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Tumortherapie - Schwere Ionen als Skalpell
von Hannelore Gießen, Darmstadt

Bestrahlung ist Teil der klassischen Behandlungsschemata bei Tumoren. Meist werden dazu Gamma- oder Röntgenstrahlen eingesetzt. Neu ist die Verwendung schwerer Ionen, mit denen auch tief im Kopf oder im Körperinneren sitzende Krebsgeschwüre punktgenau getroffen werden, ein Verfahren, das seit fünf Jahren klinisch erprobt wird.

Jedes Jahr erkranken im Durchschnitt 350.000 Menschen an Krebs. Zum Zeitpunkt der Diagnose sind rund 60 Prozent der Tumoren noch in einem lokalen Stadium, im Prinzip also heilbar mit Stahl und Strahl. Trotzdem bleiben etwa 70.000 Patienten ohne wirksame Behandlung. Für eine Operation oder für die bisher mögliche Strahlentherapie sitzt ihr Tumor zu ungünstig, nämlich in der Nähe hoch empfindlicher Organe oder zu tief im Körperinneren. Dazu gehören inoperable Schädelbasis- und Hirntumoren sowie Weichteilsarkome.

Ein Teil der Patienten könnte wahrscheinlich durch eine Weiterentwicklung der bisherigen Methoden behandelt werden. Anderen könnte eine neue Therapie helfen, die seit fünf Jahren von der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI), dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der radiologischen Universitätsklinik in Heidelberg erprobt wird.

Strahl mit Masse

Masselose elektromagnetische Strahlung wie die Röntgen- oder Gammastrahlung lässt sich nur schwer bündeln und streut, zum Beispiel beim Eintritt in Gewebe. Ionen als Teilchen mit Masse bleiben dagegen exakt auf ihrer Bahn. Zu den Teilchenstrahlen zählt neben der Ionenstrahlung auch die Strahlung mit Protonen, den leichtesten geladenen Partikeln. Damit wurden bisher schon weltweit einige Zehntausend Tumorpatienten mit Erfolg behandelt. Unter dem Begriff "Schwerionenstrahlung" fasst man alle radioaktiven Ionen zusammen, deren Masse größer ist als die der Heliumkerne, der Alpha-Strahlung. Für Protonenstrahlung ist der therapeutische Nutzen klinisch nachgewiesen; für Ionen erwarten Experten auf Grund der höheren biologischen Aktivität einen zusätzlichen Nutzen bei der Behandlung von Krebspatienten.

Krebszellen unter Beschuss

Auf Grund ihrer positiven Ladung können schwere Ionen wie Kohlenstoffionen auf hohe Energien beschleunigt werden. Ihr Vorteil gegenüber konventioneller Strahlung basiert auf physikalischen Unterschieden: Während bei herkömmlicher Röntgen- und Gammastrahlung die Dosis mit wachsender Eindringtiefe exponentiell abfällt, steigt sie bei Protonen- und Ionenstrahlung langsam an und fällt nach einem scharfen Maximum, dem "Bragg-Peak", steil ab. Die in diesem Maximum gebündelte biologische Aktivität führt dazu, dass dort die Gewebezellen kaum überleben. Die Position des Maximums kann durch seitliche Ablenkung mit Dipolmagneten genau festgelegt werden. Ionenstrahlen erlauben so ein präzises Abtasten des Tumorvolumens.

Untersuchungen mit verschiedenen Ionen haben gezeigt, dass bei Kohlenstoffionen die Dosis optimal verteilt wird. Diese Strahlen erzielen erst am Ende ihrer Reichweite im Tumor die größte Wirkung und inaktivieren die getroffenen Tumorzellen. Im Eingangskanal zwischen Hautoberfläche und Tumor verursachen sie dagegen nur wenige, meist reparable Zellschäden.

Bestrahlung unter PET-Kontrolle

Da der Ionenstrahl wie ein chirurgisches Skalpell wirkt, muss er sehr präzise gesteuert werden. Diese Aufgabe erfüllt ein dreidimensional arbeitendes Rasterscan-Verfahren, das zudem über eine Intensitätskontrolle verfügt. Dabei wird das Tumorvolumen in Schichten gleicher Tiefe eingeteilt. Jede dieser Schichten wird mit dem Strahl durch schnelle magnetische Ablenkung rasterförmig abgefahren, ähnlich wie der Elektronenstrahl in der Fernsehröhre ein Muster scannt. Dabei bleibt der Strahl an jeder Position so lange, bis die zuvor berechnete Dosis und damit der erwünschte biologische Effekt erreicht ist.

