Tanja[a]
Menschen wachgerüttelt, Prozess verloren
Weser Kurier vom 16.11.01
Vollersodes Bürgerinitiative gegen den Mannesmann-Mobilfunk-Mast löst sich auf
Von unserem Redakteur
Michael Wilke
Vollersode. Der Kampf gegen Mannesmanns Mobilfunk-Mast ist verloren, der Prozess auch. Seit fünf Jahren steht der schlanke Turm einen Steinwurf entfernt von der Raketenstellung der Bundeswehr in Vollersode. Er wird stehen bleiben und weiter senden, damit Handy-Telefonate nicht im Funkloch enden. Die Vollersoder Bürgerinitiative, gegründet 1994 zur Verhinderung des Mannesmann-Turms, hat sich aufgelöst.
Das von Bürgern gespendete Geld, das nach dem verlorenen Prozess übrig blieb, hat das Häuflein der Funkturm-Gegner in zwei rote Briefumschläge gesteckt. Einen bekommt die Grundschule in Wallhöfen, einen der Wallhöfener Kindergarten: je 1000 Mark. "Wir geben den Bürgern auf diese Weise das Geld zurück.", erklärt Berthold Dunkel. Er war so etwas wie der Sprecher der Initiative. "Leider steht der Mannesmann-Turm noch. Doch Gott sei Dank arbeitet die Radaranlage kaum noch. Zum Glück gibt es keine neuen Tumorfälle."
Da im Moment nichts zu machen ist, löst sich die Initiative auf. "Wir schließen nicht aus, dass sie sich neu formiert.", sagt Dunkel. Das könnte passieren, wenn Mobilfunk-Betreiber im Dorf Antennen auf Dächer setzen wollen. Vollersodes Gemeinderat soll Mindestabstände beschließen, sagen Dunkel und die anderen: 500 Meter zwischen Funkantennen und Wohnhäusern.
Eines steht fest: In Vollersode war die Zahl der Hirntumor-Opfer drei- bis viermal so hoch wie der Bundesdurchschnitt. Von 1981 bis 94 starben in der 3000-Einwohner-Gemeinde 13 Menschen an Hirntumoren. Die auffallende Häufung beschäftigte Expertenrunden mit Strahlenphysikern.
"Vollersode war auch Thema bei einer Physiker-Konferenz in Brüssel.", sagt Dr. Egbert Kutz. "Alle sagen, dass es was mit der Strahlung zu tun hat. Aber keiner kann's beweisen." Der Allgemeinmediziner hat die Häufung der Krebsfälle festgestellt. Der Schwerpunkt lag in den Siedlungen zwischen der Raketenstellung und dem großen Telekom-Funkturm in Wallhöfen. Drei Jahre forschten das Landesamt für Ökologie und das Landesgesundheitsamt - und fanden nichts, keinen Beleg für die Vermutung, dass elektromagnetische Strahlung die Tumore ausgelöst hat. Den Kampf gegen den Mannesmann-Mast hat die Initiative verloren. Trotzdem glaubt Dr. Kutz, der Vollersoder Arzt, dass ihre 10 bis 20 Mitstreiter mehr erreicht haben, "als wir erhoffen konnten." Menschen und Behörden reagieren sensibler auf Strahlenrisiken. Dass das Bundesamt für Verbraucherschutz heute vor häufiger Handynutzung warnt, sei früher undenkbar gewesen, sagt Kutz. Warnungen vor Krebsrisiken für Soldaten in Radarstellungen seien nicht
ernst genommen worden. Heute gebe es die Krebsfälle ehemaliger Soldaten. Zum Bewusstseinswandel habe die Initiative beigetragen, glaubt Marion Tietjen. "Wir haben die Menschen wachgerüttelt."