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Thema: Presse: Ordnung schaffen im Genom

Presse: Ordnung schaffen im Genom
Anne[a]
01.11.2005 17:30:42
Deutschlandfunk 30.10.2005 · 16:30 Uhr

Ordnung schaffen im Genom

Das internationale HapMap-Projekt kartiert die genetische Vielfalt der Menschheit

Michael Lange und Martin Winkelheide

Genetisch gesehen gleichen sich alle Menschen zu 99,9 Prozent. Die restlichen 0,1 Prozent des Erbguts sorgen dafür, dass einer groß ist, ein anderer klein, einer gesund bleibt und ein anderer krank wird. Nun haben Wissenschaftler einen Atlas erstellt, mit dessen Hilfe sie die Unterschiede im Erbgut aufspüren wollen.

Die "HapMap" ist eine Sammlung der menschlichen Vielfalt. Die Daten stammen von 269 Personen europäischer, afrikanischer und südostasiatischer Herkunft. Die Forscher versprechen sich davon einen Fortschrittsschub für die Medizin. Denn wer weiß, welche Gene für Krankheiten wie Diabetes, Rheuma, Asthma, Herzinfarkt oder Krebs verantwortlich sind, kann neue Methoden zur Diagnose oder zur Behandlung entwickeln.

Der Bio-Informatiker Robert Fulton beginnt seinen Rundgang im Maschinenraum des Sequenzier-Zentrums der Washington-Universität in St. Louis.

Ein menschenleerer, abgedunkelter Raum. In fünf Reihen stehen lange, flache Geräte - 25 insgesamt. Sie sehen beinahe aus wie Photokopierer. Diese Sequenzier-Automaten der neuesten Generation untersuchen 96 Genproben gleichzeitig. Einmal am Tag kommen Laboranten vorbei und befüllen die Geräte. Kleine Lämpchen blinken. Hörbar ist nur das Rauschen der Lüftungen. Alles läuft voll automatisch.

Der interessanteste Raum des Zentrums ist für Robert Fulton das Labor der Roboter. Hier wird das Erbmolekül D.N.A. gereinigt und aufbereitet. Ein Fließband bringt die Proben von Automat zu Automat - eine Miniaturfabrik für Biomoleküle. In den letzten Jahren haben die Roboter vor allem für das so genannte HapMap-Projekt gearbeitet.


Das Human Genom Projekt lieferte die Erbinformation eines Menschen. Eines Modell-Menschen, der so nie gelebt hat. Sein Erbgut stammt von mehreren Personen. Würden Wissenschaftler einen einzelnen Menschen untersuchen, so stimmte dessen Erbgut zu etwa 99,9 Prozent mit dem des Modellmenschen überein. Was ihn einzigartig macht, genetisch gesehen, sind die restlichen 0,1 Prozent. Vernachlässigbar? Es sind immerhin drei Millionen der insgesamt drei Milliarden Erbbausteine. Nicht um die Gemeinsamkeiten sondern um die Unterschiede geht es den Genforschern im Internationalen HapMap-Projekt. Im Jahr 2002 startete das Projekt. Angeregt wurde es von den großen Sequenzier-Zentren in den USA und Großbritannien. Nach Abschluss des Human-Genom-Projektes suchten sie nach neuen Aufgaben.

Peter Donnelly von der Universität Oxford ist mehr als zufrieden. Der Sprecher des HapMap-Projektes verweist darauf, dass die gesetzten Ziele pünktlich erreicht wurden. Blutproben von 269 Menschen wurden untersucht. Stellvertretend für drei Kontinente: Afrika, Asien und Europa.

Es ging uns um die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen in verschiedenen Teilen der Erde. Und die größten Unterschiede gibt es nun mal zwischen Menschen auf unterschiedlichen Kontinenten. Die typisch europäischen Gen-Proben haben wir aus den USA, genauer gesagt: aus dem Bundesstaat Utah. Die Asiaten kommen zur Hälfte aus China und aus Japan. Menschen aus dem Volk der Yoruba in Nigeria wählten wir als Vertreter des Kontinents Afrika.

