www.hirntumorhilfe.de
Herzlich willkommen im Forum der Deutschen Hirntumorhilfe!

Thema: Prophylaktische Einnahme Antiepileptika nach HirnOP und Autofahren

Prophylaktische Einnahme Antiepileptika nach HirnOP und Autofahren
Onlyjoking
19.08.2019 23:13:45
Hallo,

ich weiß, dass das Thema Autofahren nach Hirntumor-OP hier schon mehrfach diskutiert wurde. Mein Fall ist allerdings etwas speziell, so dass ich gerne einen neuen Thread eröffnen möchte.

Bei mir wurde Anfang Juli dieses Jahres ein Astrozytom II diagnostiziert und zu 90 % operativ entfernt. Der Resttumor wird aktuell bestrahlt. Die ersten Symptome zeigten sich im Mai. Nach einer Panikattacke stellte sich wochenlanger Dauerschwindel und Gangunsicherheit ein. Mein Hausarzt führte dies auf enormen emotionalen Stress zurück, den ich in den Monaten zuvor hatte. Er verschrieb mir ein leichtes Antidepressivum. Etwa zwei Tage, nachdem ich mit der Einnahme dieser Tabletten begonnen hatte, bekam ich heftige Krämpfe in der linken Wade, immer für 10 - 20 Sekunden. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Die Krämpfe kamen im Abstand von etwa 3 Stunden. Da im Beipackzettel der Tabletten als Nebenwirkungen Krämpfe / Krampfanfälle aufgeführt waren, stand für mich fest, dass es Nebenwirkungen der Tabletten sein müssen. Ich setzte die Tabletten eigenmächtig ab und die Krämpfe verschwanden. Mein Hausarzt überwies mich aber sicherheitshalber zum Neurologen. Dieser bestätigte meinen Verdacht, riet mir aber, die Pillen weiter zu nehmen. Die Nebenwirkung würden sich mit der Zeit legen. Ich nahm die Tabletten daher wieder und die Krämpfe kamen auch wieder. Daraufhin wechselte ich den Neurologen. Dieser untersuchte mich gründlich, attestierte mir keine neurologischen Defizite und keine epileptischen Anfälle und riet mir ebenfalls, die Tabletten weiterzunehmen.

Da mir das alles "spanisch" vorkam, ließ ich eigenmächtig sicherheitshalber ein Schädel-MRT anfertigen. Zum Vorschein kam besagter Hirntumor. In der Uni-Klinik war man sich nicht sicher, ob die Krämpfe nun vom Antidepressivum kamen oder schon leichte hirntumorbedingte fokale epi-Anfälle waren. Prophylaktisch gab man mir das Antiepileptikum Levetiracetam, das ich seit der OP (nun seit 5 Wochen) regelmäßig einnehme. Das Antidepressivum hatte ich natürlich abgesetzt. Die Krämpfe traten seitdem nicht mehr auf. Keine Ahnung, ob die Krämpfe durch das Absetzen der Antidepressiva oder durch die Einnahme von Levetiracetam verhindert wurden.

Ich weiß nun nicht, wie es weitergehen soll. Nach der OP sagte man mir, ich dürfe 3 Monate nicht Autofahren (finde ich auch vollkommen richtig). Am Ende dieser 3-Monats-Frist solle ich mich von einem Neurologen mit verkehrsmedizinischer Qualifikation untersuchen lassen, um festzustellen, ob ich fahrtüchtig bin. Auch das will ich gerne tun. Nur, was ist mit dem Antiepileptikum? Es wäre ja möglich, dass die Fahrtüchtigkeitsprüfung unter Levetiracetam positiv ausfällt. Setze ich es später ab und bekomme dann doch epi-Anfälle (beim Autofahren), hätte ich ja ein Problem. Wie würdet ihr vorgehen? Was würdet ihr raten?

Kann man eigentlich herausfinden, ob es schon fokale epi-Anfälle waren und wer entscheidet, ob und wann ich das Antiepileptikum absetzen darf? Wie läuft eigentlich eine solche neurologische verkehrsmedizinische Untersuchung ab?

