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Thema: Rehabilitation wegen Muskelschwund

Rehabilitation wegen Muskelschwund
della
31.03.2017 14:44:23
Hallo miteinander,
mein Vater schleicht gerade, wie ich schon in einem anderen Thread geschrieben habe, aus der Cortisontherapie mit Hilfe einer kleinschrittigen Reduktion von Hydrocortison aus und ist jetzt bei 27,5 mg/Tag. Zuvor hatte er mehr als drei Monate Dexamethason bekommen. Seine Muskulatur baut immer mehr ab, er hat inzwischen massive Probleme beim Gehen, wenn er mehr als 20, 30 Meter (!) am Stück gegangen ist. Ihm knicken einfach die Beine ein, und zwar beide, sein Tumor ist aber nur rechts, so dass dieser nicht schuld daran sein kann. Er ist in den letzten drei Wochen schon fünfmal hingefallen. Zum Glück fällt er gut, er war lange Jahre aktiver Fußballer und hat gelernt zu fallen. Wenn er aber einmal liegt, kommt er nicht mehr hoch, weil auch die Bauch- und Rückenmuskulatur komplett abgebaut ist. Außerdem kann er sich nicht mehr auf dem Radergometer halten, auf dem er in letzter Zeit täglich trainiert hat. Er hat inzwischen einen dicken Ranzen, einen fetten Stiernacken und absolute Bleistiftbeinchen, die nur noch aus den Knochen bestehen. Ganz ganz übel. Ich mag gar nicht hinschauen, ich kann's nicht ertragen. Mein Vater, der immer so muskulös war... Meine Mutter lebt in Dauerangst, sie traut sich kaum noch aus dem Haus, weil sie immer denkt, er liegt wieder irgendwo auf dem Boden, während sie weg ist.
Wir waren deshalb beim Hausarzt und haben ihn gebeten, eine ambulante Reha zu beantragen. Wir haben ein sehr gutes Reha-Zentrum mit neurologischem Schwerpunkt am Ort. Den Antrag hat er ausgestellt, aber er hat gemeint, dass die Kasse das sicher nicht genehmigen würde, weil momentan ja auch die Chemo läuft (die er gut verträgt). Außerdem sagte er: "Bei Corticoid-Einnahme schmelzen die Muskeln wie Schnee in der Sommersonne, das ist normal." Na dann... Ein Physiotherapie-Rezept für KG nach Bobath hat er schon vor einer Woche ausgestellt, und drei Einheiten sind bereits gelaufen. Die aber sind schlicht ein Witz. Die Regelbehandlungszeit, die von der Kasse bezahlt wird, liegt bei 15 bis 25 Minuten. Das heißt, 15 Wiederholungen mit 40 kg und 15 mit 50 kg an der Beinpresse, ein paar Minuten Fuß-hoch-und-runter auf dem Step-Aerobic-Teil, und das war's. Wie soll jemand, der so unten ist mit der Kraft, auf diese Weise Muskeln aufbauen können?
Hat denn jemand hier Erfahrungen in der Beantragung ambulanter Rehabilitation bei diesem Krankheitsbild und laufender Chemo? Oder wär's besser, eine stationäre Reha zu beantragen?
Wir sind für jeden Tipp dankbar, denn so kann's nicht weitergehen.
Ganz liebe Grüße von
della
della
Andrea 1
31.03.2017 23:56:20
Hallo liebe Della,
zur eurer Rehaangelegenheit kann ich leider nicht viel beisteuern, aber vielleicht etwas, was deinen Papa "etwas" fitter werden/halten könnte.
Es gibt diverse Pedal-Arm- und Beintrainer, welche man sogar im Sitzen oder Liegen anwenden kann. Somit könnte er auch ohne, dass er sein Eigengewicht und Gleichgewicht halten muss, etwas "trainieren". Dabei ist es nicht zwingend notwendig, dass er riesige Gewichte stemmt, vielmehr gilt es seine kleinen und die innere Muskulatur zu stärken. Denn die sind sehr wichtig, um überhaupt eine gewisse Körperstabilität zu erhalten.