Im Mittelpunkt des HapMap-Projektes stehen die genetischen Varianten.
Hat ein Mensch an einer bestimmten Stelle im Erbgut die Bausteine: "A A T G"
hat ein anderer Mensch "A A T T".

Das Erbgut unterscheidet sich an einer bestimmten Position in genau einem Buchstaben. Genetiker sprechen von einer Variante. Die Buchstaben stehen für die Grundbausteine des Erbgutes. Die Information tragen die so genannten Basen: A für Adenin, G für Guanin, T für Thymin und C für Cytosin.

Menschen, die eng miteinander verwandt sind, besitzen relativ viele gemeinsame Varianten. Wenn Forscher mehrere Generationen von Menschen betrachten, stellen sie fest: Varianten werden oft in Gruppen vererbt. Diese Gruppen im Erbgut nennen Wissenschaftler auch "Haplotypen".
Sie gaben dem HapMap-Projekt ihren Namen: "HapMap" steht für "Haplotyp-Karte". Peter Donnelly erklärt das mit einem Bild.

Nehmen wir an, fünf Bekannte von Ihnen nehmen immer denselben Bus zur Arbeit. Im Busbahnhof einer großen Stadt gibt es natürlich viele Busse. Sie wollen wissen, welchen Bus sie nehmen. Dann brauchen Sie nur nach einem der fünf zu suchen. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass die anderen im selben Bus sitzen. Genauso ist das mit unseren genetischen Varianten. Sie sind wie Freunde, die im selben Bus sitzen. Die HapMap gibt uns die Information, welche Varianten zusammen gehören. Statt nach zehn Millionen Varianten zu fahnden, müssen wir nur noch nach einigen Hunderttausend bis maximal einer halben Million Varianten suchen.
Das spart viel Zeit. Jetzt sind Sachen möglich, die wir sonst erst in ein paar Jahren machen könnten.

Die HapMap wird nach Ansicht der Forscher gebraucht, um weit verbreitete Krankheiten zu verstehen: wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Asthma oder Krebs. Bestimmte, noch unbekannte Genvarianten begünstigen die Entstehung dieser Krankheiten. Sie sind so schwer zu finden, weil Gene und Umwelteinflüsse auf komplexe Weise zusammen wirken. Das HapMap-Projekt soll helfen, den genetischen Anteil der Krankheiten zu erklären. Das langfristige Ziel heißt: bessere Diagnose und Behandlung.

Beteiligt am HapMap-Projekt sind vor allem die Länder mit großen Senquenzier-Zentren: Neben den USA und Großbritannien sind das China und Japan. Außerdem sind Kanada und Nigeria mit dabei.
Die meisten europäischen Länder haben nicht mitgemacht.

Das internationale HapMap-Projekt, an dem sind wir nicht als Institut beteiligt, wie wir es an der Sequenzierung des menschlichen Genoms waren.

Hans Lehrach, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin.

Das ist einfach eine Frage der Finanzierung. Die deutsche Genomforschung hat relativ wenig Geld zur Verfügung verglichen mit Zentren in den USA oder dem Sanger-Zentrum. Ein einziges Zentrum, das sehr wichtige Arbeit im HapMap-Projekt geleistet hat, das Whitehead Zentrum oder das Sanger-Zentrum, hat jeweils Budgets, die mehr als das Doppelte des deutschen gesamten Budgets für die Genomforschung sind. Und dieses Budget ist dann auf Hunderte von Instituten verteilt. Also, es ist unter den deutschen Finanzierungsmechanismen relativ schwer, an solchen Großprojekten wirklich effektiv mitzuarbeiten.

Insgesamt flossen 100 Millionen Dollar in das HapMap-Projekt. Über die Hälfte des Geldes kam aus den USA. Die gewonnenen Daten aber sollen über das Internet allen Wissenschaftlern uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Das ist ein Grundlagen-Ding, das hilft. Es ist nicht ein Schlüssel - wie es die menschliche Genom-Sequenz war. Aber es ist eine wichtige Information, die uns viele Nachfolge-Schritte erleichtert.