Viele Grüße!
Onlyjoking
KaSy
20.08.2019 00:49:47
Hallo, Onkyjoking,
nach einer Hirntumor-OP darf bzw. sollte man drei Monate nicht Auto fahren, da niemand wissen kann, wie die Rückbildung nach der OP sich auf den Betroffenen auswirkt. Wenn man sich fahrtüchtig fühlt, darf man wieder ans Steuer.

Dir wurden, ohne dass Du einen epileptischen Anfall beschrieben hast, vorbeugend Medikamente zur Verhinderung epileptischer Anfälle gegeben.

Das ist eine sinnlose Maßnahme, denn Anfälle verhindern, die nicht stattfanden, ist falsch. Das ist von Neurologen, die auf Hirntumorinformationstagen über Epilepsie sprachen, seit Jahren gesagt worden.

Nun hast Du das Problem, dass Du Medikamente nimmt, die Du vermutlich nicht brauchst. Du musst mit den Nebenwirkungen leben.

Zu den Nebenwirkungen gehört im weiteren Sinne auch, dass man nach einem epileptischen Anfall 1 Jahr anfallsfrei sein muss, um ohne Risiko für sich und andere wieder Auto, Motorrad, (und Fahhrad) fahren zu dürfen.

Das gilt, ob man Medikamente nimmt oder nicht.

Nun nimmt Du diese Medikamente und die Ärzte und Du gehen davon aus, dass die Medikamente die Anfälle verhindert haben, die Du gar nicht hattest.

Das ist nun blöd, denn nach einer Verringerung der Dosis oder dem Ausschleichen besteht wieder ein Fahrverbot von drei Monaten. Das ist logisch, denn mit weniger oder ohne Medikamente könnten ja wieder Anfälle auftreten.

Da hilft auch keine "neurologische verkehrsmedizinische Untersuchung".
Ein Arzt kann eine Fahruntüchtigkeit bestätigen oder ausschließen, aber rechtlich spielt das keine Rolle. Sein "Attest" hilft Dir im Rechtsstreit nicht.
Da gibt es diese Grundsätze für die Verkehrstüchtigkeit*, die haben insofern Gesetzeskraft, dass Du im Falle eines Unfalls versicherungstechnisch enorme Nachteile hast, wenn bekannt wird, dass Du die Wartezeit nicht eingehalten hast. Auch wenn der andere Schuld war ...

(Der Anwalt der Gegenseite könnte Deinen Arzt sogar von seiner Schweigepflicht entbinden lassen. Das ist blöd, aber verständlich, denn wer will schon einen Schaden vollständig selbst bezahlen, wenn der Unfallgegner nicht fahrtüchtig war.)

Da haben Dir die Ärzte ein zusätzliches und vermutlich unnötiges Problem geschaffen.

Ich würde Dir raten, mit dem Arzt zu sprechen, wie Du möglichst schnell das Levetiracetam ausschleichen kannst.

Dann gilt jene Wartezeit und dann entscheidest Du, ob Du diese Untersuchung machen willst.

Was der Neurologe auf jeden Fall machen muss, ist ein EEG. Das kann Anfallspotenziale zeigen, es kann auch zeigen, dass Du Anfälle hattest und es wird bei Dir vermutlich zeigen, dass es gar keine Anfälle gab.

Tests auf Fahrtüchtigkeit gibt es, ich habe in einer Rehaklinik so etwas am Computer gemacht. Man wird in verschiedene Verkehrssituationen gebracht, der Stress wird erhöht. Es ist dann normal, wenn man nicht jegliche Teilsituation im Griff hat. Dieser Test dient aber nur der eigenen Sicherheit.

KaSy

* Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr“ des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesminister für Verkehr und Bundesminister für Gesundheit.
KaSy
fasulia
20.08.2019 09:21:38
@onlyjoking
das Antiepileptikum wurde so wie du es schilderst nicht wirklich prophylaktisch gegeben- sondern aufgrund eines "Beschwerdebildes",

ich würde die 3 Monate nach OP das Levi weiternehmen, dann mit einem Neurologen das Absetzen thematisieren/begleiten und nach weiteren 3 Monaten dann sehen, ob die geschilderte Symptomatik nochmal auftritt.

