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Thema: Presse: Patienten und Ärzte fordern neuen Umgang mit Fehlern

Presse: Patienten und Ärzte fordern neuen Umgang mit Fehlern
Anne[a]
08.08.2005 14:30:18
Patienten und Ärzte fordern neuen Umgang mit Fehlern im Gesundheitswesen

Kunstfehler sind oft Folgen eines überlasteten Klinikpersonals. In dieser Woche haben Ärzte für bessere Bedingungen gestreikt - sie kämpfen für Vertrauen

von Heike Vowinkel

Die Nachtschwester saß auf der Anklagebank und weinte. Sie hatte ihren Fehler zugegeben, noch am Abend, als er passiert war. Wäre es nach den Hönscheids gegangen, hätte nicht sie dort gesessen, sondern die Klinikleitung oder der zuständige Professor. Beide haben die Folgen des Fehlers bestritten.

Nun war es die Nachtschwester, die wegen fahrlässiger Tötung zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Sie hatte ein Medikament für den dreijährigen Sohn der Hönscheids, der sich gerade von einer erfolgreichen Hirntumor-OP erholte, verwechselt. Sein Herz setzte aus, er wurde wiederbelebt und blieb danach schwer geschädigt. Drei Monate später starb Dennis.

Der Prozeß um seinen Tod hatte 2003 bundesweit Aufsehen erregt, und das nicht nur, weil er der jüngste Sohn des früheren Surfweltmeisters Jürgen Hönscheid war.

Jahrelang hatten die Eltern des Jungen darum gekämpft, daß die tödlichen Folgen des Behandlungsfehlers anerkannt wurden. Daß sie am Ende vor Gericht erfolgreich waren, bedeutete für sie zwar einen Sieg. Doch verarbeitet hatte Ute Hönscheid das alles noch lange nicht. Nun hat sie ein Buch darüber geschrieben, das in der nächsten Woche erscheint. "Dennis´ Tod darf nicht sinnlos gewesen sein", sagt sie und plädiert für eine andere Fehlerkultur in deutschen Kliniken.

Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler - auch im Gesundheitswesen, nur sind die Folgen dort oft schwerwiegend. Etwa 40 000 Behandlungsfehler werden in Deutschland jedes Jahr angezeigt. Dies sei erst die "Spitze des Eisbergs", glaubt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und vermutet, daß mehr Menschen durch falsche Behandlung sterben als etwa durch Brustkrebs.

Er forderte daher schon 2003 ein systematisches Fehlermanagement. Als "einen Paradigmenwechsel" bezeichnet es Günther Jonitz, Chirurg und Präsident der Ärztekammer Berlin, daß sich in diesem April auch der Deutsche Ärztetag einstimmig für die Einführung von Fehlermeldesystemen ausgesprochen hat. "Lange waren Behandlungsfehler ein Tabu. Die Sorge, sich dadurch in Mißkredit zu bringen, überwog", sagt Jonitz.

Das beginnt sich allmählich zu ändern. So wurde im September 2004 im Internet ein freiwilliges Fehlerberichtssystem für ambulante Praxen eingerichtet. Ärzte können darin anonym Probleme schildern, Rat bekommen oder aus Fehlern anderer lernen.

Auch einige Kliniken setzen inzwischen anonyme Meldesysteme ein, die Fehler analysieren, um daraus Vermeidungsstrategien zu entwickeln. Das Klinikum Saarbrücken etwa hat einen Patientensicherheitsbeauftragten ernannt, der die Umsetzung der Fehleranalyse beaufsichtigt. Da viele Fehler auf falscher Medikamentengabe beruhen, wurden dort in einer Art Check-Liste Hochrisikomedikamente definiert und erläutert, wie mit ihnen umzugehen ist.

"Voraussetzung dafür ist ein Klima des Vertrauens. Nicht dem einzelnen darf die Schuld zugeschoben werden, sondern das System ist auf Fehler zu analysieren", sagt Professor Daniel Grandt, Chefarzt des Klinikums. Zudem müsse die Geschäftsleitung bereit sein, Geld zu investieren. Doch an beidem mangelt es vielerorts.

Auch die Hönscheids zogen vor sieben Jahren nicht wegen des Fehlers vor Gericht, sondern weil sie das Gefühl hatten, die wahre Todesursache sollte vertuscht werden. Zwar war die falsche Medikamentengabe zugegeben worden. Doch daß Dennis´ apathischer Zustand eine Folge der Wiederbelebung war, wurde bestritten. Statt dessen versuchte der zuständige Professor, ihn als eine mögliche Folge der Hirnoperation darzustellen. "Unser Vertrauen war von da an zerstört. Wir fühlten uns entmündigt, nicht mehr ernst genommen", sagt Ute Hönscheid. Ärzte und Pfleger gaben ihnen im Gespräch recht. Nur öffentlich wollte sich niemand bekennen.

Günter Jonitz hat für ein solches Verhalten wenig Verständnis: "Jeder Arzt macht Fehler, zum Glück sind sie meist folgenlos. Wer offen damit umgeht, dem entzieht der Patient auch nicht das Vertrauen." Diese Erfahrung hat er selbst vor Jahren bei einer Schilddrüsen-Operation gemacht. Weil die Wunde des Patienten nicht heilen wollte, wurde ein Röntgenbild erstellt. Es zeigte, daß Jonitz einen Tupfer vergessen hatte. Er erklärte dem Patienten den Fehler, und daß eine zweite OP notwendig sei, um den Tupfer zu entfernen. Der Mann reagierte verständnisvoll. Am Ende blieb der Fehler folgenlos. Fortan lag jener Tupfer konserviert in Formaldehyd auf Jonitz´ Schreibtisch: "So etwas verfolgt einen jahrelang. Aber es lehrt auch Demut."

Doch nur wenige Ärzte sprechen so offen über eigene Fehler.

Einen Beitrag zur Enttabuisierung könnten in Zukunft die Qualitätsberichte leisten, die alle 2300 deutschen Kliniken seit diesem Monat veröffentlichen müssen. Zwar wird darin noch kein Fehlermanagement abgefragt. Doch Jonitz hofft, daß sie auch eine Diskussion über Patientensicherheit in Gang bringen, "die eben auch zur Qualität gehört".

Sorge bereitet ihm dagegen der wachsende Kostendruck. In dieser Woche streikten Ärzte und Schwestern wegen schlechter Arbeitsbedingungen in Kliniken. 50- bis 80-Stunden-Wochen sind für viele Klinikärzte Alltag. "Studien weisen den direkten Zusammenhang zwischen Arbeitsüberlastung und Fehlern nach", sagt Jonitz. Doch für Fehler verantwortlich gemacht würden nicht die, die beim Personal kürzen, sondern Ärzte und Pfleger. "Wer eine andere Fehlerkultur wünscht, muß auch daran arbeiten", fordert der Ärztekammer-Präsident.


Artikel erschienen am 7. August 2005
Anne[a]
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