei um einen tatsächlichen Anstieg und nicht um eine Verfälschung durch verbesserte Registrierung und Diagnosemöglichkeiten handelt.

Die Ursachen für diesen Anstieg sind noch unbekannt. Immer wieder wurden Kernkraftwerke und Elektrosmog aller Art dafür verantwortlich gemacht. Für eine solche Behauptung fehlen aber wissenschaftliche Erklärungen und ein epidemiologischer Nachweis. Für das Jahr 2006 ist in der Schweiz und in Skandinavien eine grosse Studie geplant, die erforschen soll, ob bei Adoleszenten und jungen Erwachsenen ein Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Mobiltelefonen und der Krebshäufigkeit existiert.

Man darf von solchen Studien aber keine völlig neuen Erkenntnisse erwarten. Fachleute gehen nämlich davon aus, dass Lifestyle-Faktoren in höchstens 5 Prozent der kindlichen Krebserkrankungen eine Rolle spielen. Dies im Unterschied zur Situation bei Erwachsenen, bei denen bis zu 60 Prozent der Krebserkrankungen mit der Lebensweise - erwähnt seien das Rauchen, die Ernährungsgewohnheiten und die UV-Bestrahlung - zusammenhängen dürften. Häufig ist ein kindlicher Krebs schon vor der Geburt angelegt. Das Kind trägt also Zellen mit krankem Erbgut in sich, die eine Krebserkrankung wahrscheinlich machen. Viele dieser genetischen Veränderungen sind inzwischen bekannt. Oft sind sie nicht ererbt, sondern das Produkt spontaner Mutationen.

Solche vorgeburtlichen Mutationen genügen jedoch häufig nicht, um einen Krebs auszulösen. Eine gängige Hypothese zur Leukämie-Entstehung etwa besagt, dass das Immunsystem nach einer ersten Mutation während der Embryonalentwicklung ein zweites Mal «aus der Bahn geworfen» werden muss. Das kann durch einen Krankheitserreger geschehen, der normalerweise harmlos ist, nun aber eine gestörte Immunantwort auslöst, die schliesslich zur Leukämie führt.

Ständige Evaluation der Therapien
Während die Ursachen für die Zunahme des Kinderkrebses noch im Dunkeln liegen, sind die Gründe für den beachtlichen Erfolg der Kinder- Onkologie weitgehend bekannt. Schon in den 1970er Jahren erkannten die Fachleute dieser Disziplin, dass sie ohne spital- und länderübergreifende Zusammenarbeit keine Chance auf Erfolg haben würden - zu selten sind kindliche Krebserkrankungen insgesamt, und zu gross ist der Aufwand für einzelne Spitäler, wirksame Therapien zu entwickeln. Daher wurden schon früh und konsequent grosse therapeutische Studien zur Optimierung der Behandlung etabliert.

Solche Therapie-Optimierungs-Studien dienen zwei Aufgaben: Einerseits steuern sie den Ablauf der Behandlung beim einzelnen Kind; andererseits werden damit Forschungsfragen bearbeitet. Die Verzahnung von Therapie und Forschung ermöglicht eine stetige Evolution der Behandlungsstrategie. Dabei geht es nicht um das Überleben um jeden Preis. Ein wichtiger Aspekt der kinderonkologischen Forschung besteht darin, verschiedene Risikogruppen zu identifizieren, um massgeschneiderte Therapiepläne für jeden einzelnen Patienten zu schaffen. Damit soll die Gratwanderung zwischen Therapieerfolg, Nebenwirkungen und langfristiger Lebensqualität besser gelingen.

Doch auch die beste Therapieplanung und -organisation ist auf technische Neuerungen angewiesen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte des Medulloblastoms (spezieller Hirntumor). Obwohl dieser Krebs schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts operiert und später auch bestrahlt wurde, hatten betroffene Kinder bis in die dreissiger Jahre keine Überlebenschance. Erst die Einführung der vollständigen Bestrahlung von Gehirn und Rückenmark (kraniospinale Radiotherapie) in den folgenden Jahren zeigte erste Erfolge. In den siebziger Jahren wurde die ergänzende Chemotherapie eingeführt und kontinuierlich verbessert. Mittlerweile liegt die Fünf- Jahres-Überlebensrate bei dieser Krebsart bei 60 bis 70 Prozent. Eine neue, vielversprechende Therapiemethode für diesen Tumor ist die Bestrahlung mittels Protonen, wie sie auch am Paul- Scherrer-Institut in Villigen durchgeführt wird. Wenn sie sich bewährt, könnte sie laut Fachleuten allmählich die konventionelle kraniospinale Bestrahlung ersetzen.

