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muklin

Hallo allerseits,

bei meinem Vater (69 Jahre alt) wurde am 12. März 2020 ein inoperativer Tumor diagnostiziert; am 17. März wurde er Biopsiert, am 20. März mit einem vorzeitigen Entlassungsbrief nach Hause geschickt: Glioblastom am Hirnstamm. Bis heute haben wir trotz Nachfrage in der Uniklinik, in der er biopsiert wurde, keinen endgültigen Befund bekommen.

Von Tag 1 an haben wir uns die Frage gestellt, ob es nicht besser ist, allem seinen Lauf zu lassen als zu therapieren. Dabei geht es einzig und allein um den Willen meines Vaters und darum, welcher Weg für ihn der bessere sei; er wird so oder so unabwendbar im Tode enden; eine Heilung oder Besserung ist ausgeschlossen.

Mein Vater meinte noch am 12. März: "Wenn ich nur so nebelig denke wie jetzt, dann lohnt es sich, mein Leben zu verlängern. Ich will auf keinen Fall auch nur einen Tag länger leiden als nötig. Und ich will auf keinen Fall im Krankenhaus sterben." Danach ging es schnell mit ihm bergab und er ändert nach jedem Gedächtnisschwund seine Meinung; also müssen wir sie für ihn fällen. Er möchte auch nichts mehr darüber hören und gibt alles in unsere Hände.

Wir haben uns über die Frage "Therapie ja oder nein" viel gestritten. Auf keinen Fall möchte er auch nur einen Fuß in ein Krankenhaus setzen. Vor allem nicht in Zeiten von Corona; wo wir ihn nicht einmal besuchen könnten. Dazu kommt, dass seine Muttersprache Russisch ist und er seit Diagnosestellung auch sogut wie gar kein deutsch mehr versteht und für ihn allein die 5 Tage in der Uniklinik (Biopsie) wie Monate vorkamen.

Mein Vater will nicht von meiner Mutter getrennt werden; er möchte an ihrer Seite sterben.

Am 30.03. haben wir mit einem Anruf bezüglich der Therapie nicht mehr gerechnet und uns darauf eingestellt, dass keine Therapie stattfinden wird.

Am 03. April wurden wir (endlich) von einer Arzthelferin aus der Ortsansässigen Strahlentherapie angerufen; sie wollte uns den ersten Termin zur Therapie nennen. Auf Nachfrage, ob sich eine Therapie überhaupt lohne oder anbiete und was denn jetzt mit dem endgültigen Befund ist, konnte sie nicht weiterhelfen und gab uns einen Gesprächstermin für den 06. April.

Bei diesem Termin meinte der behandelnde Arzt, mein Vater hätte eine Prognose von 6 Wochen und zeigte aus das CT-Bild vom 12. März, wenn er keine Therapie machen würde. Auf meinen Hinweis, dass das Bild vom 12. März sei, hat er kurz geschwiegen und dann nochmal betont, dass es dann umso wichtiger sei, dass wir mit der Therapie schnell beginnen. Mit einer Therapie hätte er noch locker eineinhalb bis ... da musste ich ihn unterbrechen: "Wie kann es sein, dass die Lebenserwartung von Menschen in seinem Alter mit Operation und Strahlen- und Chemotherapie laut Studien bei 12 Monaten ist, aber ohne OP angeblich bei über eineinhalb?" Er erwiderte dann nur: "Na gut, keine eineinhalb Jahre, aber deutlich länger als 6 Wochen." Das war schon komisch. Er sagte, dass er meinen Vater für fit erachtet, weil er noch selbst laufen kann und nicht im Bett liegend geliefert wird. Er hätte Bauchschmerzen, meinen Vater nicht zu bestrahlen.

