Glioblastom-Behandlung mit vielen Fragezeichen
01.02.2018
In der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neurologie [1] vom
1. Februar 2018 wird der Nutzen der Behandlung von Glioblastompatienten mit sogenannten Tumortherapiefeldern ( TTF , Handelsbezeichnung: Optune [ der Firma Novocure ] ) bezweifelt.
Eine Studie, bei der bösartige Hirntumoren vom Typ Glioblastom mit „Wechselstromhauben“ behandelt wurden, hat durch die Ergebnisse der Vergleichsgruppe mit TTF bei schwer kranken Patienten mit Glioblastom zwar etwas Hoffnung geweckt, aber: „Bei der Anwendung der Tumortherapiefelder gibt es noch sehr viele offene Fragen“, sagt Professor Wolfgang Wick von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Sprecher der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (NOA) einer AG der Sektion B der Deutschen Krebsgesellschaft.
„Sämtliche betroffenen medizinischen Disziplinen in Deutschland arbeiten derzeit an einer gemeinsamen Strategie, um Wissenslücken zu schließen. Dabei gilt es auch unrealistische Hoffnungen zu vermeiden“, so Professor Wick weiter, der auch ärztlicher Direktor der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg ist.
Patienten mit einem neu diagnostizierten Glioblastom hatten an der besagten Studie mit der Bezeichnung EF-14 teilgenommen, deren Ergebnisse vor Kurzem in der Fachzeitschrifgt JAMA [2] veröffentlicht wurden. Zwei Drittel der Patienten bekamen zur Standardtherapie die Behandlung mit der Wechselstromhauben, die mindestens 18 Stunden am Tag getragen werden mussten.
Die "Elektro-Haube" erzeugt elektrische Wechselfelder, sogenannten Tumortherapiefelder, welche durch die Schädeldecke mit dem Ziel abgegeben werden, die Teilung von Krebszellen zu verhindern. Patienten, die in der Erstlinienbehandlung eine solche Haube trugen, überlebten im Durchschnitt fünf Monate länger.
Als zusätzliche Nebenwirkungen gab es Hautreizungen bei etwa der Hälfte der Patienten die TTF erhielten. Noch nicht untersucht wurde jedoch die psychische Belastung und Einschränkung der Lebensqualität, die durch Stigmatisierung und dadurch entstehen kann, dass die Patienten, die mit einem Kabelstrang versorgte Wechselstromhaube dauerhaft auf dem Kopf tragen müssen.
„Möglicherweise sind die TTF eine Behandlungsergänzung“, sagt Professor Schlegel, Neurologe in Bochum, und Mitglied im Beirat der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft. „Für eine abschließende Bewertung ist jedoch eine vom Hersteller der Geräte unabhängige Studie unabdingbar“, so Schlegel. Für das TTF-System wird nämlich auch ein intensives Marketing betrieben.
Während der Anwendung kommen die Patienten zudem, wie auch bei der aktuell veröffentlichten EF-14 Studie, in häufigem Kontakt mit medizinisch-technischen Firmenvertretern. „Darum ist nicht auszuschließen, dass diese intensive Betreuung Einfluss auf die Ergebnisse der EF-14 Studie hatte, denn es gab weder in früheren Untersuchungen noch in der aktuellen Studie eine echte Kontrollgruppe“, so Professor Wick.
Natürlich hat sich die Nachricht von dem möglicherweise lebensverlängernden Effekt unter Glioblastom-Patienten herumgesprochen, obwohl bei der Vorgängerstudie EF-11 für die Rezidivsituation kein Vorteil im Vergleich zum Standard gesehen werden konnte. Eine Empfehlung zur Durchführung der Therapie in den nationalen und europäischen Leitlinien existiert nicht, sie ist in den europäischen wie auch US-amerikanischen Leitlinien lediglich als Möglichkeit erwähnt.
„Vor dem Hintergrund eines nicht belegten Nutzens verwundert das intensive Marketing der TTF-Herstellerfirma ebenso wie der Wunsch, eine kommerzielle Anwendungsbeobachtungsstudie durchzuführen. Die im Sommer letzten Jahres publizierten Protokolle aus den Diskussionen beim, für die Kostenerstattung zuständigen, Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) legen nahe, dass für Deutschland eine kontrollierte Studie durchgeführt werden soll, bevor über eine allgemeine Kostenerstattung gesprochen werden kann“, so Wick. „Stattdessen erfahren wir von Patienten, dass ihnen sogar zugeraten wird, die Hauben auch dann noch zu tragen, wenn die Krankheit wieder fortschreitet, obwohl ein Nutzen in dieser Phase ebenfalls nicht nachgewiesen ist.“
„Viele Kollegen sehen die Anwendung der Wechselstromhaube sehr kritisch, haben Zweifel an der Auswahl der Patienten in der jüngst veröffentlichten EF-14 Studie und halten es für möglich, dass nicht die Methode selbst, sondern die zusätzliche intensive Betreuung der Patienten im TTF-Arm den Unterschied in der Überlebensdauer erklären könnte“, sagt Neurologe Schlegel. Die meisten Patienten sind zurückhaltend, insbesondere Frauen, denn nur wenige wollen sich ihren Kopf dauerhaft kahl rasieren. Die Zurückhaltung steigt, wenn den Patienten klar wird, dass die Behandlung mit TTF nur einen in sehr wenigen Monaten zu bemessenden Aufschub der Erkrankung bedeutet und nicht etwa Heilung.