Solche Geräte gehen bei ca. 31,-€ los, wobei ich aber lieber etwas mehr ausgeben würde, da viele "Billiggeräte" nicht standsicher genug sind und herumkippeln sollte es während der Übungen nicht. Rs gibt sogar elektrische Geräte, leider fällt mir die Firma dazu im Moment nicht ein, auf jeden Fall kann man diese speziellen Geräte individuell auf den Patienten abgestimmt einstellen. Solltet Ihr euch unsicher sein, dann lasst euch von seinem behandelnden Arzt eines empfehlen, vielleicht übernimmt diese Kosten die KV oder RV.
Hoffe, dass euch das eventuell etwas hilft.
LG Andrea
Andrea 1
wando
01.04.2017 00:56:56
Liebe Della,

ich bin mir nicht ganz sicher, ob eine ambulante Reha jetzt das Richtige für die von Dir beschriebenen Beschwerden Deines Papa ist?

Bei mir waren durch sehr hochdosierte Cortisongabe auch die "großen Muskelgruppen" (wohl typisch bei Cortison lt. meiner Ärzte) betroffen und ich kam manchmal kaum aus dem Sitzen wieder hoch, konnte ohne Hilfe nicht aus dem Auto aussteigen und wenn ich mich einmal gebückt habe, kam ich ohne Hilfe gar nicht mehr hoch, so daß ich mich manchmal auf allen Vieren bewegen mußte, wenn ich mal etwas aus einem Schrank geholt hatte. Das Normalisieren dieses Zustandes dauert, braucht seine Zeit - bei mir hat es fast ein Jahr gedauert.

Ich war 6 Wochen zur Reha und habe dort auch u. a. täglich Physiotherapie bekommen. Aber das waren auch nur tägliche "Momentaufnahmen" von ca. 30 Minuten Dauer und manches durfte ich auch gar nicht. Man darf nämlich auch nicht unterschätzen, daß auch solche Maßnahmen einem Kranken sehr viel Kraft abverlangen, die er nicht hat und das würde ich bei Deinem Papa jetzt auch so vermuten.

Deswegen kann ich mich den Ausführungen von Andrea 1 voll und ganz anschließen. Dein Papa sollte schon etwas machen, aber das auch nur sanft und in Maßen, ansonsten erreicht man, in bester Absicht, das Gegenteil. Neben diesen Arm- und Beintrainern kann er es auch mit den Fitneßbändern probieren, die gibt es in verschiedenen Stärken.

Hinfallen tue ich auch regelmäßig, hab mich dabei auch schon ernsthaft verletzt. Bei mir hängt das aber mit dem Gleichgewicht zusammen, was mitunter einfach weg ist und ich dann rückwärts umfalle. Manchmal kann ich mich abfangen und manchmal nicht.

Ich wünsche Deinem Papa und Euch alles Gute.

Liebe Grüße.

Andrea
wando
karlmai
01.04.2017 19:35:26
Hallo liebe Della,
mein Mann bekam im April 2016 Dexamethason wegen einem Ödem verschrieben. Binnen kürzester Zeit konnte er nicht mehr alleine aufstehen. Die Po-Backen waren aufgefressen. Er hatte Probleme Pipi zu halten. Der Onkologe hatte verschrieben und uns nie aufs sofortige Absetzen bzw. Ausschleichen aufmerksam gemacht. Unverantwortlich.
Jetzt, ca 1 Jahr später, sind wir bei 1 mg.
Mein Mann trainiert mit motomed die Beine und Arme. Google das mal. Er sitzt auf dem Stuhl davor, die Beine können fixiert werden. Der Widerstand kann erhöht werden, die Dauer bestimmst du selber.
Außerdem gehen wir so viel wie möglich. Haben Therapie Knete, Bänder und Bälle. Auch wenn es äußerst anstrengt, wir bewegen so viel wie möglich. Das beginnt am Morgen im Bett.
Jetzt wurde eine Reha beantragt, die hoffentlich genehmigt wird.
Ich wünsche deinem Vater, dass er wieder auf die Beine kommt. Ich weiß, wie schrecklich dieser Zustand ist
karlmai
Andrea 1
02.04.2017 08:40:20
Richtig in zweifacher Hinsicht,
einmal Wando mit den Fitnessbändern, weil die kaum ein Eigengewicht haben und verschiedenst anwendbar sind, wie auch Karlmai; wegen des Gerätes "Motomed" (auf diesen Namen bin ich nicht mehr gekommen).
Die Firma Motomed ist zwar sehr sehr teuer, aber tatsächlich sehr gut und man kann sich ohne weiteres, entweder ein gut gebrauchtes Gerät kaufen oder man nimmt div. Angebote wahr, wo man das Gerät erst einmal 4 Wochen lang kostenlos testen kann. Keine Sorge, da gibt es nicht nur die Geräte, auf denen man sitzen muss, die haben eine große Auswahl an Geräten, welche man im Liegen und/oder aus einer sicheren Sitzposition anwenden kann, ebenso kann man es einstellen, wenn keine Kraft vorhanden ist, dass die körpereigenen Bewegungen damit entsprechend unterstützt werden ...und, es muss nicht zwangsläufig das allerneueste Modell sein.

