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Thema: Presse: Zentralschalter für häufigen Hirntumortyp gefunden

Presse: Zentralschalter für häufigen Hirntumortyp gefunden
redwood
30.09.2016 10:36:00
Zentralschalter für häufigen Hirntumortyp gefunden
26.09.2016, 11:17

Dank einer neuartigen Datenanalyse haben Forscher des Universitätsklinikums Freiburg einen zentralen Steuermechanismus für bestimmte Hirntumore entdeckt / Möglicher Ansatz für neue Therapien

Glioblastome sind die häufigsten Hirntumore bei Erwachsenen. Bislang sind sie schlecht behandelbar. Nun haben Forscherinnen und Forscher des Universitätsklinikums Freiburg gemeinsam mit schwedischen Kollegen herausgefunden, dass das Eiweiß-Molekül ANXA2 wie ein Hauptschalter bei der Entstehung eines bestimmten Glioblastoms, des mesenchymalen Glioblastoms, wirkt. Es steht ganz am Anfang einer Kette von Steuermechanismen, die zur Entstehung dieses Tumortyps beitragen. Außerdem klärten sie auf, wie ANXA2 reguliert wird. Im Labor blockierten die Forscher diesen Schalter und stoppten so die Vermehrung der Krebszellen. Die Bedeutung von ANXA2 wurde mit Hilfe eines mathematischen Verfahrens aufgeklärt, das erstmals unterschiedlichste molekulare Tumordaten gemeinsam auswertet. Das kostenfrei verfügbare Verfahren ist auch auf andere Krebsarten übertragbar und erlaubt eine präzisere Charakterisierung von Tumor-Subtypen, was für die personalisierte Krebsbehandlung immer wichtiger wird. Die Studie erschien am 22. September 2016 im frei zugänglichen Journal EbioMedicine, einer Kooperation von Cell und The Lancet.

„Wir konnten zeigen, dass das Eiweiß ANXA2 entscheidend ist für die Entstehung mesenchymaler Glioblastome“, sagt Dr. Maria Stella Carro, Leiterin der Forschungsgruppe ‚Genetik von Hirntumoren‘ an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg. Wie die Wissenschaftler zeigten, wird ANXA2 auf Ebene der Epigenetik reguliert, indem das Gen durch Methylierung an- oder abgeschaltet wird. „Je schwächer das ANXA2-Gen aktiv war, desto aggressiver war die Krebsentwicklung. Darum könnte sich dieser Aktivitätsstatus auch für die Prognose der Erkrankung eignen“, sagt Erstautor Dr. Roberto Ferrarese, Wissenschaftler in der Forschungsgruppe von Dr. Carro an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg.

Im Gehirn ist das Eiweiß nur für Krebszellen wichtig

ANXA2 spielt bei Blutabbau, Zellwachstum und Zellbewegung eine Rolle. Anders als in Zellen des mesenchymalen Glioblastoms wird ANXA2 im gesunden Gehirn kaum gebildet. „Die Blockade von ANXA2 ist ein sehr interessanter Therapieansatz. Denn gesundes Hirngewebe dürfte davon vermutlich nicht betroffen sein“, sagt Dr. Carro. Da ANXA2 auch in anderen Krebsarten eine wichtige Rolle spielt, werden Wirkstoffe gegen das Eiweiß bereits in ersten Studien untersucht.

Mathematisches Modell findet Besonderheiten einzelner Krebstypen

Entdeckt wurde die zentrale Funktion des Eiweißes beim mesenchymalen Glioblastom durch ein neues Analyseverfahren. Damit lassen sich erstmals Wechselwirkungen innerhalb und zwischen unterschiedlichen zellulären Ebenen, wie dem Erbgut, dessen epigenetischer Steuerung und der tatsächlichen Protein-Produktion gemeinsam auswerten. Auch Patientendaten wie Alter und Prognose werden in das Modell eingespeist. Bislang wurden diese Daten meist einzeln ausgewertet, wodurch Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Datensätzen nicht berücksichtigt wurden.

„Das neue Modell trägt wesentlich dazu bei, zelluläre Abläufe in Krebszellen besser zu verstehen und die Tumortypen dadurch besser zu charakterisieren. Diese Mechanismen können dann gezielt auf ihr therapeutisches Potenzial hin untersucht werden“, sagt Dr. Carro. Das Modell wird außerdem helfen, Krebstypen und -subtypen wesentlich genauer zu beschreiben.

Die Forscher werteten mit dem mathematischen Modell insgesamt Datensätze von 529 Patienten aus, die im Cancer Genome Atlas gesammelt sind. Für die präzise Untersuchung des Regulators ANXA2 wurden insgesamt 49 Gewebeproben von Patienten des Universitätsklinikums Freiburg ausgewertet. „Das Modell ist statistisch bereits sehr aussagekräftig, aber natürlich erfordert es noch weitere Überprüfungen im Labor und an Gewebeproben von Patienten, bevor es die Erkenntnisse in der Klinik eingesetzt werden können“, sagt Dr. Ferrarese.