Jedenfalls gab er uns einen Termin zum CT und zum Anfertigen der Maske für den 09. April. Er klang so, als würde die Therapie direkt am Dienstag nach Ostern beginnen; was in Anbetracht der Prognose auch Sinn macht, so schnell wie möglich anzufangen. Aber am Tag des CT's haben wir den Folgetermin genannt bekommen: der 20. April... Die 6-Wochen-Frist läuft am 23. April ab, aber die Therapie beginnt am 20. April. Da ist er statistisch gesehen schon in drei Tagen tot. Was bringt da eine Therapie noch? Wird so ein später Therapiebeginn nicht genau das verursachen, was mein Vater auf keinen Fall will? Dass er keine Lebensqualität hat sondern nur noch verlängertes Leid?

Zu seinem Zustand:

Bis kurz vor der Diagnosestellung war er noch topfit, auch wenn ein wenig vergesslich (wir dachten an eine langsam anschleichende Demenz) und an Rosenmontag habe ich eine leichte Muskelschwäche beim Puzzlen mit seiner Enkelin bemerkt; ich dachte es sei das Alter. Vier Tage vor Tag X wurde seine Vergesslichkeit deutlich schlimmer und er hat beim Autofahren "rechts-vor-links" überhaupt nicht mehr beachtet; nicht einmal in Erwägung gezogen, in der Straße nach einem eventuell herannahendem Auto zu gucken. Ich dachte, es läge an seinen schlechten Augen, und ein Draufgänger im Verkehr war er schon immer. (Jetzt fährt er natürlich nicht mehr)

Seitdem verschlechtert sich sein Zustand von Tag zu Tag merklich; ich kann die Verschlechterung der Merkfähigkeit nicht in Worte fassen. Er geht zum Händewaschen ins Bad und bleibt dann verdutzt da stehen, bis man ihm erklärt, was er zu machen hat. Man muss ihm erklären, wie er zu essen hat. Man muss ihm inzwischen beim Baden helfen. Für eine Unterschrift braucht er 20 Minuten. Gut, dass wir uns um die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung noch gekümmert haben, bevor er Biopsiert wurde, sonst hätten wir ernsthafte Probleme.
Vor ein paar Tagen haben wir das unweit entfernte Grab meines Bruders mit ihm besucht; diese wenigen Minuten Bewegung haben ihn für den Rest des Tages geschafft; er hat nur noch geschlafen. Dabei sind wir mit dem Auto hingefahren. Generell liegt er sehr viel und schläft viel. Er kann lange ohne zu schlafen liegen und meint danach, dass er gut geschlafen hätte. Er frühstückt und muss sich dann erstmal wieder hinlegen. Dasselbe Spiel nach dem Mittagessen. Nach dem Nachmittagstee. Immer.

Wir haben heute in dem kleinen Kreis, in dem wir ohnehin wegen den neuen Umständen verkehren, meinen Geburtstag bei ihnen gefeiert; also nur mein Vater, Mutter, meine dreijährige Tochter, mein Mann und ich. (Wir halten uns an die örtlichen Corona-Bestimmungen den Umständen entsprechend, wir nehmen Corona sehr ernst, aber das kleine Bisschen Normalität haben wir uns heute nicht nehmen lassen) Den ganzen Vormittag führten er und meine Mutter immer wieder folgenden Dialog:
Vater: "Was ist denn der Anlass für den Kuchen?"
Mama: "Deine Tochter hat heute Geburtstag."
Vater: "Ah, dann ist heute der 13. April."

Am Abend ging es dann so:
Mama: "Anna hat heute Geburtstag."
Vater: "Welche Anna?"
Mama: "Deine Tochter, die hier vor dir sitzt. Möchtest du ihr nicht gratulieren?"
Vater: "Was?! Du hast Geburtstag? Den musst du doch feiern!"
Ich: "Ja wir haben ihn doch heute gefeiert. Hier liegen noch die Reste vom Kuchen."
Mama: "Weißt du noch das Datum von ihrem Geburtstag?"
Vater: "Boah, ich verfolge doch das Datum nicht, ich weiß nicht welcher Tag heute ist."
Mama: "Wann hat Anna denn Geburtstag?"
Vater: "So am... 23ten?"

Also selbst im Laufe des Tages merkt man, dass es schlimmer wird...

