Liebe Tonton,
ich kann Dich gut verstehen. Heute auf den Tag genau ist meine Mutti mit 76 Jahren vor 9 Monaten verstorben, nach einem sehr schweren und herzzerreißendem Todeskampf aufgrund einer schweren Hirnblutung. Es kam vollkommen unerwartet. Sie war eine Woche im Krankenhaus und nicht mehr ansprechbar, so daß eigentlich vom ersten Tag an klar war, daß jede Minute die Letzte sein könnte. So bin ich auch damit umgegangen. Mein Sohn und ich sind jeden Tag nur zum Schlafen nach Hause gegangen und waren ansonsten die ganze Zeit bei ihr. Jeden Tag um Mitternacht und morgens gegen 6.00 Uhr habe ich im Krankenhaus angerufen und mich nach ihr erkundigt. Auch so an ihrem Todestag - mein Sohn und ich wollten gerade frühstücken, da rief die Ärztin an, daß sie eingeschlafen ist. In dieser Zeit habe ich mich bei jedem nach Hausegehen innerlich von ihr verabschiedet, immer in dem Gewissen, daß ich die ganzen Jahre über alles nur Erdenkliche für sie getan habe und sie eine schöne Zeit hatte. Das war eine große Beruhigung für mich, für uns.
Sei einfach nur für sie da, halte ihre Hand oder sitz nur still da. Das ergibt sich aus der Situation heraus. Du fühlst, was sie selbst möchte. Das ist wie ein inneres Band.
Nach ihrem Tod habe ich auch tausend Dinge durchlebt, von Traurigkeit, über Einsamkeit, bis hin zur Hilflosigkeit. Die Fürsorgerin im Krankenhaus sagte mir als meine Mutti noch lebte, das es etwas ganz besonderes sei, wenn die eigene Mutter stirbt. Man durchlebt dann so etwas wie eine "zweite Pubertät" und merkt dann sehr schmerzlich, daß man dann plötzlich wirklich allein ist (in Bezug auf die elterliche Familie). So habe ich das dann auch wirklich empfunden und habe viele schlaflose Nächte gehabt. Obwohl meine Mutti sehr schlimm dement war, hätte ich so gern noch viel Zeit mit ihr verbringen wollen, trotzdem es manchmal sehr schwierig war.
Ich habe mir dann ein Buch gekauft mit dem Titel "Wenn die alten Eltern sterben". Darin werden von verschiedenen Betroffenen ihre eigenen Geschichten zum Tod der Eltern beschrieben, mit all ihren Empfindungen. In vielen Dingen habe ich mich selbst wiedergefunden. Dieses Buch hat mir sehr geholfen.
Ich spreche aber viel mit meiner Mutti, wie auch mit meinen anderen verstorbenen Angehörigen, streichle ihr Bild oder denke an sie in den unterschiedlichsten Formen. Ich habe für mich so ein Ritual eingerichtet, wenn einer meiner Angehörigen verstorben ist, dann habe ich eine große, dicke weiße Kerze gekauft und die am Sterbetag angezündet. Diese Kerze entzünde ich dann immer wieder an besonderen Tagen, wie Geburtstag, Todestag oder, wenn mir einfach danach ist - solange bis sie runtergebrannt ist. Heute habe ich diese Kerze für meine Mutti wieder angezündet und ihr aus dem Garten eine schöne Blume geholt und an ihr Bild gestellt. Diese Rituale geben mir Kraft und Frieden.
Liebe Tonton, ich wünsche Dir viel Kraft auf diesem schweren Weg, mach das, was Dir und Deiner Mutti guttut, Dein Gefühl wird Dich leiten.
Ganz liebe Grüße an Dich.
Andrea
P.S. Eines ist ganz wichtig, verdränge Deine Gefühle nicht, lebe sie aus.
Ist Deine Mutti eigentlich zu Hause?