Alles Gute allen Beteiligten, Betroffenen und Lesern hier...

LG Andrea
Andrea 1
Muschelsucherin
02.04.2017 09:05:59
Ich hatte den Tipp für das Motomed hier im Forum bekommen und habe direkt bei der Firma angerufen. Eine sehr nette Dame hat mir alles genau erklärt und ich habe dann über ein Sanitätshaus hier in der Umgebung eins geliefert bekommen zur Probe. Das hat die Firma alles selbst in die Wege geleitet.
Bei Anlieferung sagte mir der Fahrer, dass sie es nach ca. 4 Wochen wieder abholen würden und ich mir aber vom Hausarzt ein Rezept für das Rad ausstellen lassen könne, wenn er einen Fortschritt durch die Anwendung erkennen könne. Das habe ich gemacht
Die Krankenkasse prüft, ob sie noch gebrauchte Geräte hat und davon würden wir dann eins bekommen. Das läuft gerade noch.
Ist alles etwas umständlich, aber dann braucht man das Teil nicht selbst kaufen, denn die sind ganz schön teuer.
Vielleicht kann man es ja auch direkt über die Pflegekasse oder ein Sanitätshaus machen.
Im Internet findet man die unterschiedlichen Ausführungen.
LG
Muschelsucherin
Muschelsucherin
della
02.04.2017 15:57:30
Hallo Ihr Lieben,
vielen Dank für die vielen tollen Tipps, die guten Wünsche und die moralische Unterstützung! Ein kleiner Trost ist uns auch - sofern man überhaupt von "Trost" sprechen kann -, dass es anderen ganz genauso ging und noch geht. Man fühlt sich weniger alleine mit dem Mist.
Wir haben nun bei einer Online-Apotheke einen Pedaltrainer für Arme und Beine bestellt, runtergesetzt von 49,90 auf 25,15 Euro. Das Motomed schau ich mir nächste Woche in aller Ruhe mal an. Wir haben Fitnessbänder, Bälle, Stäbe, Wackelbrett, Stepper und Radergometer im Einsatz, aber der katabole Effekt selbst von Hydrocortison scheint so stark zu überwiegen, dass das Training für die Katz' ist. Allenfalls schaffen wir's, den Muskelabbau zu stoppen. Aber auch das ist nicht gewiss.
Was wando und karimai schreiben, kann ich bestätigen. Ist bei meinem Vater genau gleich. Null A... mehr in der Hose, er braucht Einlagen, und wenn er, wie heute vor dem Essen, nur zehn Minuten in der Küche steht und Spätzle durchdrücken will, klappen seine Knie ein, und er muss sich hinsetzen, sonst fällt er um. So schwach sind die Beine mittlerweile.
Die Ärzte, die ihm das Dexamethason verschrieben haben, haben uns nicht einmal gesagt, was das ist und wogegen das wirken soll, und von Absetzen oder Ausschleichen war zu keinem Zeitpunkt die Rede. Erst beim MRT nach Abschluss der Strahlentherapie hat der Strahlendoktor gemeint - ganz beiläufig -, ach, das Cortison können sie jetzt ausschleichen, reduzieren Sie mal um 1 mg je Tag. Das haben wir gemacht, und das war, wie berichtet, ein Desaster.
Generell frage ich mich: Was ist das für eine Art von Denken und Handeln in der modernen Medizin? Wenn ich mir die vier Prinzipien ethischen Handelns in der Medizin zu Gemüte führe, von denen drei in unserem Falle schon mal nicht wirklich beachtet wurden,
1. Selbstbestimmungsrecht des Patienten (respect for autonomy) -- keinerlei Info, was da im Tablettenschächtelchen drin ist und was das bewirken kann etc.
2. Prinzip der Schadensvermeidung (non-maleficence) -- Ödem weg, aber die komplette Muskulatur auch...
3. Patientenwohl (beneficence) -- gering, denn ohne Muskulatur keine Bewegung und kein gutes Leben mehr.
[4. Soziale Gerechtigkeit (justice)]
tauchen große Fragezeichen an meinem Horizont auf, ob das der richtige Weg sein kann...
Euch alles Gute und viele liebe Grüße
della
della
della
11.04.2017 07:06:32
Hallo Ihr,