Vorsorglich schon jetzt einen Termin in einem Epilepsiezentrum ausmachen:
http://www.izepilepsie.de/home/index,id,47,selid,95,type,VAL_MEMO.html
die haben in der Regel mehr Erfahrung als niedergelassene Neurologen;
und sind kompetent in Sachen "Epilepsie und Straßenverkehr "
fasulia
buttkeis
20.08.2019 12:34:33
@fasulia

Keppra setzt man aber nur durch Ausschleichen ab dass ist ganz wichtig. Nsch einem vorgesehenen Chema
buttkeis
Onlyjoking
20.08.2019 19:22:59
Hallo ihr drei,

vielen Dank für eure Einschätzungen. Es stellen sich ja folgende Fragen:

1. Waren die Krämpfe (unter Einnahme des fälschlicherweise verschriebenen Antidepressivums) bereits fokale epi-Anfälle? Und kann das ein Epileptologe heute überhaupt noch feststellen?

2. Wenn man der Ansicht ist, es waren keine epi-Anfälle und man schleicht das Keppra aus, können dann durch das Absetzen epi-Anfälle auftreten (auch wenn es vorher keine epi-Anfälle waren)? Sprich: Kann alleine das Absetzen von Keppra epi-Anfälle auslösen?

Ich habe nun Ende Oktober einen Termin bei einem niedergelassenen Neurologen mit verkehrsmedizinischer Qualifikation und werde bis dahin Keppra weiter einnehmen.

Anfang November habe ich im Epilesiezentrum der Uni-Klinik, in der ich operiert wurde, einen Termin, um festzustellen, wie hoch mein Epilepsierisiko ist. (Leider ließen sich die Termine nicht in anderer Reihenfolge festlegen.)

Meint ihr, das ist die richtige Vorgehensweise?
Über weitere Einschätzungen / Erfahrungen würde ich mich sehr freuen!
Viele Grüße!
Onlyjoking
TumorP
20.08.2019 19:26:28
Hallo,
die Termine liegen leider noch recht fern. Zu 1 würde ich sagen Nein. Zu 2 dann bloß gaaaanz langsam ausschleichen, denn es können auch sonst durch das Absetzen Anfälle kommen. Risiko minimieren. Da ist der erfahrene Fachmann gefragt.

Viele Grüße
TumorP
Onlyjoking
20.08.2019 19:33:31
Hallo TumorP,

hatte dir gerade per PN geantwortet. Bist du dir sicher bzw. ist es eine gesicherte medizinische Erkenntnis, dass ALLEINE das Absetzen Epilepsie auslösen kann, auch wenn man bisher nie Anfälle hatte?

Viele Grüße
Onlyjoking
TumorP
21.08.2019 12:44:24
Hallo, Onlyjoking,
habe Dir einige persönliche Details geschickt. Muss noch einmal nachsehen, wo ich den Rest hingelegt habe. Ist ja ca 4 Jahre her.
Viele Grüße
TumorP
KaSy
22.08.2019 00:35:45
Hallo, Onlyjoking,
ich habe zu Deinen Fragen erst fachliche Erkundigungen eingeholt, um nichts Falsches zu schreiben.

1. Wenn die Krämpfe in der linken Wade nach dem Absetzen des Antidepressivums (AD) aufhörten, mit der erneuten Einnahme wieder auftraten und dann ohne AD nicht mehr vorkamen, dann sind sie vermutlich durch die AD ausgelöst worden.

Ob durch die Operation des Tumors Stellen in Gehirn derart beeinträchtigt wurden, dass dadurch epileptische Anfälle ausgelöst worden wären, lässt sich durch die Einnahme der Antikonvulsiva (Medikamente gegen epileptische Anfälle) nicht feststellen.
Allerdings sollte der Neurochirurg sagen können, ob anfallsrelevante Hirnareale überhaupt im OP-Gebiet waren.

Da aber Deine Krämpfe in der linken Wade durch die AD ausgelöst wurden und nach der OP keine Anfälle stattfanden, ist es nicht erforderlich, das Gehirn mit den Antikonvulsiva zu belasten.
Selbst nach einem einzigen postoperativen Anfall wäre noch keine derartige Therapie erforderlich!