Hans Lehrach geht es um die Bedeutung der Gene. Die HapMap beschreibt, welche Varianten weltweit vorkommen und wie sie verteilt sind. Sie sagt nicht, wie sich die Varianten im menschlichen Körper auswirken.

Die Pharmaindustrie ist nicht am HapMap-Projekt beteiligt. Die Wissenschaftler glauben aber, dass sie ein wichtiger Nutzer der Daten werden könnten.

Zunächst einmal glaube ich, dass das Projekt für uns bei Schering keine unmittelbare Nutzanwendung finden wird.

Günter Stock, Forschungsdirektor beim Pharmakonzern Schering.

Es kann potenziell ein weites Anwendungsgebiet werden, wobei der direkte Anwendungsbezug für uns heute bei Schering noch nicht wirklich sichtbar ist. Aber, ich glaube, es ist eine interessante und wichtige technologische Weiterentwicklung.

Die Daten aus der HapMap könnten dazu genutzt werden, Medikamente maßzuschneidern. Eigene Medikamente zunächst für jeden Kontinent - später für jede Bevölkerungsgruppe. Die Verteilung der genetischen Varianten könnte die Grundlage sein für eine ethnische Medizin. Bislang gibt es nur eine einzige so genannte "Ethno-Pille" - BiDil, ein Herzmedikament, das in den USA ausschließlich für schwarze Patienten zugelassen wurde.

Für Günter Stock ist dieses Konzept nicht stimmig. Der Schering-Konzern hat andere Ziele.

Was für uns wichtig ist, ist, ob unsere Medikamente in bestimmten Bevölkerungsgruppen besser vertragen wird oder schlechter vertragen werden, ob ein Medikament schneller oder langsamer verstoffwechselt wird. Also unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit und der Sicherheit ist es interessant. Aber ich glaube nicht, dass wir eines Tages Tabletten entwickeln werden, speziell für bestimmte Bevölkerungsgruppen. Das halte ich eigentlich für ziemlich abwegig.

Dennoch wird es Medikamente für einzelne Gruppen geben. Es wird sich dabei aber nicht um ethnische Gruppen handeln, betont Günter Stock. Denn für jeden Wirkstoff gilt: Bei dem einem Patienten wirkt er gut, beim anderen eher schlecht. Der eine leidet unter starken Nebenwirkungen, der andere nicht. Das Ziel der Pharma-Industrie heute ist, dass nur noch die Patienten ein Medikament erhalten, denen der Wirkstoff hilft und bei denen er keine Nebenwirkungen macht. Die Medizin soll persönlicher werden.

Produkte, die weltweit einen Umsatz nicht von zwei Milliarden machen, sondern von 500 Millionen, das wird, glaube ich, die Zukunft sein, in die wir uns hineinbewegen, ganz stark. Und das ist, was ich heute mit "personalisierter Medizin" bezeichnen würde - und das war es eigentlich auch immer: aber der Begriff suggeriert eigentlich das falsche. Das Medikament für Herrn Müller, das nicht auch für Herrn Meyer gilt, dieses Medikament, sag ich, bleibt Utopie. Aber ein Medikament, das für alle Müllers dieser Welt wirksam ist, ich glaube, dieses wird kommen. Das ist die Zukunft. Also kleinere Populationen, ja. Aber niemals ein Medikament nur für einen Patienten, selbst Operationsverfahren werden ja an mehreren Patienten durchgeführt. Man darf den Begriff nicht zu wörtlich nehmen.

Es gibt heute schon solche Gruppenmedikamente. Zum Beispiel das Brustkrebsmedikament "Herceptin". Es wirkt nur bei Patientinnen mit einer bestimmten genetischen Veranlagung, einer Variante. Ein Gentest sagt vorher, ob das Krebsmedikament wirken wird oder nicht.

Pharmaforscher sagen voraus: in Zukunft wird es viele solcher Medikamente geben.

HapMap ist eine Möglichkeit, es ist nicht die einzige, um dorthin zu kommen.

