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Prof. Lanksch - der Spezialist für das Gehirn und die Wirbelsäule

Von Katrin Reichelt für den Berliner Kurier

Sie sind da, wenn wir sie brauchen. Die großen Ärzte von Berlin. Sie verlängern Leben, sie verbessern Leben, sie schenken Leben. Sie kämpfen gegen Schmerz und den Tod. In dieser neuen KURIER-Serie stellen wir die großen Ärzte unserer Stadt vor. Sie schildern uns, was sie können und woher sie die Kraft nehmen, uns zu helfen. Sie alle sind Erben eines großen Arztes, der vor 50 Jahren in Berlin gestorben ist. Professor Dr. Ferdinand Sauerbruch, der Chirurg, der einst die Charité weltweit berühmt machte.

Sein Beruf ist filigranste Feinarbeit. Am Gehirn, in der Wirbelsäule - und an der Seele seiner Patienten, die um ihr Leben bangen. Prof. Dr. Wolfgang Lanksch, 62, ist Neurochirurg an der Berliner Charité. Und in seinem Fachgebiet geht es nicht um Zentimeter, sondern um Millimeter, die darüber entscheiden, ob ein Patient weiterhin sprechen kann oder nicht. Ob er seinen Arm bewegen kann oder nicht. Ob er überhaupt weiter leben kann oder nicht. Und wenn, wie sein Leben dann aussieht. "In den letzten Jahren haben die Operationsmöglichkeiten dank der unglaublich verbesserten bildgebenden 3-D-Verfahren und der Neuronavigation (eine Art Autopilot durchs menschliche Gehirn) Dimensionen eröffnet, von denen wir nicht zu träumen gewagt hätten." Wo der Mediziner früher in der bildlichen Darstellung nur Länge und Breite eines Tumors im Gehirn sah, kann er ihn nun am Computer von allen und auch in der Tiefe betrachten. Kann operative Zugangswege am Computer simulieren, denen er dann in der wirklichen Operation folgt. Er kann bösartiges Gewebe mit speziellen Substanzen anreichern und während der OP dann mit Blaulicht anleuchten, so dass es ihm aus den normalerweise grauen Zellen entgegen glüht. Weiß, wo genau das jeweilige Sprach- und Bewegungszentrum des Patienten liegt, dessen Ausdehnung von Mensch zu Mensch verschieden ist - und wie er es umgeht.

"In einem so genannten funktionellen Kernspintomogramm lässt man den Patienten genau daran denken, wie er von zu Hause hierher gekommen ist - er entwirft quasi eine tonlose Sprache. Auf diese Weise wird der Stoffwechsel im Sprachzentrum aktiviert, was man wiede-rum messen kann. Und schon weiß man, wo es liegt.

Ähnlich funktioniert das am Bewegungszentrum. Heute haben wir durch eine minutiöse Rekonstruktion der Tumoren eine genaue Vorstellung, wo genau der Prozess im Gehirn eingebettet liegt." Am Schädel können die Einstiegspunkte der dreidimensionalen Messungen mit kleinen Metallsternchen von außen markiert werden. Von dort her bahnt er sich seinen Weg, folgt den Straßen und Umgehungen, die der Computer am CT oder Kernspin vorher errechnet hat. Am Rücken, wenn die Bandscheibe oder ein Tumor im Rückenmarkskanal operiert werden muss, ist das nicht so einfach. "Der Schädel ist eine feste Kapsel, die Berechnungspunkte verändern sich nicht. Der Rücken dagegen ist beweglich. Der Patient kann nie genau so auf dem Tisch liegen, wie er beim Kernspintomogramm in der Röhre gelegen hat."

