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Thema: Vater (72) mit Glioblastom

Vater (72) mit Glioblastom
girlie72
23.09.2016 14:41:36
Hallo liebe Forenmitglieder!

Ich bin seit Mitte Juli stiller Mitleser und habe mich gestern dann endlich registriert, weil ich das Gefühl habe, mich hier wenigstens mal ausreden zu können.

Mein Vater wird in ein paar Tagen 72. In der letzten Juniwoche ist er zuhause gestürzt, hat es verheimlicht und ist eine Woche drauf zu Ferienbeginn mit meiner Schwester und seiner Frau nach Griechenland geflogen. Dort ist er ebenfalls öfter umgefallen, was nicht mehr zu verheimlichen war. Irgendwie haben sie die Woche durchgedrückt, was für alle nicht schön war. Für die Rückkehr nach Wien wurde schon eine Rettung nötig, die ihn ins nächste Krankenhaus brachte mit Verdacht auf Schlaganfall.

Dann die Diagnose Raumforderung mit Verdacht auf Hirntumor, sofort ins nächste Krankenhaus und dort Operation. Das ging recht flott und es wurde größtenteils alles entfernt. Nach 10 Tagen wurde er heimgeschickt und die drei Tage, die er zu Hause war, ist er jeden Tag gestürzt und hat sich wehgetan. Daraufhin wieder ins KH, das dritte, wo sowieso eine Woche später die Chemo- und Strahlenterapie startete.

Dort ist er noch und hätte eigentlich 6 Wochen diese Therapie machen sollen. Er ist aber seit Anfang an schwerst depressiv und kann seinen jetzigen Zustand so gar nicht akzeptieren. Vor einer Woche hat er beschlossen, sich zu weigern, weiter Physio-, Ergo- und Psychotherapie zu machen, weil es in seinen Augen nichts besser mache. Es reicht ihm nicht, dass es wenigstens nicht schlimmer wurde (Hemiparese links, er kann sich dazu noch vor Schwäche nicht mal allein im Bett aufsetzen).

Leider zwei Tage später Abbruch der ChemoStrahlenTherapie weil seine Blutwerte so schlecht sind, das war vor ca. einer Woche. Dann haben sich vorgestern seine Werte so stark verschlechtert (die Ärztin sagte er hat keine Blutplättchen? Leukozyten? was auch immer mehr), dass er in Quarantäne kam und Besucher Schurz und Maske bekommen.

Leider ist mein Paps 300 km entfernt von mir und ich kann ihn nur alle zwei Wochen besuchen, ich bin selbst mit Behinderung seit langer Zeit Invaliditätspensionist und habe auch einen 9jährigen Sohn mit ADHS. Vor ein paar Jahren habe ich mich vom Vater meines Sohnes getrennt und lebe seitdem im Haus meines Vaters, da er selbst bei seiner Frau wohnt und das Haus sollte wohl mal an seine Kinder - meine Schwester und mich - vererbt werden. Das wird nun wohl nicht mehr passieren, weil Papa keine Zeit mehr haben wird, seine Angelegenheiten zu regeln und hier wäre viel zu regeln.

Mir ist das Herz so schwer, habe Angst um meinen Papa, mit seiner Frau habe ich ein eher unterkühltes Verhältnis, ich bekomme keine Infos, habe mein eigenes kompliziertes und finanziell sehr knappes Leben und jetzt noch Angst dass er jetzt wieder geht, wie schon nach der Scheidung von meiner Mutter, und uns einfach mit allem sitzenlässt.

Ich würde so gerne einmal ein offenes Gespräch mit ihm führen, aber das würde ihn sehr verletzen. Er macht sich vor, dass wir uns alle lieb haben und eine große glückliche Familie sind, weil wir uns alle so um ihn sorgen.

Soll ich einem zum Tode verurteilen die Wahrheit sagen? Oder ihm was vorspielen? Ich bin so hin- und hergerissen, wenn es Papa noch schlechter geht kann ich gar nicht mehr reden mit ihm und geklärt wird auch nichts. Unser Leben wird aber weitergehen, ich muss an mein Kind denken, und wenn dann auch noch eine Zeit der Trauer ist, die sicherlich kommen wird, bekommen wir dann gar nichts mehr auf die Reihe ...

Wie geht es anderen Angehörigen damit, wenn so viel geklärt werden müsste ... schonungslose Aufklärung? Rücksichtnahme? Es ist so schwer sich zu verstellen.

So erstmal viel zu lesen, vielleicht etwas durcheinander. ich freue mich jedenfalls, dass ich mir das von der Seele schreiben konnte.