Von Beginn an gab es auch skeptische Stimmen zum HapMap-Projekt. Viele glaubten, dass sich das Geld sinnvoller einsetzen ließe.

Nach Einschätzung von Peter Donnelly, dem Sprecher des HapMap-Projekts, hat sich die Stimmung in der Wissenschaftsszene gewandelt.

Die Begeisterung ist groß unter den Wissenschaftlern. Es zeigt sich: die Daten aus dem HapMap-Projekt sind wirklich gut. Selbst Kollegen, die anfangs skeptisch waren, haben sich durch die Qualität der Daten überzeugen lassen. Es gibt jetzt schon die ersten Entdeckungen, die auf den HapMap-Daten basieren. Wir hoffen, dass das ein wichtiger Zweig der medizinischen und genetischen Forschung wird, in den kommenden Jahren.

Die Forscher planen, die Daten aus dem HapMap-Projekt auch Bio-Banken zur Verfügung zu stellen. Weltweit gibt es mehr als ein Dutzend große Archive, in denen Hunderttausende Blut- und Gewebeproben lagern, zum Beispiel in Island. Auch in Deutschland gibt es kleinere Spezial-Biobanken.

Norditalien, am Rand der Dolomiten. Unweit der Kleinstadt Belluno. Die Sommer-Residenz von Luca Cavalli-Sforza. Der Pionier der Populationsgenetik beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den genetischen und kulturellen Unterschieden zwischen den Völkern. Lange vor dem HapMap-Projekt hat er zwei Forschungszweige zusammengeführt, die streng getrennt waren: die Anthropologie und die Molekulargenetik.

Wenn Sie sagen wollen, dass zwei Dinge grundverschieden sind, dann sagen Sie: "Schwarz" und "Weiß". Für die Gene gilt das nicht. Genetisch gesehen ist der Unterschied zwischen schwarz und weiß nicht groß. Es ist eine Anpassung an die Umwelt - und komplizierter als Sie vielleicht denken.

Die Entwicklung von Menschen mit verschiedenen Hautfarben ist nach dem Stand der Forschung relativ jung. Sie ist ein Produkt der Evolution. Der treibende Faktor war aber ein kultureller. Die Ernährung ist die Ursache dafür, dass es überhaupt Menschen mit heller Hautfarbe gibt.

Die hellsten Europäer sind die Skandinavier. Die leben in der Nähe der Sami in Lappland. Die sind eher dunkel. Genau wie die Inuit ganz im Norden. Zwischen diesen hell- und dunkelhäutigen Menschen gibt es einen wichtigen Unterschied: Europäer essen Getreide. Seit 10.000 Jahren betreiben sie Landwirtschaft. Wenn Sie viel Getreide essen, fehlt Ihnen Vitamin D. Der Körper muss es selbst herstellen - in der Haut. Wenn Sie hellhäutig sind, dringt das ultraviolette Licht der Sonne in die Haut ein. Das UV-Licht wandelt eine Substanz aus dem Getreide um in Vitamin D.

Menschen, die Rentier oder Walfleisch essen, müssen nicht weiß sein. Und sie sind es auch nicht. Sie sehen aus, wie ihre ältesten Vorfahren: braun. Einige Afrikaner sind sehr schwarz. Wahrscheinlich, weil sie sich vor extrem hohen Dosen UV-Licht schützen mussten. Und Getreide haben sie auch nicht gegessen.

Alle heute lebenden Menschen stammen nach dem aktuellen Stand der Forschung von wenigen Menschen im Osten Afrikas ab. Wahrscheinlich lebten sie vor 100.000 bis 50.000 Jahren im heutigen Äthiopien. Einige von ihnen wanderten aus und besiedelten den Nahen Osten. Später dann Europa. Eine andere Gruppe wanderte nach Osten bis Süd-Ost-Asien.
Die Kulturen entwickelten sich getrennt voneinander.