„Einmal begonnen, stellt die Behandlung mit Tumortherapiefeldern bei der lebensbedrohlichen Erkrankung einen Strohhalm dar“, so Wick. Neurologen und Krebsärzte bieten in dieser Situation eine ausführliche und offene Beratung an, und sie akzeptieren und unterstützen die Entscheidung der Patienten. „Eine Empfehlung für den Einsatz der Tumortherapiefelder können wir jedoch nicht abgeben, bevor die Resultate aus der aktuellen, vom Hersteller finanzierten Untersuchung von einer weiteren, unabhängigen Arbeitsgruppe bestätigt werden“, so Professor Wick weiter.
01.02.2018 ukd
Quellen:
[1] https://www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/56-pressemitteilung-2018/3538-neue-glioblastom-therapie-mit-einigen-fragezeichen?
[2] Stupp R et al.: Effect of Tumor-Treating Fields Plus Maintenance Temozolomide vs Maintenance Temozolomide Alone on Survival in Patients With Glioblastoma: A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2017 Dec 19;318(23):2306–2316. doi: 10.1001/jama.2017.18718.
Kommentar:
Leider keinen Vorteil für die Tumortherapiefelder bei Glioblastompatienten mit positiven MGMT-Status, wenn NOA-09-Daten und EF-14-Daten verglichen werden. Unvorstellbar, dass TTF überhaupt eingesetzt wird, denn die Einschränkungen der Lebensqualität von Patienten während der Behandlung soll nicht unerheblich sein.
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Heilbringende Hauben?
(01.03.2018) Eine US-Firma entwickelt eine “spektakuläre” Technologie gegen Hirntumore. Deutsche Neurologen sind skeptisch.
(01.03.2018) Glioblastoma multiforme – zwei Wörter, die einem Todesurteil gleichkommen. Jährlich werden in Deutschland etwa 2000 Menschen mit der Diagnose Hirntumor konfrontiert. In den allermeisten Fällen ist die Prognose schlecht. Nur 5 bis 10% der Patienten überleben die nächsten 5 Jahre. Selbst mit der geballten Zerstörungskraft von Operationen, Chemo- und Strahlentherapie ist dem Tumor nur schlecht beizukommen.
Neue Ideen sind also gefragt und so entwickelte die US-Firma Novocure eine Behandlungsmethode, die auf Wechselstromfelder setzt. Die Theorie dahinter? Wechselstromfelder oder wie es bei Novocure heißt Tumor-Treating Fields wirken anti-mitotisch und stören somit die Zellteilung der Krebszellen sowie den korrekten Zusammenbau von Organellen. Appliziert werden die elektrischen Felder über eine Haube, ähnlich einer Badekappe, die die Patienten bis zu 18 Stunden am Tag tragen müssen.
Spektakuläre Ergebnisse
Erst Ende Dezember letzten Jahres veröffentlichte JAMA die Details einer klinischen Studie, an der knapp 700 Patienten, auch in Deutschland, teilnahmen. Die Ergebnisse sind „spektakulär“, um es mit den Worten von Hauptstudienleiter Roger Stupp vom Universitätsspital der Universität Zürich (seit Januar 2017 an der Northwestern University, USA) zu sagen. „Sie belegen, dass TTFields als neue Standardtherapie für Patienten mit Glioblastomen geeignet ist. Diese Ergebnisse etablieren einen Grundsatznachweis einer völlig neuen Krebsbehandlungsmodalität,“ wird er von Business-Wire zitiert.
Eine Revolution in der Glioblastom-Behandlung also? Na ja, es gibt (wie so oft) einen Haken. Die JAMA-Studie wurde vom Hauben-Hersteller gesponsert. Nicht nur das, Novocure war auch bei der Studienplanung, -ausführung, beim Daten sammeln und analysieren direkt beteiligt. Die Firma entschied auch, ob das Manuskript schlussendlich veröffentlicht wird oder nicht. Hinzu kommt, dass fast alle Studien-Autoren Verbindung zum Hersteller haben, sei es durch Honorare, Reisekostenerstattung, als Mitglieder des „strategic advisory boards“ oder als Chief Science Officer und Anteilseigner der Firma. Selbst der „unabhängige Statistiker“ der Studie ist offensichtlich schon öfter für Novocure tätig gewesen. Die Aufzählung der Conflicts of Interest ist fast länger als der Artikel selbst.