Alles Liebe euch allen! - girlie72
girlie72
alma
24.09.2016 19:32:39
Ein trauriger Weg. Auch, weil es so unvorbereitet kommt und doch recht schnell geht.
Nein, ich würde nicht die Wahrheit sagen. Ich würde ihn den Takt vorgeben lassen. Er kann das in seinem Zustand ja auch gar nicht verarbeiten. Ein Gesunder kann sich das schwer vorstellen, aber es gibt Lebenslagen in der Krankheit, die an sich schon überfordern. Da ist dann kein Platz mehr, selbst im Schweigen nicht.
Es ist auch eine falsche Vorstellung, mit einem Gespräch das klären zu können, was sich in Jahren angestaut hat.
Familien sind oft so. Da liegt vieles unbearbeitet an der Seite und eigentlich bräuchte man einen gemeinsamen Therapeuten, um das zu erledigen, und auch dann kann es Jahre dauern.
Glaube also bitte nicht, dass du im Schnellverfahren das Liegengebliebene mit deinem sterbenskranken Vater auf die Reihe bringen kannst.
Ich gebe nicht so gern Ratschläge, was das angeht, weil ich von hier aus nicht so viel Einblick nehmen kann. Aber:
Geh freundlich und liebevoll mit ihm um, teile dir die Begleitung und Pflege mit seiner Frau, also rangele nicht mit ihr um den ersten Platz.
Es ist nicht leicht, jemandes Tod zu betrauern, mit dem man noch so viel Unerledigtes hat, aber es ist zu schaffen. Wie du damit klar kommst, hängt auch ein bisschen davon ab, wie viel Haltung du dir jetzt bewahrst.
Mit Vorspielen oder Heuchelei hat das nichts zu tun. Eher mit Reife, z.B. der Fähigkeit, sich zurückzustellen, wenn Not am Mann ist.

LG, Alma.
alma
Maggy19
26.09.2016 14:04:20
Liebe girlie72,

ich verstehe Dich, bei mir ist die Situation nicht so unähnlich, die Entfernung, das Alter meines Vaters, die depressive Stimmung...

Vielleicht könnten wir uns ja mal per Nachricht ausführlich unterhalten?
Ich bin auch aus Österreich

LG
Maggy
Maggy19
girlie72
26.09.2016 15:44:45
hallo liebe forenmitglieder!

@alma,

du hast recht. ich bin jetzt auch selbst schon über das klären wollen hinaus, weil es meinem papa so schnell immer schlechter geht und ich nur noch die zeit, die uns noch bleibt, so schön wie möglich mit ihm verbringen will. ich suche auch wieder einen therapeuten, um selber nicht durchzudrehen. ich bin gezwungenermaßen auf der suche nach einer neuen bleibe und was passieren wird, passiert eben. auf die unterstützung, die ich erhofft habe, zähle ich nicht mehr. um einen ersten platz rangeln brauch ich nicht, mein psychiater hat mir das schon klargemacht dass sie immer noch eifersüchtig ist auf die kinder seiner ex und sie einfach angst hat. wir reden sachlich und neutral miteinander, das klappt ganz gut. herzlich wird es nie geben soviel lügen und sich verstellen kann keiner.

am sonntag hab ich ihn besucht, mit meiner schwester. mit haube und mundschutz und schürze, weil seine blutwerte so im keller sind, er bekommt thrombozytenkonserven, seit heute auch blutkonserven. im mund hat er soor und kann vor lauter schmerzen nicht schlucken, trinkt und isst auch seit ein paar tagen nichts mehr. das sprechen fällt ihm schwer. er bekommt trittico und noch irgendwas, xanor oder alprazolam ich weiß es nicht genau. tag und nacht haben sich umgekehrt, tagsüber schläft er viel und in der nacht grübelt er über seine sorgen, hat mir die ärztin (ich telefonier täglich mit ihr) gesagt. er hat sich irgendwie aus seinem krankenhaushemd gewurschtelt und lag mit nacktem oberkörper da, seine arme und schultern nur noch haut und knochen, auf der brust rote punkte, die linke hand wie totes fleisch neben ihm. hören tut er auch schlecht.

er glaubt nichts was ihm die ärzte sagen - und wie gesagt er macht auch keine therapien mehr, und daher baut er rasant ab. traurig mitanzusehen, aber ich kann seine entscheidung, nicht kämpfen zu wollen, nicht beeinflussen.

ich kann ihm nur die hand halten und die wange streicheln oder meine hand auf die brust legen, sagen kann ich nichts.

@maggy19,

ja gerne!

LG, girlie
girlie72
girlie72
19.10.2016 17:22:37
hallo!

ich wollt mich nochmal melden. heute um 11 uhr ist papa gestorben. die diagnose war im juli, die ersten anzeichen waren ende juni. nicht einmal 4 monate. unfassbar in welchem tempo das biest wütete.

wenigstens ist er friedlich gestorben, auf der palliativstation des kh krems, wo sich liebevoll um ihn gekümmert wurde. seine frau war tag und nacht bei ihm bis zuletzt. er war schon ein paar tage unter starken medikamenten, in den letzten tagen ohne Bewusstsein, fast komatös. aber sie haben ihn nicht unnötig gequält.

muss das mal sacken lassen, war mir ein bedürfnis es mir hier runterzuschreiben ...

alles liebe, nicoletta
girlie72
girlie72
24.10.2016 15:43:33
@alma:

ich hab ihn, wie du geraten hast, nicht mit belastenden themen gequält und wir haben uns alle immer in liebevoller einigkeit an seinem krankenbett getroffen. das wär auch wirklich nicht gegangen, irgendwas zu besprechen. und ich werd mir für die zukunft im hinterkopf behalten, dass seine frau wirklich jeden tag und die letzten wochen auch jede nacht bei ihm geblieben ist und ihm zum schluss auch bei ihm war. so eine partnerin kann man sich nur wünschen.

