Anna[a]

Soldaten im Sendekreis des Krebses 29.06.2001 17:54

Würzburg - Frühere Radartechniker der Bundeswehr horchen auch in Unterfranken auf: Lange hatte man den Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit und schweren Erkrankungen an Krebs und Leukämie geleugnet. Nun will Minister Rudolf Scharping Strahlen-Opfer großzügig entschädigen.

Ehemalige Bundeswehr-Mitarbeiter führen Erkrankung auf Verstrahlung zurück

Als "Witwen-Macher" erlangte der Kampfjet des Typs F104 Starfighter in den 60er und 70er Jahren unter Piloten traurige Berühmtheit. Bei 292 Abstürzen kamen 116 Flugzeugführer ums Leben. Dass der "Starfighter" aber auch für das Bodenpersonal gefährlich gewesen sein könnte, weiß beispielsweise Ernst Bäuerlein aus der Nähe von Würzburg erst heute.

Der frühere Bordmechaniker beim Jagdbomber-Geschwader der Luftwaffe in Memmingen ist heute ein schwer kranker Mann: Leukämie, also Blutkrebs, haben die Ärzte bei ihm diagnostiziert. Dass die Erkrankung mit seinem früheren Job bei der Bundeswehr Anfang der 70er Jahre zu tun haben könnte, ist nur eine Vermutung, der er mit Hilfe von Ärzten nachgehen will.

Der Radar der Starfighter soll Bundeswehrsoldaten krank gemacht haben.

Aber auch nach 30 Jahren erinnert sich Bäuerlein genau an seine Zeit auf dem Fliegerhorst: "Wenn die Techniker bei uns das Radar in der Nasenspitze des Starfighters prüften, wurden normalerweise in einer Entfernung von etwa 30 Metern Warnschilder aufgestellt." Aber manchmal wurde das auch vergessen und Bäuerlein geriet in den - möglicherweise Krebs auslösenden - Sendekreis des Ortungsgerätes. "Jetzt bist Du genau durch den Radarstrahl gelaufen", sagten ihm dann die Techniker. "Aber da hat sich damals keiner Gedanken gemacht, und gemeldet habe ich es natürlich auch nicht." 1999 erkrankte er an Blutkrebs, heute ist Bäuerlein - obwohl erst Anfang 50 - dienstunfähig.

Nach Erkenntnissen der Bundeswehr gelten 400 bis 1000 frühere Bundeswehr-Mitarbeiter als erkrankt. Ursache: ungenügend abgeschirmte Radargeräte in den 60er und 70er Jahren.

Innere Verbrennungen
Radarstrahlung begegnet man im Alltag zum Beispiel in Mikrowellenherden, bei der Signalübertragung beim Satellitenfernsehen oder dem Mobilfunk-Netz. Die größte Gefahr, die von Mikrowellen mit hoher Energiedichte ausgeht - wie zum Beispiel bei großen Radaranlagen - liegt darin, dass Menschen, die in der Nähe des Senders in den Strahl geraten, schwere innere Verbrennungen erleiden können.

Eine 1996 in Auftrag gegebene Studie der Universität Witten/Herdecke untermauert den Verdacht: Für fast eintausend "qualifizierte Radarmechaniker", die in den letzten 30 Jahren dienten, besteht möglicherweise ein erhöhtes Risiko, an Krebs zu erkranken. Eduard David, Professor für normale und pathologische Physiologie, untersuchte 99 Krankenakten von Radartechnikern, die an Abwehrsystemen wie "Hawk" oder "Nike", aber auch an "Starfightern" oder an "Tornado"-Kampfflugzeugen gearbeitet hatten. 69 Mechaniker litten an Krebs, 22 starben daran - mit durchschnittlich 40 Jahren - an Blutkrebs oder Hirntumor, Hautkrebs, Knochenmark-Tumoren oder Lymphdrüsenkrebs.

Die Studie kritisiert: Bis 1977 hätten die Soldaten ohne Personendosimeter an den Radargeräten gearbeitet - und das, obwohl jene Abschirmungen, die das Personal vor Strahlen schützen sollen, meist geöffnet waren. Dem Gutachten der Universität von Witten-Herdecke zufolge sollen Radarmechaniker oder -operateure bei ihrer Tätigkeit vor den abgeschirmten Geräten einer stündlichen effektiven Dosis von 0,06 bis 0,07 mSv (Milli-Sievert) ausgesetzt gewesen sein.

Hohe Strahlen-Belastung

Diese Dosisangaben werden aber von zahlreichen Betroffenen bestritten. Ihren - oft unvollständigen - Unterlagen zu Folge waren die Strahlenbelastungen teilweise erheblich höher. In der unmittelbaren Umgebung der unabgeschirmten Geräte wurden sogar bis zu 10 mSv pro Stunde gemessen. Legt man einen Arbeitstag von acht Stunden bei 250 jährlichen Arbeitstagen zugrunde, waren die Betroffenen nach der Studie im Mittel einer jährlichen Dosis von 120 mSv ausgesetzt.

Bei dieser Strahlendosisabschätzung ist die Strahlung des unabgeschirmten Geräts, der die betroffenen Soldaten bei den häufig notwendigen Wartungs- und Justierarbeiten zusätzlich ausgesetzt waren, noch nicht berücksichtigt worden. Die tatsächliche Strahlenbelastung der Techniker war demnach wahrscheinlich um einiges höher.

Eine jährliche effektive Dosis von rund 120 mSv ist nach Angaben von Medicine Worldwide "eine Dosis, die rund fünfzig mal so hoch ist wie die natürliche Strahlenbelastung von 2,4 mSv. Die bei Marinesoldaten festgestellten Strahlendosen von über 3 Sv = 3000 mSv sprengen allerdings jeden vorstellbaren Rahmen."

Unter den Betroffenen sind nicht nur die Starfighter-Mechaniker, sondern auch solche, die an Hawk- und Nike-Abwehrsystemen oder anderen Radaranlagen arbeiteten. Hans-Joachim L. aus dem Raum Würzburg war 1977 bis 1979 als Radarflugmelder in Freising stationiert.

Versorgungsantrag abgelehnt
1979 erkrankte er an Hodenkrebs. Schon damals wurde gelegentlich über den Zusammenhang zwischen Radarstrahlung und Krebserkrankung berichtet. Darauf hat er auch seine Ärzte hingewiesen. "Mein nach der Dienstzeit gestellter Versorgungsantrag wurde natürlich abgelehnt", zürnt der Unterfranke.

Ähnliches berichtet Thomas L., ebenfalls aus Unterfranken. 1986 erkrankte er an Hodenkrebs, "was ich mir nie erklären konnte, da es in meiner Familie nie Tumore gegeben hatte". Eine mögliche Erklärung: Thomas L. war 1979 bis 1981 "täglich von sehr vielen Funkgeräten und Antennenanlagen umgeben", als Horchfunker auf dem Bundeswehrturm des "Hohen Bogens" bei Kötzting im Bayerischen Wald. Er versichert: "Ich werde der Sache nachgehen, auch wenn ich heute als 100prozentig gesund gelte."

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Von unserem Redaktionsmitglied Manfred Schweidler
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