Noch ein Haken
Und, es gibt noch einen Haken. Die Studie war nicht mal verblindet. Grund dafür: Novocure konnte es seinen Patienten „ethisch nicht zumuten“, ein Schein-Gerät zu tragen. Außerdem wäre es für sie auch noch unpraktisch gewesen.
Wie viel kann man also auf eine solche Studie überhaupt geben?
„Spektakulär“ ist wohl nicht das Wort, das einem sofort einfällt. Eher „irgendwie vorhersehbar“: eine Hersteller-verhätschelte Studie produziert durchweg positive Ergebnisse, oh Wunder! Zu Recht fällt der Kommentar einiger deutscher Neurologen-Kollegen eher verhalten aus. „[Die Konflikte sind] sicher ein Problem, aber auch ein Grund für die Skepsis in der ‚Fachwelt‘. Transparenz ist wichtig und wie transparent diese potentiellen Konflikte bei der nicht verblindeten Studie gehandhabt wurden, vermag ich nicht zu beurteilen“, schreibt uns Wolfgang Wick, Ärztlicher Direktor in der Abteilung Neuroonkologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Wick nahm als Principal Investigator an der Vorläuferstudie (EF-14) teil.
„200 kHz Wechselstrom kann in vitro die Spindelbildung für die Zellteilung recht spezifisch und mit einer Korrelation zwischen Frequenz und Zellgröße unterbinden. Dies soll auch in vivo über die Oberflächenelektroden relevant sein, wenngleich es hier sicher weniger klar ist“, fügt er hinzu. Genauere Untersuchungen, auch an Tiermodellen, sind also eminent wichtig. Jedoch verwehrte Novocure Wick eine in-vivo-Studie an Mäusen mit „Verweis auf die Komplexität der Anwendung“ am Nager-Modell.
Marketing vor Forschung
Ist Novocure also gar nicht daran interessiert, die exakte Wirkungsweise der Hauben zu ergründen? Dazu passt, dass laut des Geschäftsberichts für 2017, die US-Firma fast doppelt so viel Ausgaben unter dem Posten „Marketing/Sales“ verbucht hat (63,5 Millionen US-Dollar) als für den Kostenpunkt „Klinische Studien, Forschung und Entwicklung“ (38,1 Millionen US-Dollar). Allein im vierten Quartal 2017 erwirtschaftete die Firma einen Nettoumsatz von 53 Millionen US-Dollar. In Deutschland kostet eine Hauben-Behandlung rund 23.000 Euro und wird in den meisten Fällen von den Krankenkassen genehmigt.
„Der Gemeinsame Bundesausschuss fordert eine unabhängige Studie. Fachgesellschaften halten auch eine kontrollierte/verblindete Studie mit einer Scheintherapie für wichtig, da die Zuwendung für die Patienten mit dem Gerät erheblich von der für die Kontrollpatienten differierte und wir über die Jahre eine Verbesserung der Studiendaten sehen, die offenbar unabhängig von der Therapie und sehr stark abhängig von der besseren allgemeinen Betreuung ist“, sagt Wick.
Unabhängig untersucht?
Und was sagt Novocure zu den Forderungen nach einer unabhängigen Studie? In einer Mail an Laborjournal teilt der Senior Manager, Brand Public Relations, mit: „In der EF-14-Studie ist Optune die erste Behandlungsmöglichkeit in mehr als 10 Jahren, die die mittlere Überlebenszeit bei neu diagnostiziertem Glioblastoma multiforme erhöht. Novocure hat auch eine zweite Phase-3-Studie beendet (EF-11) mit 237 Patienten, in der Optune als Monotherapie bei Erwachsenen mit Glioblastoma multiforme untersucht wurde, deren Tumor nach einer Chemotherapie wieder auftauchte. Hinzu kommen 19 Investigator-Sponsored Trials (IST), die Optune in unterschiedlichen Szenarien testen“.
Klingt erst mal nicht schlecht. Allerdings übernimmt bei diesen ISTs der Principal Investigator nur die „Verantwortung für die Initiierung, das Management und/oder die Finanzierung einer klinischen Prüfung“. Das heißt, er sorgt dafür, dass die Studie stattfinden kann und finanziert ist. Woher dann zum Beispiel das Geld für die Studie kommt, steht auf einem anderen Blatt.
Kathleen Gransalke
https://www.laborjournal.de/editorials/1456.php