2. Wenn jemand keine epileptischen Anfälle hatte und dennoch dagegen Medikamente nahm, wird er durch das Ausschleichen dieser Medikamente keinen Anfall erleiden.
Ein Neurologe, der viele Epilepsiepatienten behandelt, sagte, er hätte so etwas noch nicht gesehen.

Das ist ja auch logisch, denn durch die Medikamente entsteht ja keine Anfallsursache!

Demzufolge bleibe ich bei dem Rat, diese Medikamente mit ärztlicher Begleitung möglichst bald auszuschleichen.
Du willst wieder Auto fahren.
Die Zeit des Fahrverbots verlängert sich durch die weitere Therapie weit über die drei Monate hinaus.
Deine Unsicherheit, ob Du ohne Medikamente einen Anfall bekommen würdest, bleibt länger bestehen.


Ich halte Deinen Termin beim Neurologen für zu spät. Allerdings hast Du die Antikonvulsiva vermutlich vom Neurochirurgen erhalten, mit dem Du auch kurzfristig über das Ausschleichen sprechen kannst.

Wer Auto fahren möchte oder muss, für den wäre es eine Einschränkung seiner Lebensqualität, durch eine Therapie gegen nicht erfolgte Anfälle länger als unbedingt nötig auf das Fahren verzichten zu müssen.

Es geht ja auch um die eigene Sicherheit, weswegen auch das Radfahren besonders riskant ist.

Hinzu kommt, dass man nach längerem Nichtfahren auch länger braucht, um sich wieder sicher dabei zu fühlen.

Ich weiß, wovon ich rede.
In der Zeit, als ich wegen zweier verschiedener Anfälle 14 Monate nicht fahren durfte, hatte ich recht viele Arzttermine und mitunter Probleme, sie wahrnehmen zu können. Von sonstigen Fahrten zum Einkaufen oder zu schönen Orten im 5km-Umkreis rede ich da gar nicht.
Es hat dann auch länger gedauert, bis ich wieder (fast) so gefahren bin wie zuvor.
Ich muss (nach mehreren Hirntumiroperationen) die Antikonvulsiva nehmen und komme gut damit klar.

Dir wünsche ich, dass Du sie nicht brauchst!
KaSy
KaSy
Onlyjoking
24.08.2019 21:58:30
Hallo KaSy,

vielen herzlichen Dank für deine Einschätzungen. Da ich mich aktuell mitten in der "Bestrahlungsphase" befinde, hatte ich gestern ein sehr ausführliches Gespräch mit dem leitenden Oberarzt der Strahlenklinik. Lange Rede, kurzer Sinn: Hinsichtlich des Themas HirnOP und Autofahren hat er keine Ahnung, was er nach einigen widersprüchlichen Aussagen seinerseits auch zugab.

Allerdings gab er zu bedenken, und das habe ich selbst bereits mehrfach gelesen, dass durch die Bestrahlung am Resttumor eine Vernarbung stattfindet, die u. U. Epilepsie auslösen kann. Er riet mir daher, Keppra mindestens bis Ende Oktober weiter zu nehmen und während der Bestrahlung keinesfalls mit dem Ausschleichen zu beginnen.

Da ich ja Anfang November ohnehin den Termin im Epilepsiezentrum habe, passt das zeitlich ganz gut. Ich werde, wenn die Untersuchung dort positiv ausfällt, anschließend mit dem Ausschleichen von Keppra beginnen. Klar, die Zeit bis zum "wieder Autofahren" verlängert sich dadurch. Aber so bin ich auf der sicheren Seite. Ich fühle mich aktuell ohnehin nicht so fit, dass ich in den nächsten Wochen ans Autofahren denken würde.

Wofür ich dir besonders dankbar bin, ist die Aussage, dass durch das Ausschleichen von Keppra keine Anfälle ausgelöst werden, wenn man vorher keine Anfälle hatte. Dazu hatte ich nirgends etwas brauchbares gefunden.

Viele Grüße und danke nochmals!
Onlyjoking
NACH OBEN