Zudem wird der Ionenstrahl im Patienten über Positronen-Emissions-Tomographie (PET) kontrolliert: Auf seinem Weg durch das Gewebe wird ein kleiner Teil des Ionenstrahls in Isotope umgewandelt, die Positronen emittieren; bei Kohlenstoff als Therapiestrahl entstehen dabei leichtere Kohlenstoffisotope mit praktisch gleicher Reichweite. Die von diesen Isotopen abgegebenen Positronen haben nur eine Reichweite von wenigen Millimetern und setzen nach dem Zusammentreffen mit einem Elektron zwei Gammaquanten frei, die eine PET-Kamera registriert. Daraus kann die Verteilung der Kohlenstoffisotope und ihre biologische Aktivität rekonstruiert und mit der Therapieplanung verglichen werden. PET trägt somit erheblich zur Sicherheit der Patienten bei.

Das Pilotprojekt

Im Dezember 1997 wurde am Schwerionenbeschleuniger der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) zum ersten Mal ein Tumorpatient mit Kohlenstoff-Ionenstrahlen behandelt. Seit August 1998 erprobt das Kernforschungszentrum Heidelberg, zusammen mit der GSI und der Uniklinik Heidelberg, das neue Verfahren in klinischen Studien. Bestrahlt werden die Tumorpatienten bisher an der GSI, wo eine mehrere hundert Meter lange Beschleunigeranlage steht, in der schwere Ionen fast Lichtgeschwindigkeit erreichen. Sie wird zur Grundlagenforschung genutzt, die Erkenntnisse in der Biophysik haben jedoch bereits zu der jetzigen medizinischen Anwendung geführt.

160 Patienten wurden bis Ende vergangenen Jahres behandelt - mit gutem Erfolg. Im günstigsten Fall wurde für Chondrosarkome sogar eine vollständige Tumorkontrolle erreicht. Für die meisten Patienten kann noch nicht abschließend beurteilt werden, inwieweit sie von der neuen Therapieform profitieren. Doch es zeichnet sich ab, dass die Heilungsrate deutlich über der einer konventionellen Tumorbestrahlung liegt.

Das Großprojekt

Der Bau eines klinischen Beschleunigerzentrums in Heidelberg wird im nächsten Frühjahr beginnen - ein größeres Unterfangen, soll der Beschleuniger doch 20 Meter Durchmesser umfassen und Protonen-, Helium-, Kohlenstoff- und Sauerstoffionen mit Energien zwischen 50 und 430 MeV pro Teilchen bereitstellen. Um den Beschleuniger sollen sich drei Behandlungsräume gruppieren, so dass die Klinikanlage über die Kapazität verfügt, jährlich mehrere Tausend Patienten zu behandeln. Die Kosten belaufen sich auf etwa 80 Millionen Euro. Die Behandlung eines Patienten wird bei etwa 20.000 Euro liegen, vergleichbar mit einigen operativen und medikamentösen Maßnahmen.


Wie wird der Therapiestrahl erzeugt?
Auf Grund ihrer Ladung lassen sich Ionen durch elektrische und magnetische Felder lenken. Dies nutzen die Wissenschaftler aus, um die geladenen Teilchen in Beschleunigern zu einem Strahl zu bündeln und auf sehr hohe Geschwindigkeiten zu bringen. Dabei werden die für die Therapie verwendeten Strahlen in einem Kreisbeschleuniger, einem so genannten Synchrotron, erzeugt. Das Exemplar der GSI weist einen Umfang von 216 Metern und einen Durchmesser von 70 Metern auf, also rund das Zehnfache der geplanten Miniaturausgabe für die Klinik .
Ein vom Linearbeschleuniger bereits vorbeschleunigter Therapiestrahl wird in das Synchrotron eingeschossen; die Ionen bleiben durch Biegemagnete auf der Kreisbahn. Sowohl das Magnetfeld als auch die Frequenz des beschleunigten elektrischen Feldes steigen im selben Maß an, wie auch die Geschwindigkeit zunimmt. Beschleunigt werden die Ionen in zwei diametral im Ring angeordneten Hochfrequenzstrukturen, wobei sie bei jedem Umlauf eine Spannung von 15.000 Volt durchlaufen und bei mehreren Hunderttausend Umläufen die maximale Energie erzielen. Auf diese Weise werden die Ionen auf 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Um die bei dem langen Flugweg auftretenden Strahlverluste gering zu halten, wird zudem ein Vakuum angelegt.

Nachdem der Strahl die gewünschte Energie erreicht hat, kann er in einer Zeit von weniger als einer Mikrosekunde bis zu einer Sekunde extrahiert werden. Dadurch lässt sich für jeden Beschleunigerzyklus eine andere Endenergie oder eine andere Extraktionsart wählen. Ein in weniger als einer Mikrosekunde extrahierter Ionenstrahl kann in einen Experimentier-Speicherring eingeschossen werden und dort einige Stunden umlaufen - eine wichtige Voraussetzung sowohl für den Einsatz in der Forschung als auch für die Anwendung am Patienten.


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