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Tina[a]

NZZ 6. Februar 2002

Tumor entfernen, Hirngewebe schonen

Aktuelle Bilder des Gehirns während der Operation
Mit Hilfe moderner bildgebender Verfahren lassen sich bereits kleinste Läsionen im Gehirn erfassen und operieren. Eine wichtige Entwicklung stellt dabei die während der Operation eingesetzte Kernspintomographie dar. Neurochirurgen am Universitätsspital Zürich testen seit einigen Jahren die Möglichkeiten dieser neuen Geräte.

Von René L. Bernays und Yasuhiro Yonekawa*

Die Entwicklung der bildgebenden Verfahren, allen voran der Kernspintomographie (MRI), hat die diagnostischen Möglichkeiten bei Erkrankungen des Zentralnervensystems verbessert. Mit Hilfe modernster Verfahren können bereits kleinste Läsionen erkannt werden. Kopfschmerzen oder ein erster epileptischer Anfall können Gründe sein, weshalb jemand mit einer solchen Methode untersucht wird. In einigen Ländern wie in Japan ist es darüber hinaus üblich geworden, auch in Abwesenheit von Symptomen eine Art Check-up des Gehirns durchzuführen. Diese Praxis hat sich jedoch aus gesundheitspolitischen Gründen in den wenigsten europäischen Ländern durchgesetzt, obwohl eine 1999 publizierte Untersuchung an gesunden Probanden zeigte, dass damit bei 18 Prozent der Personen eine Abweichung vom Normalbefund festgestellt werden kann.

Verbesserte Überlebenschancen
Die Möglichkeit, Hirntumoren frühzeitig zu entdecken, führt Patienten immer öfter bereits mit minimalen neurologischen Beschwerden ins Spital. Die Betroffenen haben deshalb den Anspruch, nach dem chirurgischen Eingriff rasch und wieder vollständig gesund nach Hause gehen zu können. Die vollständige Heilung von Hirntumoren, insbesondere von bösartigen Geschwülsten, gelingt jedoch nur selten. Die verbesserten chirurgischen Möglichkeiten haben aber inden vergangenen Jahren zu leicht erhöhten Überlebensraten und mehr Lebensqualität nach einer Tumorentfernung geführt.

Verschiedene technische Hilfsmittel wurden entwickelt, um Hirntumoren möglichst schonend und vollständig zu entfernen. Dazu zählen die während der Operation durchgeführte (intraoperative) elektrophysiologische Überwachung, die Neuronavigation und die intraoperative Real- Time-Bildgebung mit Ultraschall, Computer- oder Kernspintomographie.

Die elektrophysiologische Überwachung während einer Hirnoperation - dabei werden die Hirnströme kontinuierlich abgeleitet - lässt die Grenzen zwischen einem funktionellen Zentrum (z. B. Sprach- oder Bewegungszentrum) und dem Tumor besser erkennen. Dadurch kann der Neurochirurg, der seine manuelle Präzision durch ein Operationsmikroskop erhöht, wichtige Hirnzentren während des Eingriffs schonen. Zudemkönnen epileptische Entladungen an der Oberfläche des Gehirns registriert und das verursachende Hirnareal entfernt werden.

Die Neuronavigation ist ein Hilfsmittel, das den Chirurgen auf dem schonendsten Weg zu einer Läsion im Gehirn führen soll. Ähnlich wie die Navigationshilfen in Autos arbeiten auch die neurochirurgischen Systeme mit «historischen», also vor der Operation erstellten Bildern der Hirnanatomie. Probleme entstehen dann, wenn die räumlichen Gegebenheiten sich während der Operation verändern. Dies geschieht bei neurochirurgischen Eingriffen eigentlich immer, da bereits die unterschiedliche Lage des Patienten während der MRI-Untersuchung und der Operation oder der Eintritt von Luft bei der Eröffnung der Hirnhaut zu anatomischen Verschiebungen führt. Auch die während der Operation fortschreitende Entfernung des Tumors macht die alten, zur Planung verwendeten Bilder unbrauchbar.