Titel der Originalstudie: Integrative Modeling Reveals Annexin A2-mediated Epigenetic Control of Mesenchymal Glioblastoma


Quelle: idw


Achtung Veranstaltungstermin: ---------------------------------------------

Das Programm des Hirntumor-Informationstag ist verfügbar:

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Wir freuen uns über Eure / Ihre Teilnahme.
redwood
AntonS
04.10.2016 20:39:54
Vielen Dank für die Info!

Kennt jemand die angesprochen Studien zu den Wirkstoffen gegen ANXA2 oder die Namen der Wirkstoffe?

Kommt es nur mir so vor, dass das angesprochene mathematischen Verfahrens, das erstmals unterschiedlichste molekulare Tumordaten gemeinsam auswertet, so klingt, als hätte das schon vor Jahren oder Jahrzehnten entwickelt werden können? Auf mich als Laien wirkt das so, als hätte man Jahrzehnte blind Giftstoffe (Chemo) an Mäusen und Menschen ausprobiert, bis man sich nun doch entschieden hat zu schauen, wie der Gegner eigentlich aussieht.
AntonS
Aziraphale
05.10.2016 06:21:37
Ich vermute eher, dass vor Jahrzehnten es einfach noch nicht die Möglichkeiten gab, sich den Feind bei vielen Patienten genauer anzusehen. Eine mathematische Methode braucht genügend Daten. Je mehr Patienten, desto genauer werden diese Modelle. Für mich klingen die 529 Patienten da noch wenig. Die 49 genau ausgewerteten noch viel weniger...
Aziraphale
AntonS
05.10.2016 09:17:27
Bei 3 Neuerkrankungen unter 100.000 Einwohner jährlich gab's alleinin Deutschland mehr als genug Patienten. Es könnte eher daran liegen, dass die Tumorgenetik tatsächlich erst in den letzten Jahren in den Focus der Forscher genommen worden ist. Davor galt Chemo+Radiatio. .
AntonS
SpinEcho
05.10.2016 10:03:45
> Auf mich als Laien wirkt das so, als hätte man Jahrzehnte blind Giftstoffe (Chemo) an Mäusen und Menschen ausprobiert, bis man sich nun doch entschieden hat zu schauen, wie der Gegner eigentlich aussieht.

Das hat nichts mit einer "Entscheidung" zu tun, sondern mit den technischen Möglichkeiten dazu. Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), die die Grundlage für umfangreiche genetische Untersuchungen gelegt hat, wurde erst 1983 entwickelt, und diese Entdeckung war ein so gewaltiger Durchbruch, dass es dafür 1993 den Nobelpreis in Chemie gab.

Erst mit der PCR waren umfangreiche genetische Analysen überhaupt erst möglich. Und nach der Verfügbarkeit der Möglichkeit dauert es einige Jahre, um aus den neu gewonnenen Daten und Erkenntnissen Schlüsse zu ziehen.

Nebenbei ist das Ausprobieren verschiedener Wirkstoffe und der Vergleich mit bisher bekannten Behandlungsmethoden ein gängiger (und wissenschaftlicher) Weg zur Entwicklung neuer Medikamente. Man muss den Wirkmechanismus nicht genau kennen, sondern nur nachweisen, dass der neue Wirkstoff wirksamer ist als bisher bekannte, oder anderweitige Vorteile hat.
SpinEcho
AntonS
05.10.2016 13:44:38
Vielen Dank, SpinEcho!
Ernüchternd, wie viel Zeit von einer Erkenntnis bis zur Therapie vergehen kann und das dies normal ist.
Wenn man den Mechanismus kennt, kann man wesentlich effektiver maßgeschneiderte Therapien entwickeln als nur "eine bessere als vorhanden". Dass letzterer Weg als gängig und wissenschaftlich betrachtet wird, steht gerade der Entdeckung einer noch effektiveren Therapie entgegen.
Nicht umsonst wird auch von Ärzten mit Blick auf die Immuntheraphie die alte Behandlung mit Zytostatikern als primitiv bezeichnet. Es gibt nur derzeit leider nichts besseres.
Konzentration auf die Erforschung der Prozesse scheint mir mehr Erfolg zu versprechen als neue Medikamente zu testen und darauf hoffen, dass es aus unerklärlichen Gründen anschlägt.
AntonS
SpinEcho
05.10.2016 14:56:59
Eine weitere Entwicklung, die von der Bedeutung her vermutlich der PCR ebenbürtig ist, wurde 2014 Jahr mit dem CRISPR/cas-Verfahren gemacht. Es hat für den Bereich "gentechnische Veränderung" wahrscheinlich die Bedeutung, die die PCR für die Genanalyse hatte.
SpinEcho
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