hier ein kurzes Update zum Thema:
Die Krankenkasse hat eine 12-tätige ambulante Reha in einem auf neurologische Erkrankungen spezialisierten Zentrum genehmigt. Nach Ostern geht's los, täglich fünf Stunden sind geplant. Wir sind schon sehr gespannt, wie mein Vater das packt.
Die Temozolomid-"Kur" (5/23) macht ihn zu all dem Muskelabbau-Übel durch Cortison nämlich auch ganz schön fertig. Er hat nun den zweiten Zyklus begonnen, und wie beim ersten hatte er auch jetzt etwa drei, vier Tage nach Beendigung der Kapseleinnahme Probleme mit der Gangkoordination, und die Gummibeine waren noch schlimmer, als eh schon. Danach bessert sich die Koordinationsstörung so langsam wieder.
Kennt Ihr das von Euch/Euren Angehörigen auch? Im Beipackzettel stehen Koordinationsprobleme und Gangstörungen jedenfalls als häufige Nebenwirkungen drin, wenn ich mich recht erinnere.

Liebe Grüße von
della
della
Andrea 1
11.04.2017 09:58:39
Hallo Della, danke für dein Bescheidgeben.
Wegen der Nebenwirkungen von Temodal, da gibt es hier im Forum bereits Themen dazu, gib einfach mal die Begriffe "Nebenwirkungen Temodal" ein oder umgedreht.
Ich habe es schon des öfteren geschrieben, dass ich Anfangs die Chemo Morgens einnahm und erst nach paar Zyklen dann auf den Abend verlegte, was mir deutlich besser bekam, weil ich dann "den ersten Rasch" sozusagen verschlief. Klar, man fühlt sich schlaffi danach und wenn man so nur wenig Muskeln hat, dann ist es vermutlich noch heftiger mit den Folgewirkungen.

Bin gespannt, ob diese ambulante Reha nicht zu anstrengend für ihn ist/wird. Immerhin muss er sich dadurch jeden Tag zeitig "fertigmachen" und dieses "Hin- und Herswitchen" bewerkstelligen.
Ich glaube, dass ich das damals hätte nicht geschafft, aber bei mir war halt die Konzentration völlig weg, da hatte ich geistig extrem zu kämpfen.

LG Andrea
Andrea 1
della
20.04.2017 19:36:39
Hallo zusammen,
die Reha hätte heute begonnen. "Hätte" deshalb, weil mein Papa seit Dienstag wieder im Krankenhaus ist. Er hatte über Ostern extreme Probleme mit der Gangkoordination, konnte nur noch galoppierend hoppeln , ist um- und auch aus dem Bett gefallen - ganz schreckliche Situationen waren das. Seine Gesichtslähmung hat ebenfalls zugenommen, und der linke Arm ging am Dienstagmorgen plötzlich gar nicht mehr. Beim Mittagessen saß er mir gegenüber, hat zufrieden seine Pfannkuchen gegessen und ist plötzlich wie vom Blitz getroffen nach links vom Stuhl gekippt. Danach ging nichts mehr, er hatte spastische Lähmungen am linken Bein und war völlig neben sich. Ich habe ihn mit aller Kraft auf den Stuhl hochgehievt, meine Mutter hat die Rettung gerufen.
Das MRT gestern zeigte, dass der Tumor stark gewachsen ist und jetzt auch die linke Seite besiedelt, sowie ein großes Ödem. Die Ärzte haben alle Therapien gestoppt. Temozolomid und TT-F haben nicht die geringste Wirkung gezeigt.
Hochdosiertes Dexamethason hat ihn zwar etwas wacher gemacht, wir konnten uns heute gut mit ihm unterhalten, aber er hat keine Chance mehr.
Wir sind so unglaublich traurig, ich könnte den ganzen Tag nur weinen, ich kann einfach nicht fassen, dass sein Zustand so rapide schlechter geworden ist. Vor einer Woche haben wir noch zusammen im Garten gewerkelt und Pläne geschmiedet, was wir in welches Beet pflanzen wollen. Und jetzt das.
Mir zerreißt das Herz, wenn ich meinen Fels in der Brandung so sehen muss. Er sieht total verändert aus, wie er mit schiefem Cortisonmondgesicht so klein und verloren im Bett liegt. Ich bin sozusagen ein Papa-Kind und komme gar nicht klar mit der Situation. Ich lag heute eine Weile neben ihm im Bett, und wir haben zusammen geweint. Er hat mich gedrückt, gestreichelt und getröstet und immer wieder gesagt, du schaffst das.
Während ich diese Zeilen schreibe, setze ich mein Sofa mit meinen Tränen unter Wasser. Mein Freund, der meinen Vater seit fast 25 Jahren ins Herz geschlossen hat, ist auch am Boden zerstört. Wie's meiner Mutter nach 59 gemeinsamen Jahren geht, kann ich nicht in Worte fassen. Seine Freunde und unsere Verwandtschaft, alle sind sie fassungslos.
Ich warte darauf, aus dem Alptraum aufwachen zu dürfen. Aber ich weiß, es ist Realität.
Liebe Grüße von einer unglaublich traurigen
della
della
alma
21.04.2017 11:50:07
Liebe Della,

