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Thema: Presse: Vertrauen statt Verfügung

Presse: Vertrauen statt Verfügung
Heike[a]
27.02.2006 11:08:40
rbb-inforadio.de Babylon, 25.02.2006

Vertrauen statt Verfügung


Sicherheit für Patienten am Lebensende


Matthias Schirmer befragt Johann-Christoph Student,
den "Vater der deutschen Hospizbewegung"


Willenlos an Schläuche und Geräte angeschlossen sterben - das wollen viele Menschen nicht. Sie möchten deshalb ihr mögliches Lebensende schriftlich und verbindlich mit einer Patientenverfügung regeln. Dieser Wunsch ist gut nachvollziehbar - aber er birgt auch Probleme. Johann-Christoph-Student ist ein entschiedener Gegner der Pläne von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die Patientenverfügung gesetzlich zu regeln. Das war er schon 2004. Damals fasste sie dieses Vorhaben als Ministerin der rotgrünen Regierung ins Auge. Nun will sie es unter der großen Koalition bis Mitte 2007 umsetzen. Der Hospizleiter und Mediziner Student sieht seine Argumente gegen das Gesetz im Laufe der Debatte eher gestärkt als geschwächt.


"Die Politikerinnen und Politiker haben sich weit aus dem Fenster gelehnt und sind jetzt in Zugzwang geraten. Sie haben den Menschen lange Zeit mit viel Propaganda versprochen: ,Mit der Patientenverfügung seid ihr am Lebensende sicherer!' Und jetzt fordern die Wählerinnen und Wähler das natürlich ein. Was man den Menschen sagen muss, ist, dass mit der Patientenverfügung im Grunde genommen nichts sicherer wird, juristisch gesehen. Jede Patientenverfügung krankt daran, dass sie zu einem Zeitpunkt X für einen Zeitpunkt Y verfasst wird, der in vielen Fällen gar nicht vorstellbar ist. Wie wollen Sie sich Ihre eigene Demenz, Ihr eigenes Wachkoma vorstellen? Wir wissen nur, dass ein Mensch, der ins Wachkoma fällt oder in die Demenz geht, ein völlig anderer wird. Er hat auch mit Sicherheit völlig andere Wünsche und Vorstellungen."


Dabei ist Student nicht gegen das Instrument der Patientenverfügung an sich - "ein gutes Indiz" nennt er sie. Aber er hält sie für keine abschließende Hilfe: Das Verfassen einer solchen Verfügung fördert die eigene Auseinandersetzung mit dem Lebensende und die Kommunikation darüber mit anderen - das befürwortet er.

Der emeritierte Professor für Sozialmedizin, Psychiater, Palliativmediziner ist Leiter des Stuttgarter Hospizes. Johann-Christoph-Student gilt als einer der Gründungsväter der Deutschen Hospizbewegung - vorige Woche wurde ihm dafür die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg verliehen.

Schon vor einiger Zeit hat er einen Ratgeber zur "Patientenverfügung" verfasst. Textbausteine und Denkanstöße hält er darin bereit, aber keinen einfachen Vordruck. Statt der Verfügung empfiehlt er die Patientenvollmacht: ein Anverwandter oder Freund soll für den Zeitpunkt der eigenen Kommunikations-Unfähigkeit mit der Wahrung eigener Ansprüche betraut werden.


Wer durch intensive Gespräche und Lebensbegleitung einen Patienten gut kennt, kann mehr über dessen mutmaßlichen Willen im konkreten Fall aussagen als weit im Voraus abgefasste eigene Erklärung. Die Politik solle sich besser darum kümmern, die zwischenmenschlichen Beziehungen im Alter zu fördern. Auch eine Vermehrung der Hospize - so nötig sie sei - könne dieses Problem nicht alleine lösen. Anonyme Großpflegeeinrichtungen seien viel eher das Problem - denn hier machten die Menschen tatsächlich die Erfahrung von Entmündigung. Hier entstehe die Angst, dass andere mit einem machten, was sie wollten. Der Blick auf das skandinavische Sozialsystem helfe da weiter - auch in der Schmerztherapie sei man dort erheblich weiter.


Auch die Bitte um "die Todesspritze" kennt Student aus eigener Praxis. Er erzählt von einer Hirntumor-Patientin, die erst kürzlich darum bat. Eine sehr selbstständige, autonome Frau, die es gewöhnt war, alles selbst zu entscheiden. Für den Fall, dass sie sich aufgrund der erwarteten Lähmungen nicht mehr waschen könnte sagte sie, "möchte ich, dass Ihr mich umbringt. Das hat sie ganz knacktrocken so gesagt." Ohne erhobenen Zeigefinger hätten die Hospizmitarbeiterinnen ihr gezeigt: die Patientin würde selbst alles unter Kontrolle behalten. Kein Waschen, wenn sie es nicht will, kein Wecken, bevor sie es möchte. So habe sie das Vertrauen gefasst: Alles bleibt in meiner Macht. Ein Vertrauen, das ihr geholfen habe, auch als sie auf die Bewusstlosigkeit und den natürlichen Tod zuging.
Heike[a]
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