20.1.2004
Möglicher Durchbruch in der Hirnchirurgie
Ein neues Verfahren verspricht die sichere und vollständige Entfernung von bösartigen Hirntumoren
Von Hannelore Becker-Willhart
Das menschliche Gehirn
Im Gehirn entstehende Tumoren, auch maligne Gliome genannt, treffen im Durchschnitt jeden 20.000. Menschen. Erste Anzeichen sind: Kopfschmerzen, Verschlechterung der Sehfähigkeit, Lähmungserscheinungen, Erbrechen. Die Ursachen für diese hirneigenen Tumore sind bislang unbekannt und selten erfolgreich war bislang auch die operative Entfernung der bösartigen Geschwulst. Neurochirurgen an den Düsseldorfer Universitätskliniken testen nun eine Substanz, mit der diese Tumore sichtbar gemacht und damit besser entfernt werden können. Sie sprechen bereits von "einem Durchbruch in der Hirnchirurgie".
"Bösartiger Hirntumor": die Diagnose ist zwar selten - aber schrecklich. Denn obwohl dieser hirneigene Tumor kein Krebs ist und auch keine Metastasen entwickelt, sind die Chancen, ihn zu überleben, bislang nur gering. Der Grund: Dieser Tumor, auch malignes Gliom genannt, wächst sehr schnell und entwickelt viele Ausläufer in die benachbarten Hirnregionen hinein. Die Folge: Es gibt keine klare Abgrenzung zwischen dem Tumor und dem umliegenden, gesunde Hirngewebe. Um die Funktionen des Gehirns möglichst zu erhalten, haben die Chirurgen bislang im Randbereich des Tumors kranke Gewebereste oft nicht völlständig weggeschnitten. Und die sind dann - trotz anschließender Bestrahlungs-Therapie - weiterhin aktiv.
Es ist so, dass dieser Tumor doch stark dazu neigt, wiederzukehren, trotz aller Maßnahmen. Wir wissen, dass so genauer der Tumor operiert wird, desto länger braucht er, um wiederzukehren. Normalerweise überleben 5 - 10 Prozent der Patienten längerfristig diesen Tumor.
Versuche, die Grenzen des Tumors deutlich zu markieren, brachten lange Zeit keine zuverlässigen Ergebnisse.
Nun haben wir eine Substanz entdeckt, die sich im Tumorgewebe selber anreichert und dort umgewandelt wird in einen Farbstoff, den man mit einem bestimmten Licht sichtbar machen kann, so dass der Tumor nun Rot leuchtet. Das hat nun den Vorteil, dass wir den Tumor genauer sehen und auch genauer entfernen können.
Diese Substanz heißt 5-AminoLävolin-Säure, sie ist im Körper selbst vorhanden und ist dort für den Blutstoffwechsel wichtig. Für die Operation wird sie synthetisch hergestellt. Einen Teelöffel davon in Wasser aufgelöst bekommen die Patienten vor dem Eingriff zu trinken. Die Lösung schmeckt leicht säuerlich wird gut vertragen. Nach drei Stunden kann die Operation dann beginnen. Dabei arbeiten die Neuro-Chirurgen mit einem Mikroskop, das für dieses neue Verfahren eigens hergestellten worden ist. Das funktioniert mit normalem weißen Licht - und es kann während der Operation bei Bedarf auf blau-violettes Licht umgestellt werden, um den Farbstoff im Tumor kräftig Rot aufleuchten zu lassen. Auf diese Weise können die Chirurgen zu Beginn des Eingriffs den Sitz des Tumors im geöffneten Schädel genau ausmachen.
Wir lokalisieren zunächst den Tumor und da ist es manchmal schon hilfreich, weil man da an den Grenzen der Tumore nicht immer sofort erkennen kann, dass es ein Tumor ist. Und dann können wird die Methode schon einsetzen und sehen, ob das Gewebe Rot leuchtet oder nicht - und wir wissen, wir sind in der Nähe vom Tumor.
Dann kann die Lampe im Mikroskop wieder auf normales Licht umgestellt werden.
Wenn wir den Tumor gefunden haben, werden die Anteile des Tumors entfernt, die gut erkennbar sind als solcher. Wenn die entfernt sind, würde man normaler Weise die Operation beenden, im Glauben, diesen ganzen Tumor entfernt zu haben.
Nun aber leuchten die Neurochirurgen die Operationsfläche mit dem blauvioletten Licht erneut aus und suchen sie nach rot leuchtenden Geweberesten ab.
Und dann setzen wir die neue Methode ein und können sehr genau sehen, wo noch Tumorreste im Gehirn belassen sind. Und die werden dann entfernt.
Mit guten Ergebnissen: Konnten das Tumorgewebe bisher nur bei etwa 20 Prozent der Operationen vollständig entfernt werden, so ist es mit dieser neuen Methode in 70-80 Prozent der Fälle möglich. Das zeigt eine bereits ausgewertete kleine Studie mit 50 Patienten. Gravierende Nebenwirkungen durch die einzunehmende Substanz sind nicht bekannt.
Wir wissen, dass sich die Substanz auch in der Haut einlagert, aber maximal für 24 Stunden und dazu führt, dass die Patienten gegenüber Licht etwas empfindlicher sind. Das ist die Operation kein Problem und bis zum nächsten Tag kein Problem, weil die Patienten in etwas abgedunkelter Umgebung gehalten werden. Da hat es noch keine Probleme gegeben.
Seit drei Jahren läuft deutschlandweit eine weitere Studie, an der rund 380 Patienten teilnehmen. Und bislang steht fest, dass sich deren Überlebenschancen durch das neue Operationsverfahren verbessert haben.
Die Substanz gelangt über das Blut ins Gehirn und ins Gehirntumorgewebe, wo sie speziell von den Tumorzellen aufgenommen wird und dort umgewandelt wird - durch den Stoffwechsel der Tumorzellen - in den Farbstoff.
Deutschlandfunk