Das Bild im OP des Professors hat sich verändert: Ein Assistent steht mit am Tisch, der andere sitzt am Bildschirm und kann genau sagen, ob das Operationsmikroskop mit seinem Autofokus sich wirklich an der Grenze des Tumors befindet. Ähnlich wie im Auto, wo eine Stimme im Navigationssystem Ihnen sagt, ob Sie links oder rechts abbiegen müssen, um zu Ihrem Ziel zu gelangen. "Damit ist eine Sicherheit etabliert, die früher unvorstellbar war."

Dennoch bleibt das menschliche Gehirn ein Organ mit vielen Unbekannten. "Wo unsere Emotionen liegen, und wie sie untereinander vernetzt sind, weiß man nur vage." 150-mal im Jahr muss der Mediziner die Frage, ob ein Tumor ein für allemal entfernt werden kann, mit einem klaren "Nein" beantworten. Wenn Patienten mit einem Glioblastom zu ihm kommen, dem bösartigsten aller Hirntumore. "Wenn man den entfernt, wächst er innerhalb weniger Monate größer nach, als er je zuvor war. Und das ist entsetzlich. Man kann den Tumor nie soweit entfernen, dass nicht doch noch bösartige Zellen im umliegenden Gewebe bleiben, die man einfach nicht erreicht." Dann steht der Tod unmittelbar im Raum.

Und die unbefangene, klare Art und Weise, wie Kinder damit umgehen, wie sie ihn kommen fühlen, ohne Details zu kennen, macht ihn oft sprachlos. "Wir hatten einen kleinen Sechsjährigen hier, der seinen Vater fragte, ob er ihm auch immer mittwochs Spaghetti ans Grab bringt. Da weiß man einfach nicht mehr, was man sagen soll."

Aber auch der gutartigste Tumor nützt nichts, wenn er an einer besonders schlimmen Stelle liegt: "Zum Beispiel an der Basis des Gehirns, wenn der Tumor auch in den Grund des Schädels übergeht, weil man ihn dort nicht von den Nerven und Gefäßen lösen kann." Ein Drahtseilakt, jeden Tag aufs Neue.

Nicht immer hängt es nur vom Können des Chirurgen ab, ob ein Patient wieder gesund und schmerzfrei wird - und das gilt besonders für Bandscheibenoperationen. "Eine Studie an operierten und nicht operierten Patienten mit einem Bandscheibenvorfall hat gezeigt, dass das Ergebnis nach zehn Jahren gleich war." Viele merken nicht einmal, wenn der Puffer zwischen den Wirbelkörpern verrutscht. Andere wiederum leiden unter extremen Schmerzen durch die gereizten Nervenwurzeln. "Oft," sagt der Professor, "werden die Patienten mit ihren Beschwerden einfach nicht ernst genommen." Schulter, Nacken- und Lendenwirbel nennt er den "sozialen Abladebereich"; dort treffen Nackenschläge und das Kreuz, das jeder auf seine Weise zu tragen hat, auf empfindsamste Nerven. "Deshalb muss man vor einer Operation IMMER auch das soziale Umfeld ausleuchten. Es werden einfach zu viele Patienten an zu vielen Bandscheiben von zu vielen Operateuren operiert. Doch wem das wirklich nützt, betrifft nur eine handverlesene Gruppe von Patienten. "Die besten Erfolge stellen sich bei denen ein, die nicht nur Schmerzen, sondern auch Sensibilitätsstörungen und Lähmungserscheinungen in Beinen oder Blase haben."

Allein den Rücken in Ordnung zu bringen, reicht erfahrungsgemäß nicht aus. "Wenn alles diffus ist, der Patient ,nur Schmerzen hat, sieht die Prognose nach einer Operation nicht gut aus." Auch das gehört zu seinem Beruf: sich in die Nöte und Ängste seiner Patienten einzufühlen, hinter den CTs, Kernspins und Neuronavigationen den Menschen zu sehen. "Die Kette der Diagnose muss einfach schlüssig sein, und das bedeutet, auch die Psychosomatik (die Wechselwirkung zwischen Körper und Seele) zu kennen."


Berliner Kurier 2001

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