so ein Verfall ist schwer mit anzusehen. Hilflosigkeit zählt wohl zu den quälendsten Gefühlen. Dir sind buchstäblich die Hände gebunden und es tut furchtbar weh, einen nahestehenden Menschen leiden zu sehen.
Ich kenne das auch. Die Zeit steht still. Man ist in einem Ausnahmezustand. Und jeden Morgen nach dem Aufwachen der erste Gedanke: Hilfe, es ist wahr.
Viel Kraft für dich und deine Lieben.

Alma.
alma
Muschelsucherin
21.04.2017 13:14:42
Liebe Della,
ich kann Dich so gut verstehen, mein Mann hat vor einer Woche die Augen für immer geschlossen.
Ich war froh, ihn hier zu Hause sterben lassen zu können.
Er hatte keine Schmerzen und lag ganz ruhig.
Man möchte nur weinen, aber ich wollte, dass er meine Tränen nicht sieht und hört, damit er in Ruhe gehen konnte.
Ich habe bei ihm gelegen, ihn gestreichelt und immer wieder gesagt, dass er loslassen kann, ich schaffe alles.
Als ich einmal nur kurz aus dem Zimmer ging, hörte er auf zu atmen.
Das hörte ich im Nebenzimmer, ich habe mir ein Glas seines Lieblingsweins genommen, Kerzen waren schon vorher an und habe mich einfach nur bei ihm hingesetzt und lange von ihm Abschied genommen.
Es ist so schwer und ich bin so unendlich traurig, jetzt alleine zu sein, auch wenn die Kinder und Freunde mir helfen.
Es ersetzt einfach nicht den Partner.
Aber ich weiß auch, dass wir gegen diese Krankheit keine langfristige Chance hatten.
Della, sei tapfer, hilf deinem Vater auf dem letzten Weg, in dem Du ihn gehen läßt.
Stille und herzliche Grüße
Muschelsucherin,
die alle beneidet, die ihren / ihre Liebsten noch bei sich haben
Muschelsucherin
Andrea 1
21.04.2017 15:18:51
Liebe Della, ich weiß sehr gut, was Du gerade durchmachst. Fühl dich lieb gedrückt.
Als mein Vater sich nicht mehr aufrappeln konnte, habe ich es innerlich gespürt, dass seine Zeit bald gekommen ist.
Mir blieb nur ein Trost, dass ich ihn kennen und lieben durfte, er mir so unglaublich viel beibrachte, verschiedene Denkweisen mit auf meinen Lebensweg gab und zahlreiche schöne Erinnerungen.
Ich hoffe für dich und deinen Papa, dass ihr zusammensein könnt, wenn er gehen sollte und er sich nicht quälen muss. Das war mir leider nicht möglich, denn ich wohne einfach zu weit weg, um mal eben dorthin zu fahren, zumal ich damals selber gesundheitlich noch nicht so weit war, um 1.200 km zu fahren.

