Liebe Gramyo,
Seit einiger Zeit schreibe ich nicht mehr so intensiv hier im Forum, weil ich von äußerst widerstreitenden Gedanken und Gefühlen bewegt werde... Aber Dein Thema, liebe Gramyo, passt dazu recht gut...
Mein Mann ist im Hospiz und ich besuche ihn jeden Tag 2 mal.
Er hat sich so sehr durch die Erkrankung und die Nebenwirkungen verändert, dass er mir nah und im nächsten Moment komplett fremd erscheint.
Was immer wieder als intensive, gemeinsame Zeit beschrieben wird, kommt im Moment nur sehr selten vor.
zu sehr bin ich wohl noch getrieben von den Dingen, die im realen Leben anstehen. Ich bin gezwungen, dass Büro meines Mannes aufzulösen, da wir die Geschäftsräume nicht halten können. es ist so, als packte ich gerade ein Teil seines Lebens in Kisten und trage sie davon... Dabei bin ich so traurig, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Der Gedanke, was von einem Leben übrig bleibt....
Ich habe schon geschrieben, dass die Leichtigkeit aus unserem Leben ein Stück verschwunden ist. aber ich bin davon überzeugt, dass er für immer ein fester Bestandteil unseres Lebens bleiben wird. Wenn er sich verabschiedet, bleibt ein Schatz an Erinnerungen.
Und die überwiegende Zeit, die uns gemeinsam verbracht haben, war geprägt von Liebe, Vertrauen und Zuversicht. Die Sonne hat uns geschienen und es war eine wahre Freude. Ich bin dankbar und glücklich, dies gehabt zu haben.
Auch die Haltung, die er in dem Schlamassel bewahrt hat, wie er auch jetzt noch darum bemüht ist, niemandem zur Last zu fallen und uns gerade auch mit seiner Entscheidung, in einem Hospiz sterben zu wollen, hilft, uns mit einem Leben ohne ihn zu recht zu finden... Dafür gesorgt hat, dass die Kinder Rückzugsmöglichkeiten haben, der Pflegesituation nicht Tag und Nacht ausgesetzt sind und mir es erlauben Ehefrau und Partnerin zu bleiben und nicht zur Nur-Pflegerin zu werden.
Heute weiß ich, dass ich die Pflege zuHause, die Betreuung der Kids, die Dinge rund um seine Firma und meine eigene Berufstätigkeit niemals geschafft hätte. Er wusste (oder ahnte) es schon viel früher.
Ich finde ihn groß und sehr weitsichtig.
Dass er inzwischen täglich neu lernt, dass er halbseitengelähmt ist, dass er oft nicht weiß, wo er ist, mitten im Satz abbricht und zur Fernbedienung des Fernsehers greift... Vergisst, das man Tabletten nicht nur in den Mund nehmen, sondern bitte auch runterschlucken soll, all dass ist ja eigentlich nicht er, sondern nur bewirkt von dem Tumor. Der ihn langsam aber sicher zerstört... es ist und bleibt also ein Abschied auf Raten.
Wir haben schon vor einiger Zeit über seine Abschiedsfest gesprochen.
Das letzte große Fest im hier und jetzt, bei dem er sich selber als Gastgeber sieht, das er in weiten Teilen vorgegeben hat und festgelegt hat. Nicht alles, aber immer mal wieder Details, für die ich ihn liebe.
Wir waren gemeinsam auf der Beerdigung einen Nachbarn, haben überlegt, ob wir gehen wollen, ob es uns gut tut oder eher beschädigt. Aber als wir darüber gesprochen haben, stellten wir fest, dass wir beide neugierig waren. Wir haben im Anschluss diskutiert, ja, wie früher, als wir unsere Hochzeit geplant haben und andere Feiern zum Vergleich herangezogen haben...
Ich bin sehr dankbar, dass wir schon vor einiger Zeit gemeinsam unseren kleinen Garten auf einem Waldfriedhof ums Eck ausgesucht haben. Ein Ort, den wir gesucht und gefunden haben, eine Stelle zum Verweilen, zum Erinnern, rumpuzzeln und traurig sein. Eine Stelle, an der wir uns irgendwann wieder treffen werden.
Uns hat es gut getan und keinerlei Angst gemacht. Zu dem Zeitpunkt, hat es uns als Paar gestärkt und ich vermute, dass ich von dieser Kraft, wenn es soweit ist, ihn beim Kleinen Gärten zu besuchen, noch lange zehren werde.
Das Abschiedsfest wird traurig, aber wir möchten beide, das es eine lebendige Feier mit Aktivität wird. Gemeinsames Singen, musizieren, eine Rede vom Freund, ich selber möchte etwas sagen und ein befreundeter Pfarrer steht bereit. Es wird Luftballons geben, Rosen, Rotwein, Espresso und ein Gedenkbuch zum eintragen. Vielleicht auch einen dezent arbeitenden Fotografen, damit wir eine Chance haben, diese Bilder anzusehen, die vermutlich an uns vorbei rauschen. Die Kinder werden mit mir gemeinsam eine Abschiedskiste bemalen und freuen sich darauf, dass sie ihrem Papa ein Abschiedsgeschenk machen können.
Ach, hoffentlich wird alles ganz gut klappen...
Dabei vergessen wir nicht, worum es geht, er wird sterben. Aber die Kinder haben eine tolle Formulierung gefunden: wenn Papa es geschafft hat...
Die Sonne dreht sich weiter, das Leben hält nicht an, der Wurm wird vom Vogel gefressen, der Vogel von der Katze...
Jeden Herbst fallen die Blätter von den Bäumen..
Und jeder von uns wird sterben...
So ist das Leben und dazu gehört, dass wir uns in aller Regel nicht aussuchen können, wann, wo, woran wir sterben.
Aber bis es soweit ist, können wir für unsere Liebsten vorsorgen, unsere Angelegenheiten regeln, uns dann an den kleinen und großen Dingen im Leben freuen (ein besonderes Licht, dass vielleicht Blätter einer Pflanze zum Leuchten bringt, ein Schmetterling, der vorbei schaukelt, ein Quatsch, den die Kinder gerade mal wieder angestellt haben, ein guter Freund, der uns hält und Tag und Nacht für uns da ist, Menschen, die ihr Mitgefühl zeigen oder uns ablenken).
Und wenn uns die Schwermut mal wieder packt, dann auch dieses Gefühl zu lassen... Traurig sein, Zweifel, auch Verzweiflung und Zorn.
Wo Licht ist, ist auch Schatten. Und Gründe gibt es genug, obwohl doch ein einziger schon ausreicht
Ich weiß nie so recht, woher meine Energie im Moment kommt, aber vielleicht ist es auch nur der feste Glaube, dass der Tod uns zur rechten Zeit findet und uns als Freund begrüßen wird.
Und er, mein Mann, er wird nicht weg sein, nur weil er stirbt. Er wird bei uns bleiben für den Rest unseres Lebens.
Ist das kein Geschenk?
Verzeiht, es ist sehr lang geworden und ich habe Euch mein Seelenleben ausgebreitet...
Seid herzlich gegrüßt von Dirlis