Liebe junge Mama,
mein Mann war bislang nur auf der NCH zwei Wochen stationär, drei Wochen später war die Radiochemotherapie, da sind wir jeden Tag reingefahren. Mein Mann hatte nach der OP eine Hemiparese und ja es stimmt, die Prognosen des Professors bezüglich des Laufens und der Bewegung des Arms sind eingetreten. Mein Mann kann laufen wie vorher und daher musste er zur Bestrahlung auch nicht auf die Radioonkologie-Station.
Leider haben wir den NCH-Professor bei der Nachsorge nicht gesehen, da war nur seine sehr bemühte Assistentin da. Da ging es allerdings eher darum, was körperlich alles wieder geht. Es wurde keine einzige Frage nach kognitiven Einbußen gestellt, ob der Professor die gestellt hätte, weiß ich daher nicht.
Und leider hat mein Mann kognitive Einbußen und die waren es auch, die mich veranlasst haben, einen Pflegegrad zu beantragen. Mein Mann war vorher Unternehmensberater und musste alle seine Aufträge zurückgeben, da er so komplexe Denkleistungen nicht mehr über Stunden täglich leisten kann, zumal er immer mit jeweils anderen Menschen jeden Tag über Stunden kommunizieren musste.
Darauf, was wir kognitiv zu erwarten hätten, hat uns niemand vorbereitet, weder vor noch nach der OP. In einem amerikanischen Buch der Frau eines mittlerweile am Glioblastom Verstorbenen stand, dass der Chirurg sie vorgewarnt hätte, dass, wenn erst einmal Luft an ein Gehirn gekommen wäre, es nie mehr wie vorher würde.
Ich habe leider keinen einzigen Arzt vor der OP gesehen (vielleicht, weil er als Notfall in Corona-Zeiten eingeliefert wurde?), auch meinem Mann wurde nur mitgeteilt, was operiert würde, aber nicht, was er danach zu erwarten hätte.
Jedenfalls hat mein Mann sofort Pflegegrad 2 bekommen und, das ist besser als nichts bei dem kompletten Verdienstausfall, den wir jetzt haben. Seit der Umstellung von Pflegestufe auf Pflegegrad haben ja die kognitiven Ausfälle eine viel höhere Gewichtung als früher. Mein Mann, der von der Einstufung seiner Mutter vor Jahren noch die hohe Gewichtung des Zeitaufwandes in der Pflege kannte, wäre nie auf die Idee gekommen, einen Pflegegrad zu beantragen.
Und das fände ich, könnte von den Ärzten nach der OP oder spätestens beim ersten Nachsorgetermin, auch angesprochen werden, nämlich, ob die kognitiven Ausfälle so gross sind, dass ein Pflegegrad bewilligt werden kann.
Es ist eben nicht das Wichtigste, ob jemand wieder laufen kann, der Mensch muss ja den ganzen Tag allerlei komplexe Denkleistungen erbringen und konzentrationsfähig sein und mit anderen kommunizieren können, und wie das funktioniert, danach wurde bei uns im KH nicht gefragt.
Und man muss ja auch bedenken, dass das Pflegegeld erst ab Antragsdatum bezahlt wird und vielen Leuten entgeht so vielleicht dringend benötigtes Geld, da ihnen keiner gesagt hat, sie könnten In ihrem Zustand wohlmöglich genügend Punkte für einen Pflegegrad erreichen.
Aber es ist ja sehr gut zu hören, dass sie sich alle auf der Radioonkologie so um Euch gekümmert haben und das Palliativteam dazu geholt haben, um die Pflege zu Hause in die Wege zu leiten.
So Du es schreibst, bist Du ja rund um die Uhr beschäftigt. Es ist doch gut, das Du im Moment gar keine Zeit hast, über Deine Ängste und Sorgen nachzudenken und Dich stattdessen einfach auf das täglich Machbare konzentrierst. Mit den Ängsten und Sorgen kannst Du Dich immer noch beschäftigen, wenn sie sich nicht mehr wegschieben lassen.
Dass Du es neben Tumorerkrankung und Kleinkindern auch noch schaffst, die Firma aufrechtzuerhalten, ist enorm.
Und wie gut ist es, dass Dir Deine Eltern und Dein Bruder so den Rücken stärken.
Herzliche Grüße Rosa