Lieber Stefan,
das ist eine wirklich sehr schwierige Frage, die man - ohne Deine Mutter zu kennen und zu wissen, wie sie vermutlich reagieren wird - wohl auch gar nicht so richtig beantworten kann. Mir, meiner Schwester und meinem Vater ist es im Hinblick auf meine Mutter ähnlich gegangen. Meine Mutter hatte ein Astrozytom II bis III und ist zunächst bestrahlt worden, da der Tumor inoperabel war. Während der Bestrahlung war sie voller Hoffnung, daß sie den Tumor besiegen kann. Nicht zuletzt aufgrund der optimistischen Aussagen der behandelnden Ärzte haben auch wir geglaubt, daß jetzt zumindest für 1 oder 2 Jahre Ruhe ist. Bereits ein halbes Jahr später hatte sich jedoch an einer anderen Stelle ein weiterer Tumor gebildet, der - da dieses Mal operabel - operiert worden ist. Dieses Mal stand fest, daß es sich um ein Astro III handelt. Die Ärzte teilten uns nach der OP ebenfalls mit, daß der Tumor nicht vollständig entfernt werden konnte; die Ausbreitung des Tumors jedoch möglicherweise durch nochmalige Bestrahlung der neuen Stelle mit anschließender Chemotherapie hinausgezögert werden könnte. Zugleich wurde uns mitgeteilt, daß die Krankheit letztlich allerdings zum Tod meiner Mutter führen würde; in zeitlicher Hinsicht wurde jedoch keine Prognose gemacht. Meine Mutter war so stolz darauf, die 6-stündige OP überstanden zu haben, daß wir es nicht über das Herz brachten, ihr all das zu sagen, was uns der Prof. mitgeteilt hat. Wir haben ihr zunächst nur gesagt, daß es sich bei dem neuen Tumor um einen malignen Tumor handele; der Tumor jetzt aber ja erst einmal entfernt worden sei und wir versuchen müssen, ihn durch zusätzliche Bestrahlung und Chemotherapie am Weiterwachsen bzw. an der Neuentstehung zu hindern. Meine Mutter -mittlererweile hälftig gelähmt- hat dann auch die Bestrahlung tapfer und mit bewundernswertem Mut durchgestanden; d der Tumor aber bereits während der Bestrahlung schon wieder weitergewachsen und hat dieses Mal schrecklicherweise auch noch den Sehnerv angegriffen; d.h. meine Mutter konnte immer schlechter sehen und hatte furchtbare Angst davor, blind zu werden. Zunächst glaubte sie allerdings, daß das mit ihrem grünen Star zusammenhinge oder sie einfach nur eine stärkere Brille brauche. Die Ergebnisse in der Augenklinik ergaben allerdings, daß die Verschlechterung der Sehkraft mit dem neuen Tumorwachstum zusammenhängt. Wir haben immer und immer wieder überlegt, ob wir es meiner Mutter sagen sollen, haben es aber nicht getan, da wir dachten, daß meine Mutter dann verzweifeln würde. Stattdessen haben wir ihr Mut zugesprochen und gemeint, daß ja möglicherweise die Chemotherapie anspricht. Wir haben meine Mutter dann nach dem ersten Zyklus nach Hause geholt. Zunächst waren wir wieder alle guter Hoffnung, daß die Chemo vielleicht wirklich was bewirkt, hat sie aber nicht. Vielmehr hat sich der Zustand meiner Mutter von Woche zu Woche verschlechtert, Obwohl ich es mir so oft überlegt habe, mit ihr darüber zu sprechen, daß wir den Kampf möglicherweise verloren haben, habe ich es bis zuletzt nicht getan. Ich konnte es nicht, weil ich geglaubt habe, wenn ich es ausspreche, dann haben wir den Kampf wirklich verloren. Erst als meine Mutter nicht mehr ansprechbar war, sondern wie bewußtlos vor sich hindämmerte, habe ich zu ihr gesagt, daß sie wegen uns nicht mehr kämpfen muß, sondern beruhigt sterben kann und daß sie es dort, wo sie dann sein wird, bestimmt wieder schön haben wird. Ich weiß nicht, ob meine Mutter mich gehört hat. Ich weiß nur, daß ich es bis heute bereue, daß ich mit meiner Mutter nicht schon früher - als ich mich noch mit ihr unterhalten konnte - ganz ehrlich über ihr mögliches Sterben gesprochen habe. Denn vielleicht hätte ich ihr damit eine Last abnehmen können und sie hätte nicht für uns stark sein müssen, sondern hätte mit uns über ihre sicherlich sehr großen Ängste und Sorgen sprechen können.
Herzliche Grüße und viel Kraft für die kommende, sicherlich sehr schwere Zeit
Kristina