Marion[a]
Krebszellen lahm legen
Versuche mit künstlichem Erbgut, Gene von Krebszellen zu blockieren. Mehrere vielversprechende Versuche in Wien und Jerusalem.
JERUSALEM, WIEN (SN, APA). 20. August 2002
Das Konzept klingt ausgesprochen überzeugend: Wissenschafter der Hebrew University in Jerusalem haben erstmals mit so genannten Antisense-Molekülen per molekularbiologischem "Scharfschuss" ausschließ-lich bösartige Zellen anvisiert und bis hin zu Versuchen an Mäusen bei der Bekämpfung von Gehirntumoren Erfolg gehabt.
Alexander Levitzky und seine Co-Autoren von der Abteilung für Biologische Chemie berichten über ihre Forschungsarbeit in der September-Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature Biotechnology". Der Hintergrund: Mit künstlich hergestellten Antisense-Erbgut-Strängen (RNA - Ribonukleinsäure) versuchen Wissenschafter schon seit Jahren ganz gezielt, Gene von Krebszellen zu blockieren.
Ein Beispiel: An der Wiener Universitäts-Hautklinik wurde eine solche Therapie für Melanom-Patienten entwickelt. Dabei wird mit einem Antisense-Molekül das "Unsterblichkeitsgen" BCL-2 der Melanomzellen abgeschaltet. Das erfolgt, indem man ein einsträngiges Gegenstück zu dem für die Zelle wichtigsten Genabschnitt herstellt und verabreicht. Dieses Gegenstück klebt sich fest an den natürlicherweise entstehenden RNA-Strang und verhindert dadurch die Funktion des Gens.
Bei den Arbeiten mit BCL2-Antisense-Molekülen in Wien zeigte sich, dass Melanomzellen wieder für die Chemotherapeutika angreifbar wurden. Die Tests an Patienten laufen noch.
Doch solche Antisense-Moleküle (einsträngige RNA-Erbgut-Bestandteile) haben auch ein potenziell hohes Nebenwirkungsrisiko. Der Grund dafür liegt darin, dass die blockierten Gene nicht nur in kranken Zellen vorhanden sein müssen.
Levitzky und seine Kollegen haben deshalb Antisense-RNA-Moleküle entwickelt, die speziell für Krebszellen gebaut sind. Viele bösartige Zellen weisen Mutationen bzw. Auslassungen in ihrem Erbgut auf. Das ist aber ein Charakteristikum, das bei gesunden Zellen fehlt. Deshalb eignet es sich als Ziel für spezifische Therapien, die keine oder möglichst geringe Nebenwirkungen haben.
Die israelischen Wissenschafter waren erfolgreich. Mit dem Antisense-Molekül konnten sie in aggressiven Gehirntumoren das Enzym PKR aktivieren, das normalerweise bösartige Zellen in den Selbstmord (Apoptose) treibt. Das Ergebnis: In Laborversuchen wurden die Krebszellen abgetötet. Bei Labormäusen stellten Gehirntumoren das Wachstum ein. Der größte Vorteil aber: Gutartige Zellen wurden nicht geschädigt.
© SN