Von wegen die Zeit heilt alle Wunden, das tut sie nicht, man lernt lediglich damit irgendwie halbwegs umzugehen, dass man nicht daran zerbricht.
Ich wünsche dir ganz viel Kraft und Liebe.
Jemanden gehen zu lassen, wenn es unumgänglich wird, ist für mich die höchste Form von Liebe.
Stille Grüße...
Andrea 1
della
24.04.2017 08:46:44
Hallo Ihr Lieben,
vielen Dank für Eure Worte und die "Drückungen", sie haben mir viel gegeben. Als ich sie gelesen habe, sind mir nochmal die Tränen gekommen. Das ist alles einfach so traurig, und jede/r hier im Forum hat mein tiefstes Mitgefühl.
Mittlerweile hat sich der Zustand meines Vaters stabilisiert. Sein linkes Bein geht wieder, und den Arm kann er ebenfalls wieder heben, nur die Hand ist immer noch "weg". Geistig ist er wieder völlig klar, ich kann's kaum glauben - er liest, schaut TV, zeigt Interesse an allem Möglichen und unterhält sich ganz normal. Wir werden heute die MRT-Bilder in die Uniklinik zu den Ärzten schicken, die seine Therapien eingeleitet hatten, und dann schauen wir weiter.
Der Chefarzt in der Klinik, in der er gerade ist, hat uns gesagt, dass wir uns nach einem Platz in einem Pflegeheim oder in einem Hospiz umschauen sollen. Würdet Ihr das machen, oder würdet Ihr noch einen Versuch wagen, ihn auf die Beine zu bekommen, damit er wieder zu Hause mit meiner Mutter leben kann, natürlich mit Unterstützung der Diakoniestation etc.? So fit, wie er im Kopf ist, kann ich mir kaum vorstellen, dass er in so einer Einrichtung zufrieden wäre.
Vielleicht klingen meine Fragen naiv, aber ich bin zum ersten Mal in meinem Leben in so einer Situation und mit dieser komplett überfordert. Was mache ich richtig, was falsch?
Liebe Grüße
della
della
Andrea 1
24.04.2017 09:11:57
Liebe Della, das freut mich, dass dein Papa sich wieder so gut erholen konnte. Bei meinem Vater war es ein großes Auf und Ab, aber über 10 Jahre. Er hatte erst in den letzten paar Monaten Hirnmetastasen. Vorher mehrere Sorten Krebs, aber er war ein großer Überlebenskünstler, der sich immer wieder hochrappeln konnte.

Keine Sorge, deine Fragen sind keinesfalls naiv - solche Lebenskrisen kann man ja vorher nie üben! Man gelangt ganz einfach in diese Situation und muss dann zusehen, wie man es schaffen kann und für seine Lieben bestmögliches erreichen kann.

Mein Vater war mehrmals auf der Palliativstation und es tat ihm immer sehr gut, aber er konnte sie auch 2x wieder auf seinen eigenen Beinen verlassen, weil er es so wollte und darauf hinarbeitete.
Von dem Aspekt her, würde ich euch vielleicht doch einen Hospizplatz anraten.
Besprecht es am besten nochmal genauer mit seinen behandelnden Ärzten und Krankenschwestern aus der Klinik. Sie erlebten ihn ja jetzt täglich.
Es muss ja nicht sein, dass es tatsächlich seine letzte Station
sein wird, aber er wird einfach sehr liebevoll, Rund-um-die-Uhr und kompetent betreut, ihr seid körperlich etwas entlastet und braucht euch keinerlei Vorwürfe zu machen, wenn es doch zum Unvermeidlichen kommen sollte.
Da dein Papa aber wieder so gut drauf ist, würde ich ihn fragen, was er will, denn das ist fürseinen Genesungsprozess das Allerwichtigste.
Vielleicht könnt ihr ein mobiles Palliativteam bekommen.
Keine Sorge, Palliativpflege muss nicht immer der letzte Weg sein, aber wenn, dann seid ihr wirklich sehr sehr gut unterstützt.

In solchen Situationen gibt es kein Richtig oder Falsch. Lass deinen Papa entscheiden, solange er kann, das gibt ihm echte Lebensqualität, seid geduldig, wenn er sehr viel langsamer reagiert, als ihr von ihm kennt, denn es könnte durchaus sein, dass er nicht schneller reagieren kann. So ging es mir damals kurz nach meiner OP. Viele hielten mich - salopp gesagt - für "bescheuert", dabei bekam ich noch alles mit, außer Negatives. Ich konnte einfach nicht so schnell reagieren, da ich geistig schnell überfordert und sehr schnell übermüdet war.
Andrea 1
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