Anja[a]
Ärzte Zeitung, 28.11.2002
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Viele echt frühreife Jungen haben einen Hirntumor
Eine Pubertas praecox wird pro Jahr bei etwa 2000 Kindern festgestellt / Deutlich mehr Mädchen als Jungen betroffen
Jedes Jahr wird bei etwa 2000 Kindern in Deutschland eine echte, zentrale Pubertas praecox festgestellt. Wurde die Erkrankung früher überwiegend als idiopathisch eingestuft, so findet man heute als Ursache der frühzeitigen Reifung zunehmend zentrale Störungen, etwa Tumoren. Bei weiteren etwa 1000 Kindern wird eine peripher bedingte Pseudopubertas praecox diagnostiziert.
Die Entstehung der vorzeitigen Pubertät mit Sekretion von GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon), die etwa zehnmal häufiger Mädchen als Jungs betrifft, ist meist idiopathisch. Doch bei etwa 20 Prozent der Mädchen und sogar 50 Prozent der Jungen sind ZNS-Läsionen nachweisbar. Darunter finden sich vor allem Tumoren, die die Hypophyse oder nahe Hirnareale betreffen, etwa Optikusgliome, und die Hormonsekretion zentral anregen. Das hat Professor Werner Andler von den Kinderkliniken in Datteln der "Ärzte Zeitung" aus Anlaß einer Tagung zur Kinderendokrinologie in Recklinghausen gesagt.
"Die Diagnose ist einfach, da zunächst die vorzeitige Geschlechtsentwicklung und der Wachstumsspurt sehr auffällig sind", so Andler. "Außerdem fallen bei den Laboruntersuchungen die erhöhten Gonadotropinwerte auf." Der Anstieg des LH (Luteinisierendes Hormon)-Wertes ist ausgeprägter als der des FHS (Follikel stimulierendes Hormon).
Mit dem GnRH-Test können auch Pubertas praecox und Pseudopubertas praecox voneinander abgegrenzt werden. Die Ursache der Pseudopubertas praecox liegt in peripheren hormonproduzierenden Organen, etwa durch Tumoren der Gonaden oder der Nebennierenrinde. Das kann durch die Sonographie gesichert werden. Im Gegensatz zur echten Pubertas praecox kommt es nicht zur Spermatogenese oder Ovulation. "Im Labor sind hier die Gonadotropin-Werte gleich null", so Andler. Die peripheren Sexualhormon-Werte von Östradiol und Testosteron sind erhöht.
Wird im Labor eine echte Pubertas praecox diagnostiziert, muß zwar eine MRT des Schädels zum Ausschluß hirnorganischer Ursachen erfolgen. Doch zur Therapie reicht die eventuelle Tumor-Op allein nicht. Andler: "Ist der Prozeß der vorzeitigen sexuellen Reifung erst einmal in Gang gesetzt, läuft er meist weiter." Dann sind GnRH-Analoga indiziert. Durch die höhere Wirkstärke als das physiologische Hormon bewirken sie die komplette Down-Regulation entsprechender Rezeptoren in der Hypophyse. Die Gonadotropin-Bildung sinkt auf Kastrationsniveau. "Die Erfahrungen damit sind durchweg positiv. Ihre Wirkung ist gut kalkulierbar, wenngleich sie nicht immer den Prozeß stoppen können. Zudem sind sie gut verträglich." Das sei wichtig, da manche Kinder bei einer frühen Pubertas praecox mehrere Jahre lang damit therapiert werden müssen.