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Thema: Presse: Man darf nicht alles Negative damit verbinden

Presse: Man darf nicht alles Negative damit verbinden
Tom[a]
17.10.2001 10:39:17
Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 16.10.2001

"Man darf nicht alles Negative mit der Krankheit verbinden´´
Interview mit dem Stürmer Heiko Herrlich über die Angst, dass der Krebs zurückkommt, seine Zukunft bei Borussia Dortmund und den Glauben an Gott

Am 9. November ist es ein Jahr her, dass Heiko Herrlich die niederschmetternde Diagnose erhielt: Gehirntumor. Die Karriere des 30 Jahre alten Stürmers von Borussia Dortmund schien beendet. Nach einer erfolgreichen Strahlentherapie in Heidelberg gilt er heute als geheilt. Zwei seiner 245 Bundesligaspiele hat er nach seiner Krankheit bestritten. "Aber das hatte mehr symbolischen Charakter´´, sagt er vor dem Champions-League-Spiel heute Abend gegen Boavista Porto im Gespräch mit Marcus Bark.

Heiko Herrlich, wann waren Sie sicher, dass Sie Ihre Krankheit überleben werden?

Das ist schwer zu sagen. Am Anfang war das so, dass ich mir gesagt habe: und wenn du blind bist, das bietet auch eine Perspektive. Hauptsache, du lebst.

Haben Sie Angst, dass der Krebs zurückkommt?

Nach der Bestrahlung, als der Tumor dann weg war, habe ich immer, wenn es gezwickt hat, gedacht, jetzt habe ich wieder irgendetwas. Ich war da wie ein Psycho. Manchmal ist das auch heute noch so, aber es wird immer weniger.

Beim vergangenen Auswärtsspiel haben die Fans des FC St. Pauli Sie sogar beim Auslaufen gefeiert.

Die Sympathiewelle, die mir auch in fremden Stadien entgegenschlägt, freut mich ein bisschen. Aber ich würde das gerne an die Leute weitergeben, die für die Heilung verantwortlich sind, wie Professor Volker Sturm von der Uniklinik Köln oder Professor Michael Wannenmacher (Uniklinik Heidelberg, d. Red.).

Wann wussten Sie erstmals, dass Sie wieder Fußball spielen würden?

Als die Ärzte noch gar nicht wussten, welche Art Tumor das ist, aber mir schon Hoffnung gemacht haben. Da habe ich mir gesagt: Okay, warum sollst du nicht wieder Fußball spielen, das war immer mein Traum. Jetzt spürt man noch mehr, was für eine Gnade man hatte, sein Hobby zum Beruf zu machen.

Ihr erstes Spiel nach der Krankheit haben Sie auf Schalke bestritten, fünf Tage nach den Terroranschlägen in den USA. Wie stehen Sie dazu?

Das Champions-League-Spiel bei Dynamo Kiew am Abend des Anschlags war Blödsinn. Danach musste man aber zeigen, dass es weitergeht.

Wenn Sie heute gegen Boavista Porto spielen, werden vielleicht gerade Bomben auf Afghanistan fallen.

Ich bin zwar nicht für das Bomben, aber die Amerikaner haben lange genug gewartet. Sie zielen auf militärische Anlagen und wollen die Zivilisten möglichst schonen. Da gibt es jetzt keinen Grund, nicht zu spielen. Vor vier, fünf Jahren, als in Somalia die Menschen starben, hat auch keiner gefragt, ob das in Ordnung ist.

Kürzlich stand im "Spiegel´´, dass Sie 1995 bei Ihrem Wechsel von Mönchengladbach zu Borussia Dortmund das Bild des geldgierigen Profis mitgeprägt haben. Sie pochten damals auf eine mündliche Zusage, die Gladbachs ehemaliger Manager Rolf Rüssmann nicht gegeben haben will. Stört Sie dieses Bild?

Also, erst einmal: ich möchte aus der Situation keinen Nutzen ziehen. Warum habe ich jetzt so eine Glaubwürdigkeit und vor sechs Jahren nicht? Nur weil ich krank war? Heute wollen mich alle sprechen. Damals hat keiner vom "Spiegel´´ angerufen und gefragt, wie es wirklich ist.

Was bedeutet heute eine vergebene Torchance für Sie?

Man darf nicht alles, was negativ ist, in Verbindung mit seiner Krankheit bringen. Man darf das nicht einfach abtun: Ja gut, ich habe eine Torchance vergeben, aber ich bin froh, dass ich lebe.

Trainer Matthias Sammer hat kürzlich gesagt, er sei überzeugt davon, dass Sie noch ein wichtiges Tor schießen. Träumen Sie schon davon?

Ich war bis zu meiner Krankheit auf einem guten Weg. Ich hatte meine beste Form, meine beste Fitness, habe zehn Tore in zwölf Spielen erzielt, ich hatte auf die Nationalmannschaft gehofft. Dann ging es von heute auf morgen nur noch ums Überleben. Wenn ich heute nicht wieder den Traum hätte, Stammspieler zu werden, könnte ich aufhören. Das ist bei mir nicht anders als bei einem Sechsjährigen, der Weltmeister werden will.

Ihr Vertrag endet im Sommer 2002. Wie sieht Ihre sportliche Zukunft aus?

Ich habe jetzt zwei Mal gespielt, aber ich weiß, dass das mehr symbolischen Charakter hatte. Der Verein hat signalisiert, weiter mit mir zu planen. Ich weiß, dass der Klub damals nur dran gedacht hat, mich am Leben zu halten. Ich möchte alles dafür tun, um Borussia Dortmund das zurückzugeben. Aber ich brauche Geduld.

Heiko Herrlich, vor einem Jahr hatten Sie noch keine Ahnung von Ihrer Krankheit. Jetzt spielen Sie wieder Fußball. Was ist das für ein Gefühl?

Ein komisches. An manchen Tagen denke ich nur: Danke schön, lieber Gott, dass ich lebe.

Sie galten schon immer als gläubig. Wie sehr hat Ihnen das geholfen?

Ich bin mit der ganzen Geschichte jetzt glücklicher als zuvor. Ich habe viele neue Seiten kennen gelernt. Jeden Tag lebe ich bewusster, und ich freue mich mehr über Kleinigkeiten. Dadurch bin ich noch mehr zum Glauben gekommen, weil ich mich so getragen gefühlt habe. Gerade in der Anfangszeit, als man mir gesagt hat, es sieht nicht so gut aus, als ich eigentlich hätte niedergeschlagen sein müssen, hatte ich totales Gottvertrauen und einen inneren Frieden, den ich noch nie zuvor hatte.
Tom[a]
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