Je größer die geographische Entfernung, umso größer ist auch der genetische Unterschied. Dennoch sind die genetischen Unterschiede zwischen den so genannten "Rassen" beim Menschen heute sehr klein. Im Vergleich dazu sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Hunde- oder Katzen-Rassen enorm. Aber die sind durch Inzucht künstlich geschaffen worden, und dies in kürzester Zeit. Die Menschheit hat vor 100.000 Jahren begonnen, sich auseinander zu entwickeln. Frühere Abspaltungen wie die Neandertaler sind ausgestorben.

Vor etwa 50.000 Jahren breitete sich eine kleine Gruppe von Homo-sapiens-Menschen in wenigen tausend Jahren über die ganze Welt aus. 50.000 Jahre sind eine kurze Zeit, wenn es darum geht, genetische Unterschiede auszubilden. Denn die genetische Evolution ist extrem langsam - aber die kulturelle Evolution ist sehr schnell.

Anfang der 90ger Jahre entwickelte Luca Cavalli-Sforza die Idee, das genetische Erbe der Menschheit zu sichern und zu ordnen. Zunächst wollte er Blutproben von kleinen, bedrohten Völkern sammeln.

Mit dem Human Genome Diversity Projekt begannen wir 1991. Zwei, drei Jahre lang lief es auch ganz gut. Wir hatten etwas Geld für Tagungen, Planungen und so weiter. Aber, als es richtig losging, wurden wir plötzlich angegriffen. Vor allem von der kanadischen Stiftung RAFI. Die Stiftung machte etwas an sich sehr Vernünftiges. Sie wollte indigene Völker vor dem Zugriff des internationalen Marktes schützen.

Die Stiftung befürchtete, dass Cavalli-Sforzas Projekt die genetischen Informationen kommerziell verwerten könnte. Sie protestierte gegen einen - wie sie es nannten "genetischen Ausverkauf". Zahlreiche indigene Völker schlossen sich dem Protest an. Cavalli-Sforza, der sich als reiner Grundlagenforscher ohne kommerzielle Interessen versteht, konnte die Proteste nicht nachvollziehen. Die Geldgeber wollten ein derart umstrittenes Projekt nicht weiter fördern. Cavalli-Sforza musste schließlich seine ursprünglichen Pläne aufgeben. Das HapMap-Projekt hat aus den Erfahrungen gelernt, so Peter Donnelly.

Eine der Lektionen für uns war: Es ist wichtig, die Betroffenen von vornherein einzubinden. Forscher aus den Industrienationen können nicht einfach irgendwo auftauchen und Blut-Proben einsammeln. Im Rahmen des HapMap-Projektes gab es spezielle Beratungen, Schulungen und Diskussionen mit allen betroffenen Gruppen.

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Als das menschliche Genom entziffert war, lautete ein Ergebnis: Die Menschen sind sich genetisch gesehen sehr ähnlich. Es gibt nur eine menschliche Rasse.
Für den Genom-Forscher Craig Venter hat sich daran bis heute nichts geändert.


Ich sehe keinen Grund dafür, Menschen in Gruppen einzuteilen. Was wir aus dem Erbgut erfahren wollen: Macht mein Erbgut mich besonders empfänglich für Krebs: Brustkrebs, Darmkrebs oder einen Hirntumor? Egal, ob ich aus Afrika, Island oder Deutschland stamme. Diese Dinge haben auch nichts mit der Hautfarbe zu tun.

Damals, im Jahr 2000, hieß es: Die Menschen lassen sich nicht ohne weiteres in ethnische Gruppen einteilen.

Unter allen Menschen schwarzer Hautfarbe gibt es sehr viele Unterschiede im Erbgut. Das sind mehr Unterschiede als zwischen weißen und schwarzen Menschen. Das gleiche gilt auch für die Europäer. Die Erbinformation des Menschen kennt keine Rasse. Rasse ist ein rein gesellschaftliches Konstrukt.

Dieses Ergebnis der Genforschung stand im Widerspruch zu der alten Rassenlehre. Nicht nur in Deutschland hatten Wissenschaftler zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schädel vermessen, Haare typisiert, Augenformen katalogisiert, um die Menschen in Rassen einzuteilen. Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes war diese Forschung für Wissenschaftler tabu. Mit dem Genomprojekt schien das Thema Rassenforschung endgültig beendet.

