Ich bin seit geraumer Zeit stiller, interessierter Leser im Forum und habe mit mir gerungen, mich aktiv zu beteiligen. Eine liebe Nutzerin hat dann den letzten Anstoß gegeben.
Ich bin ein Langzeitüberlebender, der seit 7,5 Jahren mit dem unliebsamen "Gast" Glioblastom lebt. Im Mai 2006 wurde ich zum ersten Mal operiert. Zwei Tage vor der Operation wurde der Tumor diagnostiziert (9,5 cm...) und ich entkam mit knapper Not einer Einlieferung in die Psychiatrie (Fehldiagnose: schwere Depression).
Die Operation verlief erfolgreich, der Tumor konnte "vollständig" entfernt werden. Nach zehn Tagen wurde ich entlassen und fühlte mich auf einem guten Weg - "noch mal Glück gehabt". Zur Klärung der weiteren Therapie wurde ich auf einen Onkologen verwiesen. Im ersten Gespräch erkundigte ich mich nach der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und spekulierte mit zwei bis drei Wochen. Der Arzt sah mich an, als wäre ich von einem anderen Planeten und erklärte, dass mindestens die nächsten acht Monate an berufliche Arbeit nicht zu denken sei. Darauf schaute ich ihn schräg an.
Es begann die euch allen bekannte Standardtherapie: Bestrahlung und sechs Temozolomid-Behandlungen. - Hier mache ich mal den ersten Schnitt: Weder im Krankenhaus noch beim Onkologen wurden meine Frau und ich darüber aufgeklärt, was es heißt, an einem Glioblastom zu erkranken. Es wurde keine psychosoziale Hilfe angeboten, noch wurden Anlaufstellen etc. genannt. Kurz: Der Patient und seine Ehefrau wurden mit der Diagnose völlig alleine gelassen.
2006 war ich 51 Jahre alt, habe viel und selbständig gearbeitet und war in meinem bisherigen Leben nie ernsthaft erkrankt. Von einer Sekunde auf die andere veränderte sich mein/unser Leben radikal. Am PC habe ich mir dann die ersten Informationen über Glioblastome eingeholt: Noch in der Rückschau bin ich bestürzt über das, was ich lesen musste!
Erschüttert bin ich zudem bis heute über das Verhalten der Ärzte: Der Professor war - zu Recht -stolz auf seine chirurgische Leistung (und ich bin ihm bis ans Ende meiner Tage dankbar dafür) und hatte damit seine Arbeit getan. Nachsorge? - Nicht das Problem des Krankenhauses! Erste Vorbereitung auf das Leben danach? - Keine Aufgabe des Krankenhauses! Vernetzung von Fachleuten verschiedener Fachrichtungen? - Kein Gedanke! Wie vielen von euch ist es ähnich ergangen? Wer ist an seiner erlebten Hilflosigkeit fast erstickt? Das gilt im übrigen gleichermaßen für Betroffene und Angehörige!
Das Leben bricht erst einmal zusammen wie ein Kartenhaus und jeder muss alleine schauen, wie er damit klar kommt! Die psychische / seelische Belastung ist enorm und wird von der Medizin immer noch weitgehend ausgeblendet. Das ist zumindest meine Erfahrung und nach meiner festen Überzeugung nicht hinnehmbar.
Ich bin im Sept. 2012 zum dritten Mal - erfolgreich - operiert worden (Rezidive) und habe im Nachgang wieder Bestrahlung und Chemo absolviert. Die Operationsbedingungen und die medizinische Versorgung (Bestrahlung) sind optimiert worden, die psychologische Betreuung leider nicht. Bis auf - im Vergleich zu euren Erfahrungen - kleinere Einschränkungen bin ich gut durch die 7,5 Jahre gekommen.
Ich bin dankbar für jeden Tag und versuche, so normal zu leben, wie es eben geht. Ich erlebe eine wunderbare Unterstützung durch meine Frau und wir unternehmen viel. Im Gegensatz zu vielen von euch habe ich das medizinische Standardprogramm durchlaufen und kann zu komplementären Behandlungen keine Erfahrungen beisteuern. Ich bin aber sicher, dass eine stabile seelische Verfassung und ein unterstützendes Umfeld viel beitragen können.
Ich habe nie gehadert und die Krankheit angenommen, habe somit versucht, meine Energie darauf zu richten, mich von diesem "Dreckstumor" nicht unterkriegen zu lassen. Ich schaue positiv nach vorne und setze mir Ziele. Ich habe - klingt vielleicht blöde - weiterhin Spaß am Leben und isoliere mich nicht. Ich akzeptiere es, wenn Dinge nicht mehr gehen und ich vor starken Belastungen kapitulieren muss, wenn ich Wortfindungsprobleme oder "Durchhängertage" habe...
Ich kann natürlich leicht reden bei meinem ungewöhnlichen Krankheitsverlauf, das ist mir klar. Dieses Forum ist eine wertvolle psychosoziale Hilfe, wir können uns austauschen. So blöd ist der Spruch "Geteiltes Leid ist halbes Leid" gar nicht, viele Beiträge haben mir geholfen und der tägliche Blick ins Forum hat eine beruhigende Wirkung! Ich wünsche euch allen nur das Beste!
Ralf