Molekularbiologische Typisierung
In der Regel gibt es für eine Krankheit mehrere Therapie-Optimierungs-Studien. Für das einzelne Kind macht es wenig Unterschied, in welche Studie es eingeschlossen wird. Es spürt nur, dass es einem strengen Diagnose- und Therapie-Regime unterworfen wird, das einem auf den Tag genau festgelegten Protokoll folgt. Dabei ist jede Studie in verschiedene Therapie-Arme aufgeteilt, die den einzelnen Risikogruppen entsprechen. Der Entscheid, in welchen Arm ein Kind eingeteilt wird, hängt massgeblich vom Gewebetyp und dem Stadium der Krankheit ab. Bei Leukämien etwa ist die Beurteilung des Knochenmarks entscheidend. Die molekularbiologische Diagnostik kann heute eine sehr differenzierte Typisierung liefern, die mit unterschiedlichen Prognosen und Therapie-Ansprechraten verknüpft sind.

Dass bei dem vorgeschriebenen Rhythmus von Therapie und Erholung alles nach Plan läuft, ist eher unwahrscheinlich. Zu viele Komplikationen und Nebenwirkungen lauern am Rand des Therapiepfads. Kinder vertragen zwar Zytostatika in der Regel besser als Erwachsene, und sie erholen sich auch schneller. Aber Nebenwirkungen wie Übelkeit, Haarausfall und Blutarmut machen auch ihnen zu schaffen. Zudem legt die chemotherapeutische Attacke auch das Immunsystem lahm, wodurch das Kind anfällig für Infektionen wird. Während ein Pilzbefall der Mundschleimhaut harmlos ist, können bakterielle Infekte zu lebensgefährlichen Blutvergiftungen führen.

Auch das Ansprechen des Tumors auf die Therapie ist nicht garantiert. Sind etwa bei einer Leukämie nach der ersten Therapiephase immer noch Tumorzellen im Knochenmark nachweisbar, muss das Kind in eine höhere Risikogruppe eingeteilt werden, was eine aggressivere Therapie zur Folge hat. Es ist die Aufgabe des Behandlungsteams, solche schwierigen Entscheide zu fällen und in Absprache mit der Studienleitung den zeitlichen Fahrplan der Behandlung anzupassen. Inzwischen liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei den häufigsten Leukämieformen im Kindesalter bei über 80 Prozent.

Das Leben nach dem Krebs
Die hohen Heilungsraten führen dazu, dass immer mehr Kinder mit Krebs das Erwachsenenalter erreichen. Laut Schätzungen wird 2010 jeder 250. junge Erwachsene zwischen 15 und 45 Jahren ein Überlebender eines im Kindesalter aufgetretenen Krebses sein. Damit stellt sich die Frage nach der langfristigen Lebensqualität der jungen Patienten. Während Kinder, die von einer Leukämie geheilt wurden, in der Regel mit einer guten Lebensqualität rechnen können, ist die Prognose bei anderen Tumoren deutlich schlechter. Bei einem Medulloblastom etwa muss mit schweren bleibenden Schäden wie Wachstumsstörungen, Übergewicht, Unterfunktion der Schilddrüse und kognitiven Beeinträchtigungen gerechnet werden.

Vor allem Tumoren, deren Therapie eine Bestrahlung des Zentralnervensystems nötig macht, zeigen oft gravierende Langzeitfolgen. Diese schlagen sich auch in der Lebensqualität der Patienten und ihrer Eltern nieder. So gaben Überlebende von bestimmten Hirntumoren in einer 2004 veröffentlichten Befragung des Universitätsspitals Zürich durchwegs tiefere Werte an als gesunde Gleichaltrige. Interessanterweise schätzten die Eltern die Lebensqualität ihrer Kinder noch tiefer ein als die Krebs-Überlebenden selbst. Solche Ergebnisse zeigen, dass sich mit der Langzeitbetreuung ehemaliger Krebskinder ein neues Feld eröffnet, auf dem es noch viel zu tun gibt.

Albert Zeyer

Literatur: Schweizerische Zeitschrift für Onkologie 2 (2005); Anna Sommer, Michael Grotzer: Eugen und der freche Wicht. Edition Moderne. Zürich 2003. 72 S., Fr. 36.-.
Katja[a]
NACH OBEN