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Thema: Presse: Wie ein Blitz aus heiterem Himmel - Epilepsien

Presse: Wie ein Blitz aus heiterem Himmel - Epilepsien
Anja[a]
28.03.2004 21:19:27
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel - Epilepsien sind häufiger als gedacht - Die Mehrheit der Erkrankten führt ein normales Leben

Zürich (ddp). Julia ist sechs, als die Zahnärztin während der Gebisskontrolle eine kurze Bewusstlosigkeit wahrnimmt. Ein paar Wochen später lässt sie beim Essen plötzlich das Besteck fallen, stürzt vom Stuhl. Ihr Körper versteift sich. Rhythmisches Zucken der Arme und Beine setzt ein.

Noch bevor ein Notarzt alarmiert werden kann, kommt das Kind wieder zu sich. Es ist müde, weiß nicht, was geschehen ist. Am nächsten Tag wiederholt sich das Ganze. Der Kinderneurologe macht ein Elektroenzephalogramm (EEG). Das bestätigt seine Vermutung: Epilepsie. Diese Diagnose wird in Deutschland jedes Jahr 30 000 Mal gestellt. In jedem Fall ist sie erst einmal schockierend. Dass auch Nobel, van Gogh und Hemingway unter solchen Anfällen litten und doch Überdurchschnittliches leisteten, ist da nur ein kleiner Trost. Denn immer noch verbinden viele Menschen Epilepsie mit Geisteskrankheit.

So sprechen denn auch selbst Betroffene zumeist nicht über die Krankheit. Dabei sind Epilepsien so häufig wie Diabetes oder Gelenkrheuma. «Etwa ein Prozent der Bevölkerung leidet darunter», sagt Günter Krämer, Medizinischer Direktor des Schweizerischen Epilepsie-Zentrums in Zürich. Epilepsie ist die häufigste chronische Krankheit des Nervensystems im Kindes- und Jugendalter.

Dennoch ist es keine typische Kinderkrankheit. «Etwa ein Drittel der Fälle tritt in den ersten beiden Lebensjahrzehnten auf. Zwischen 20 und 60 beginnen vergleichsweise weniger Epilepsien, während es danach wieder zu einem deutlichen Anstieg kommt», erläutert der Neurologe. Epilepsie bedeutet so viel wie «plötzlich heftig ergriffen und überwältigt». Die Krankheitsbezeichnung beschreibt das Unvermittelte, das für den epileptischen Anfall so typisch ist. Ausgelöst wird der Anfall durch kurzzeitige Funktionsstörungen des Gehirns. Urplötzlich kommt es zur unkontrollierten, gleichzeitigen Entladung vieler Nervenzellen - zu einem wahren Gewitter im Gehirn.

Diese Entladungen mit ihren Spannungsänderungen können im EEG sichtbar gemacht werden. Ein einzelner Anfall ist jedoch noch keine Epilepsie. «Erst wenn bei einem Menschen mindestens zwei Anfälle ohne akute Ursache aufgetreten sind, wird diese Diagnose gestellt», betont der Neurologe. Neben einer erhöhten Anfallsbereitschaft liegt bei den Betroffenen oft eine Veränderung der Hirnstruktur vor. Kleinste angeborene Kalkablagerungen, Sauerstoffmangel während der Geburt, Fehlbildungen während der Hirnentwicklung, ein Hirntumor oder Durchblutungsstörungen können Auslöser dieser Erkrankung sein. Der Mechanismus, wie es zu den Anfällen kommt, ist bislang nicht geklärt. Bei Julia konnte, wie in 70 bis 80 Prozent der Fälle, keine Ursache gefunden werden. Das Kind wurde auf ein Medikament eingestellt, das die Anfälle verhindern soll. Erhobener Zeigefinger an die Eltern: Achten Sie auf die regelmäßige Einnahme. Dazu eine Teilsportbefreiung, um die Verletzungsgefahr bei einem weiteren Anfall zu minimieren. Schwimmen nur noch unter Aufsicht. Regelmäßig wurde Julia untersucht. Das EEG zeigte weiterhin Anfallsbereitschaft, doch Anfälle hatte sie unter dem Medikament nicht mehr. Die Lehrer wurden trotzdem ins Vertrauen gezogen und die besten Freundinnen auch. Die Mutter fuhr mit zur Klassenfahrt, der große Bruder ging mir ihr ins Schwimmbad. In der Schule kam Julia gut mit.

Als Teenager hielt sie sich ausschweifenden Partys nach Möglichkeit fern. Sie wusste: Schlafentzug - besonders in Verbindung mit größeren Mengen Alkohol - hätte wieder einen Anfall auslösen können. Nach zehn Jahren wurden die Medikamente schrittweise abgesetzt. Heute ist Julia 19. Sie macht ihr Abitur und will Wirtschaftsinformatik studieren. Hat Julia Glück gehabt?

«Es gibt mehrere Formen epileptischer Anfälle und noch weitaus mehr Formen von Epilepsien», sagt Krämer. Die Abstände zwischen den Anfällen könnten Sekunden, aber auch Jahre und Jahrzehnte betragen. Andererseits gibt es, wie der Neurologe betont, gerade bei Kindern viele Epilepsien mit günstiger Prognose. Häufig hören die Anfälle während der Pubertät auf.

«Bei einem Großteil der Patienten lässt sich Epilepsie heute gut in den Griff bekommen. Etwa zwei Drittel von ihnen können im Laufe der Jahre die Medikamente ganz absetzen», erläutert der Mediziner. Die meisten können ein fast normales Leben führen: gesunde Kinder bekommen, Auto fahren und in der Regel einen Beruf ihrer Wahl ausüben. Etwa jeder Dritte jedoch muss Zeit seines Lebens Medikamente einnehmen. Doch auch dann lässt sich die Anfallshäufigkeit durch Antiepileptika zumeist drastisch reduzieren.

Woher kommt aber dann der Irrglaube, dass Epilepsie zu geistiger Behinderung führt? «Es gibt natürlich auch Menschen mit Epilepsie, die an einer geistigen Behinderung leiden», räumt Krämer ein. Die zu Grunde liegende Hirnveränderung löst dann die Anfälle aus. Was viele nicht wissen: Die Epilepsie selbst verändert das Gehirn nicht, ist nicht für die geistige Einschränkung verantwortlich.

Montag 22. März 2004, 07:12 Uhr
Anja[a]
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