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Stefan[a]

Lebensrettende Millimeterarbeit: Drei Wege zum Hirntumor

Ein nussgroßer Tumor steckt mitten im Kopf des neunjährigen Jungen. Der kleine Patient sitzt im OP - unter Vollnarkose. In seinem Bett im Vorraum liegt ein Teddy. Der Tumor liegt an der Epiphyse, der so genannten Zirbeldrüse mitten im Gehirn des Kindes. Er muss entfernt werden.

Wesentlich größer, aber nicht so tief im Kopf versteckt, ist die Wucherung, die bereits von außen als Wölbung am Kopf eines erwachsenen Patienten zu erkennen ist. "Vermutlich ein Meningeom", sagt Dr. Marc Halatsch. Der Tumor liegt oberhalb der Stirn und dicht unter der Schädeldecke. Ob die Tumore gutartig sind oder nicht, das wissen die Mediziner mit Gewissheit erst nach der Gewebeanalyse der Pathologen.

Es klingt wie beim Zahnarzt und riecht seltsam als Dr. Panagiotis Nomikas die freigelegte Schädeldecke des Kindes aufbohrt. Damit der Hinterkopf für die Mediziner gut zugänglich ist, wird der kleine Patient im Sitzen gelagert, der Kopf wird millimetergenau fixiert. Für die Anästhesistin heißt das besondere Aufmerksamkeit. Wenn der Kopf geöffnet wird, besteht Gefahr, dass Luft in den Körper strömt, eine Embolie droht.

Nomikas hat den Knochen herausgefräst und die harte Hirnhaut geöffnet. Ein etwa sieben Zentimeter großes Loch am Hinterkopf des Jungen gibt den Blick ins Innere des menschlichen Schädels frei. Seit Beginn der OP sind gut zweieinhalb Stunden vergangen. Die beiden OP-Schwestern Iris Kropp und Anette Marx sowie Assistenzärztin Beatrice Peters stehen weiter am Tisch. Dazu kommt Prof. Michael Buchfelder, Leiter der Abteilung Neurochirurgie.

Der Tumor liegt mitten im Schädel, umgeben von Kleinhirn, Stammhirn und der Vier-Hügel-Platte, die unter anderem für das Sehvermögen verantwortlich ist. Zudem laufen lebenswichtige Gefäße millimeternah am Tumor entlang. Vorsichtig öffnet Buchfelder die Arachnoida, die innere Hirnhaut. Er entfernt Millimeter für Millimeter Gewebe, kleinere Blutungen werden sofort mit einer kleinen elektrischen Zange - dem so genannten Bipolar - gestoppt. Dann ist er zu sehen: Graugelb und glatt ist der Tumor. Eingewachsen in das Hirnparenchym. Er muss frei präpariert werden.

Was passiert, wenn das Gefäß, das millimeterdicht neben dem Tumor entlang läuft verletzt wird? "Dann haben wir ein Problem. Das überlebt man normalerweise nicht", sagt Nomikas, während Buchfelder Präzisionsarbeit leistet. Dazu nutzt er eine Art Rolls Royce unter den Mirkroskopen: Ein metergroßes Instrument, mit dem der dreidimensionale Blick ins Hirn und auf den Tumor in der Tiefe möglich wird.

Etwa sechs Stunden dauert es, bis der Tumor in kleinen Stückchen aus dem Kopf entfernt ist. Teilchenweise wird er durch den engen Raum zwischen Stamm- und Kleinhirn, vorbei an den lebenswichtigen Gefäßen, herausgeholt. Das Stück Schädelplatte wird ihm nach der OP wieder eingesetzt.

Der Neunjährige hat die OP gut überstanden. Die histologische Untersuchung hat ergeben, dass der Tumor ein Keimzelltumor ist. "Das ist heilbar", erklärt Buchfelder. Nach einer Bestrahlung wird der kleine Patient wieder gesund sein.

Um den Riesentumor des Rentners zu entfernen, nutzen die Neurochirurgen das digitale Neuronavigationssystem. Auf Grundlage der Kernspin-Röntgenbilder wird der Tumor genau vermessen. Der Kopf des Patienten ist fixiert, Physiker Dr. Volker Bockermann arbeitet am Computer die genauen Umrisse des Tumors nach. "68 Kubikzentimeter ist das Gewächs groß", sagt er. Mittels eines Pointers, eines mobilen Messstabes, wird die genaue Lage im Kopf per Infrarotstrahlung an eine Kamera und dann auf den Computer übertragen. Am Bildschirm sehen die Chirurgen dann jederzeit genau, wo der Tumor beginnt, wie tief er ins Gehirn geht, wo Gefäße liegen. Bei dem Mann ist die Geschwulst bereits von der rechten in die linke Hirnhälfte gewachsen.

Die rasierte Kopfschwarte wird aufgeschnitten und bis zu den Augenbrauen weggeklappt, ein großes Stück des vorderen Schädeldaches entfernt. Der Tumor ist in den Knochen gewachsen. Oberarzt Dr. Theodor Schaake sowie die OP-Pfleger Iris Kropp, Stefani Steinhoff und Frank Ackermann haben eine lange OP vor sich. Mit dem so genannten cusa, einem Ultraschallgerät, zertrümmert Schaarke den Tumor Stück für Stück. Der Schädelknochen kann bei diesem Patienten nicht wieder eingesetzt werden, er bekommt eine Schädelplastik. Später stellt sich heraus, der Tumor ist ein Karzinom. Nicht immer muss die Schädeldecke geöffnet werden, um einen Tumor aus dem Inneren des Kopfes zu entfernen. Buchfelder ist Spezialist für Hypophysentumore. Die - fast immer gutartigen - Gewächse an der Hirnanhangdrüse stören die Funktion des wichtigen Hormonproduzenten. Deshalb muss der Tumor raus.

Dem Patienten, extra aus Köln für die OP nach Göttingen gereist, wird die Öffnung der Schädeldecke erspart. Er wird transsphenoidal - durch die Nase - operiert. Unter der Lippe setzt Buchfelder den Schnitt an. Entlang der Nasenscheidewand wird eine Röhre - Spekulum genannt - durch die Nase und die Nasennebenhöhle in Richtung Keilbeinhöhle und Kopfinneres geschoben. Das einzige feste Hindernis im Schädel: Die knöchernen Wände der Keilbeinhöhle, die geöffnet werden müssen. In der Höhle: Schleimhaut und Keime. "Widerliches Zeug", schmunzelt Buchfelder. Die entfernte Schleimhaut wird in der Pathologie untersucht, die Höhle desinfiziert.

Buchfelder arbeitet mit dem Stereo-Mikroskop, die Werkzeuge werden durch das Spekulum geführt. Stück für Stück entfernt er das Tumorgewebe. "Der geht sehr tief rein", sagt der Mediziner mit Blick auf den Tumor. Stück für Stück wird auch dieser Tumor herausgeholt, durch die Nase. Die Hypophyse darf dabei nicht beschädigt werden. Nach rund zwei Stunden ist die Hauptarbeit getan. Der Kölner kann die Klinik nach fünf Tagen verlassen.

Britta Bielefeld

Göttingen
09.08.2002

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