Charmaine Royal stammt aus Jamaika und arbeitet als Bioethikerin an der Howard Universität in Washington.

Die Unterschiede zwischen uns allen - zwischen Ihnen und mir - sind so klein. Aber man hat uns vorgemacht, sie seien riesig. Wenn Menschen Menschen diskriminieren, dann geschieht das auf Grund falscher Vorstellungen über Gruppenzugehörigkeiten und so genannte Rassen. Ich hoffe, die Genetik wird eines Tages die Menschheit vereinen.

Die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen machen 0,1 Prozent aus. Die Informationen, nach denen die Genforscher heute suchen, lassen sich aber gerade in diesen 0,1 Prozent finden. Vor allem dank neuer Techniken. Troy Duster, Soziologe an der New York University.

Wir sind zu 99,9 Prozent alle gleich, genetisch gesehen. Aber mit dem Super-Computer wird dieser winzige Unterschied von 0,1 Prozent plötzlich sehr bedeutsam. Das heißt in absoluten Zahlen: Zwei Menschen unterscheiden sich in ihrem Erbgut an 3 Millionen verschiedenen Stellen. Und mit dem Computer lassen sich diese drei Millionen Stellen im Datenwust aufspüren.

Und wenn Sie dem Computer immer wieder befehlen, Muster zu finden, dann wird er Muster finden. Das gilt eben nicht allein für Unterschiede zwischen einzelnen Menschen - das gilt auch für ganze Gruppen.

Es ist kein Zufall, dass die Wissenschaftler im HapMap-Projekt jene drei Gruppen ausgewählt haben, die die Basis bildeten für die alte Rassenlehre: Europäer, Asiaten und Afrikaner.

Peter Donnelly, der Sprecher des HapMap-Projektes.

Es gibt mehr genetische Unterschiede innerhalb eines Volkes - also in Deutschland, England, einem asiatischen oder einem afrikanischen Land - als zwischen den Völkern. Die meisten Unterschiede gibt es zwischen Individuen einer Gruppe.

Aber auf der anderen Seite gibt es typische Unterschiede zwischen Menschen, die weit entfernt voneinander leben. Also in Asien, Europa und Afrika. Und wenn wir uns die genetischen Varianten einer einzelnen Person sehr genau anschauen, dann können wir mit Hilfe der HapMap jetzt ziemlich genau abschätzen, woher diese Person stammt. Hat sie europäische, asiatische oder afrikanische Vorfahren? Denn wir verstehen jetzt die Art der genetischen Unterschiede sehr viel besser als vor dem HapMap-Projekt.

Das Gesamtbild aber hat sich nicht geändert. Es entspricht dem, was wir aus früheren Studien gelernt haben.

Die HapMap liefert Rassisten keine brauchbaren Informationen. Sie sagt nichts darüber aus, ob Menschen einer bestimmten Hautfarbe oder Herkunft bestimmte biologische Eigenschaften besitzen. Aber sie ermöglicht es der Medizin, die Menschen in Gruppen einzuteilen. Möglicherweise sogar in dieselben Gruppen, die schon die so genannte "Rassenforschung" vor 100 Jahren festlegte.

Der Soziologe Troy Duster befürchtet einen möglichen Missbrauch. Die Daten könnten mit anderen Informationen kombiniert werden: Welche ethnische Gruppe ist sportlicher, aggressiver oder intelligenter?

Ich habe seit Jahren die Sorge, dass es eine neue Form von Eugenik geben könnte. Wenn auch eine, die als harmlos daher kommt. Eine, die leichter akzeptiert werden könnte, denn ihr geht es darum, zu heilen. Krankheiten zu besiegen. Wer könnte dagegen etwas sagen?

Sobald sie anfangen, über biologisch begründete Rassenmerkmale zu sprechen, ist die Tür einen Spalt breit offen. Und dann dauert es nicht mehr lange, und wir sprechen wieder über Rassen, die angeblich mehr oder weniger intelligent sind - oder kriminell.
Anne[a]
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