Also: wir denken, dass sein Wille eher erfüllt wird, wenn wir die Therapie nicht angehen. Unsere Ängste sind, dass eben sein Leidensweg dadurch nur verlängert wird und keine Lebensqualität gewonnen wird. Auch wenn die gesamte Strahlentherapiepraxis inklusive Arzt sehr freundlich, zuvorkommend und geduldig mit uns waren, haben wir das Gefühl, nicht vernünftig beraten worden zu sein. Allein die Lüge, er könnte noch eineinhalb Jahre leben. Dann der späte Therapiebeginn.

Ist es normal, dass sich die Zeit von der Diagnose bis zum Therapiebeginn so dermaßen zieht? Ich meine nicht das subjektive Gefühl sondern die Zeitspanne; die Therapie beginnt hiermit frühestens fünfeinhalb Wochen nach Erstbefund. Sein Zustand hat sich seitdem extrem verschlechtert. Ich möchte durch einen weiteren Gesprächstermin die potentiell doch vielleicht erwünschte Therapie nicht noch weiter nach hinten verzögern, deswegen frage ich hier nach ehrlichen Erfahrungen oder Einschätzungen: würde eine so spät beginnende Therapie denn noch irgendwas positives bringen? Er wünscht sich nicht "um jeden Preis Lebensverlängerung", sondern vielmehr einen Menschenwürdigen Abschied im Kreis seiner Familie. Und er möchte auf keinen Fall auch nur einen Fuß ins Krankenhaus setzen. Ich bitte um Worte von euch; irgendwas An ehrlichen Informationen was uns hilft, für meinen Vater die richtige Entscheidung zu treffen.

Und danke, dass du dir die Zeit nimmst, bis hierhin zu lesen.

Prof. Mursch

Sie sollten mit Ihrem oder besser seinem Hausarzt sprechen, diese sehr differenzierten Gedanken mit ihn erläutern und bitten, sich palliativmedizinisch beraten zu lassen.
Die Entscheidung für eine Therapie scheint ihr Vater nicht mehr selber treffen zu können, auch dies sollten Sie besprechen.


Prof. Dr. med. Kay Mursch
Neurochirurg
Zentralklinik Bad Berka

KaSy

Liebe muklin,
ich möchte Dir noch sagen, dass Du Dich bitte nicht an den Tagen und Zeiträumen festklammern solltest.

Die genaue Diagnostik des Tumors dauert mehrere Tage, sie ist erforderlich, damit die Tumorkonferenz über die passende Therapie beraten kann. Das ist kaum schneller möglich. Damit die empfohlene Bestrahlung möglichst schnell beginnen kann wurde die Strahlenklinik auf direktem Weg informiert.
Das Arztgespräch fand am folgenden Werktag statt.
Nach dem Planungs-CT und der gleichzeitigen Maskenanfertigung benötigen die Physiker der Strahlenklinik eine Woche für die exakte Berechnung für die Bestrahlung.
Und ob Dein Vater noch 6 Wochen oder 18 Monate leben würde, das kann keine Studie und kein Arzt und auch ihr nicht voraussagen.

Quäle Dich bitte nicht mit diesen Zahlen.

Seid für euren Vater da, nehmt ihn so wie er ist.

Der Arzt möchte ihm wirklich helfen, er hat eine Therapiemöglichkeit, aber auch er kann nicht wissen, ob und wie sie wirkt.

Vielleicht sind es die letzten Tage deines Vaters, vielleicht lebt er noch einige Wochen, Monate. Genießt die Zeit mit ihm, macht sie ihm so schön wie möglich.

Ein Palliativteam unterstützt euch, hilft euch bei Entscheidungen und auch mit Ideen, was ihm gut tun könnte.

Suche bitte nicht die "Schuld" bei zu langen Zeiten oder Ärzten, es ist dieser verdammte Tumor, für den niemand etwas kann.

Lebt seine Zeit besonders intensiv mit ihm, für ihn und für Euch alle.

KaSy

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