Hallo ihr alle,
ich bin kürzlich über dieses Forum "gestolpert" und habe schon viele Berichte gelesen und verfolgt. Ich hoffe, dass ich mit meinem Beitrag etwas Mut in schweren Stunden wecken kann.
Mein Vater ist 2010 das erste Mal an einem Glioblastom erkrankt. Der klassische Anruf erreichte mich,als ich gerade in Köln auf einer Messe war "Ich bin im Krankenhaus, werde Montag operiert, habe einen Gehirntumor,mach dir keine Sorgen". Natürlich habe ich mir Sorgen gemacht! Ich erinnere mich an den Abschied vor der OP. Das "was ist wenn er nicht mehr aufwacht?", die Symptome die mir vorher nie aufgefallen sind, Wortfindungsschwierigkeiten, seinen Versuch sich mit dem Handy einen Kaffe einzuschenken, die Schwerhörigkeit.. Nach der OP kam das Bangen. Ist der Tumor, 4x4x4 cm groß, links am Frontallappen, bösartig? Nach einer Woche die Gewissheit. Glioblastom WHO IV. Tablettenchemo und Bestrahlung begangen relativ schnell nach der OP. So meine Erinnerung. Der Arzt berichtete etwas von "nur 5% der Betroffenen erleben die nächsten 5 Jahre", trotzdem machte er meinem Vater Mut für die Therapie.
Tja, mein Vater wollte von den geringen 5% nichts wissen. Für ihn war die Erkrankung wohl so eine Art Weckruf. Ihm war klar, dass er das Biest in seinem Kopf irgendwie besiegt. Und es sah wirklich gut aus. Nach der erfolgreichen Therapie war er tatsächlich tumorfrei. Er hat seinen Job als selbständiger Unternehmer hingeschmissen,hat sein eigenes Ding gemacht, ist mit seiner Freundin für 7 Monate nach Südfrankreich gezogen und hat sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und so gelebt, wie es eigentlich jeder Mensch tun sollte, als gäbe es kein Morgen.
Neurologische Beschwerden hatte er nur wenig. Das Lesen und Schreiben viel ihm schwer und manche Wörter fehlten aber das empfanden wir alle als nicht nennenswert. Das "Schlimmste" für ihn war, dass seine langen Haare auf der linken Seite nun komplett fehlten und auch durch die Bestrahlung nicht mehr wachsen wollten.
2014 dann das Rezidiv. Erneute Chemo und Bestrahlung. Diesmal war der Tumor kleiner, aber die Belastung durch die OP größer. Mehr Wortfindungsschwierigkeiten, mehr Schwindel, Müdigkeit und Gangunsicherheiten. Trotzdem ging es nach der Therapie positiv weiter. Nur Autofahren war nicht mehr drin.Die vierteljährlichen Besuche im MRT oder CT, alle ohne Befund.Anfang 2018 galt Papa bei seinem Neurologen und seinen Kollegen schon als Urgestein der Glioblastomerkrankten. Der Popstar der Klinik. Es war vorsichtig von "Heilung" die Rede.
Dann Ende 2018 ist mein Vater unglücklich gefallen und hat sich den Oberschenkelhals gebrochen. Natürlich kommt sowas dann noch obendrauf.
Nach der OP viel ein ausgeprägtes Delir auf. Als dies sich nur wenig besserte wurde ein MRT veranlasst. Der Schock: Das Gliobiest ist wieder da, mit einer stattlichen Größe von 7x5x5cm, diesmal inoperabel. Sehr ungewöhnlich, da das letzte MRT vom September 2018 ohne Befund war. Leider ist diese Art von Tumor sehr unberechenbar, wie die meisten hier ja wissen.
Papa möchte keine Therapie mehr, keine Chemo mehr. Es ist genug. Auf die Nebenwirkungen der Chemo hat er keine Lust. Er möchte lieber noch ein paar schöne Tage/Woche zuhause verbringen. Dass er sterben wird weiß er. Er hat auch Angst, ich auch,aber ich habe vollstes Verständnis für seine Entscheidung.
Seine Lebensgefährtin und ich haben ihm ein Nest zuhause gebaut. Inklusive TV Sessel mit Aufstehhilfe und Co. Das Laufen mit dem künstlichenHüftgelenk läuft sogar ganz gut. Zum Glück. Dank einer guten Dosis von Dexamethason geht es ihm auch wieder viel besser. Er ist klarer und orientierter.
Momentan ist es wirklich gut so. Ich bin unendlich traurig,weil ich weiß, dass unsere Zeit zusammen dem Ende zugeht. Er wird seine Enkelkinder nicht kennenlernen und auch nicht erfahren ob ich nun heirate oder nicht, aber ich bin so dankbar für die geschenkte Zeit. Wir haben uns in den 9 Jahren seit der ersten Erkrankung viel besser kennengelernt, haben tolle Stunden zusammen verbracht. Und das letzte Stück Weg gehen wir auch zusammen. Ich habe Angst vor dem "Wie" und dem "Was" , weniger vor dem "Wann". Es wird eine schwierige Zeit, aber wir schaffen das.
Mein Vater gehört zu den 5%. Es gibt sie wirklich. Letztendlich gab es zwar keine Heilung,aber eine Chanche und die hat er perfekt genutzt.
Jetzt sitzt er gerade in seinem Sessel, wird vom Kater beäugt der auf den Schoß will und guckt Biathlon. So kann es weitergehen!
Ich drücke allen Kämpferinnen und Kämpfern die Daumen.
<3