Die intraoperative Real-Time-Bildgebung versucht, dieses Problem zu lösen, indem diese Technik den Chirurgen während seines Eingriffs mit aktuellen dreidimensionalen Bildern in hoher zeitlicher Auflösung versorgt. Damit können Gewebeverschiebungen rechtzeitig erkannt und in die Operationsplanung einbezogen werden. Die älteste Real-Time-Bildtechnik ist der intraoperative Ultraschall, der einfach und günstig, wegen seiner schlechteren Bildqualität aber nur von beschränktem Wert ist. Deutlich bessere Bilder liefert die intraoperative Computertomographie, die jedoch wegen der ionisierenden Strahlung für das Operationsteam nicht unbedenklich ist.

Neue MRI-Geräte für Hirnoperationen
Die beste Darstellung des Gehirns gelingt ohne Zweifel mit einer MRI-Untersuchung, mit der sich nicht nur anatomische, sondern auch physiologische und biochemische Parameter überprüfenlassen. Damit werden Fluss-Phänomene des Blutes und der Hirnflüssigkeit darstellbar. Ebenfalls gemessen werden kann die Temperatur in einer bestimmten Hirnregion. Auf Grund von Änderung der paramagnetischen Eigenschaften kann zudem zwischen «verbrauchtem» und frisch mit Sauerstoff beladenem Blutfarbstoff (Hämoglobin) unterschieden werden. So können Regionen im Gehirn identifiziert werden, die bei einer bestimmten kognitiven Aufgabe besonders aktiv sind, d. h. viel Sauerstoff verbrauchen. Dieses funktionelle MRI hat ein weites Forschungsgebiet eröffnet, von dem man sich auch Erkenntnisse für die neurochirurgische Operationsplanung erhofft. In diesem Zusammenhang hat auch die MR- Spektroskopie Bedeutung, mit der biochemische Zustände in den Hirnregionen und in Tumoren untersucht werden können.

Wegen des grossen Nutzens des MRI bei der Darstellung der Hirnanatomie entwickeln verschiedene Hersteller neue Geräte für den intraoperativen Gebrauch. Dabei sind zwei Trends zu beobachten: Systeme mit einer hohen (bis 1,5 Tesla) und solche mit einer niedrigeren Magnetfeldstärke (0,12 bis 0,5 Tesla). Die Geräte mit höherer Feldstärke sind allerdings gross und nicht einfach im Operationssaal zu integrieren.

Das erste Gerät, das die kontinuierliche Bildgebung während der Operation ermöglichte, ohne dass der Patient oder das Gerät für die Aufnahme umgelagert werden musste, war das von der Firma General Electric entwickelte Signa SP mit einer Feldstärke von 0,5 Tesla. Das Universitätsspital Zürich nahm dieses Gerät 1996 in Betrieb.Die bisherige Erfahrung mit diesem Pioniersystem hat gezeigt, dass damit Tumoren, die in einem funktionellen Zentrum liegen oder an ein solches angrenzen, mit grosser Sicherheit und meist vollständig entfernt werden können. Die Bildqualität ist so gut, dass damit selbst kleinste Läsionen und Reste von Tumorgewebe erkannt und entfernt werden können. Mit diesem Gerät konnte ebenfalls die chirurgische Verletzung beim Zugang zu einem Hirntumor verringert werden. Die Bauweise des Signa SP schränkt allerdings beim Operieren den Einsichtwinkel auf das Operationsfeld ein. Dadurch können die winzigen Öffnungen, die als Zugang zum Tumor angelegt werden, gelegentlich nicht weit genug eingesehen werden, um den Tumor «unter Sicht» des Operationsmikroskops zu entfernen.

Ein weiterer Entwicklungsschritt in der intraoperativen Bildgebung stellt das von der Firma Odin hergestellte Mini-MRI dar: der Pole-Star N-10. Das Universitätsspital Zürich ist das erste Spital Europas, das mit diesem Gerät arbeitet. Das lediglich 0,12 Tesla starke System liefert Bilder von erstaunlicher Qualität und lässt sich nahezu ideal in einen Operationssaal integrieren. Zwarsind damit nur anatomische Bildsequenzen verfügbar, die aber für die Real-Time-Neuronavigation und die intraoperative Kontrolle der Tumorentfernung ausreichen. In Zukunft dürften vieleneurochirurgische Kliniken solche MRI-Verfahren zur intraoperativen Bildgebung einsetzen.

* R. L. B. ist Oberarzt und Lehrbeauftragter an der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsspitals Zürich. Y. Y. ist Professor für Neurochirurgie und Direktor an derselben Klinik.



NZZ 6. Februar 2002

http://www.nzz.ch/2002/02/06/ft/page-article7WYLT.html

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