was mit uns jetzt passiert, werden wir sehen.

lg n.
girlie72
alma
24.10.2016 16:17:16
Liebe Nicoletta,

erst einmal mein herzliches Beileid.
Als Gesunder kann sich schwer hineinversetzen in die Lage eines Sterbens-kranken. Wie auch? Man versteht die körperliche und geistige Schwäche nicht und auch nicht, dass der Fokus ein anderer ist. Was der Gesunde noch erledigen möchte, ist dem Kranken vielleicht egal. Dazu kommt, dass dein Vater nicht viel Zeit hatte, sich mit der Krankheit zu befassen. Er brauchte ab der Diagnose Stabilität und Sicherheit. Oder wenigstens die Illusion davon. Wohl kaum einer ändert seine bewährten Methoden, mit den inneren Problemen zurecht zu kommen, wenn er ahnt, dass er in Gefahr ist.
Und als Angehöriger ist man aufgewühlt. Im aufgewühlten Zustand kommt so viel an die Oberfläche, dass man es selbst kaum bewältigen kann.

Ich denke, ihr habt es gut gemacht. Trotzdem die Frage: wie geht es dir? War es auch für dich gut so? Was machst du mit den offen gebliebenen Problemen?

Liebe Grüße, Alma
alma
Andrea 1
24.10.2016 19:33:35
Liebe Nicoletta,

von mir auch meine aufrichtige Anteilnahme für deinen/euren Verlust.
Es ist immer sehr traurig, wenn man einen seiner Eltern gehen lassen muss, zumal es viel zu früh ist.
Hadere nicht mit ihm, dass er sich eine neue Partnerin suchte. Es gibt so unendlich viele Gründe für eine Trennung und für alle Beteiligten, welche zur Familie gehören, ist es ein harter Weg. Versuche es irgendwie zu akzeptieren (auch wenn es sehr schwer fällt!), verzeihe ihm, dir zu Liebe.
Manche Geschehnisse im Leben versteht man erst nach vielen vielen Jahren.
Den Anfang dazu hast Du sehr liebevoll an seinem Krankenbett getan.
Herzliches Beileid...
Andrea 1
girlie72
06.11.2016 12:19:06
liebe Alma, liebe Andrea,

danke für eure Worte!

am Donnerstag haben wir Papa beerdigt. Es ist immer noch total irreal. Mit seiner Frau hab ich die Parten gestaltet, den Sarg ausgesucht, den Beerdigungstermin festgelegt. Als ob es gar nicht um Papa gegangen wäre. da war ich abgelenkt. hab mich gewundert, dass ich so gefühllos bin, weil ich nicht weinen konnte. der Tod gehört zum Leben und früher oder später holt er uns alle. trauerphasen gegoogelt so wie ich alles google. mich und meine Umgebung analysiert, wer grad wo steckt in seiner Trauer. alles im griff.

mein kopf rechnet und überlegt sich tausend Wege, wie ich unser Problem vielleicht doch irgendwie lösen kann. am 21.11. haben wir den ersten Termin beim Notar, da wird erstmal alles auf den Tisch kommen. und ich bin fest entschlossen, alles zu versuchen, um das haus, das meine ur-ur-Großeltern vor über 120 Jahren gebaut haben, zu erhalten.

die Existenzangst sorgt dafür, dass ich nicht in Trauer versinke und eine Portion Wut auf Papa ist auch dabei, das kann ich nicht abstreiten. seit dem Begräbnis selbst weine ich viel, weil ich nicht fassen kann, dass er nie wieder kommt und ich nie wieder seine Kosenamen für mich hören werde oder seine hand wenn er meinen kopf streichelt. aber auch weil ich ihn nicht mehr fragen kann ob er nicht mit seiner Frau reden will dass sie mich und den enkel ihres Liebsten nicht rauszwingt.

ich hab keine ahnung wo das hinführt. aber für mich habe ich eine vorsorgevollmacht und eine patientenverfügung besorgt und eine sterbeversicherung mach ich mir auch. mein kind lass ich nicht so im regen stehen, das hab ich jetzt gelernt. da appelliere ich an jeden!

alles liebe, nicoletta
girlie72
Andrea 1
07.11.2016 09:20:27
Liebe Nicoletta,
fühle dich nicht schuldig, weil Du nicht gleich weinen konntest, das sagt im Grunde gar nichts aus und wer dir das negativ auslegen würde, der hat vermutlich nicht verstanden, warum man um jemanden weint und wann. Mit Gefühlskälte würde ich das nicht in Verbindung bringen, vielmehr damit, dass Du das alles bis dahin vermutlich noch nicht vollends realisiert hast. So etwas braucht Zeit...
Inzwischen kannst Du weinen, weil Du dich damit auseinandersetzen konntest und es ist dein Ventil, dass dein Seelenleben nicht an den vielen ungeklärten Situationen "erstickt". Im Moment wirst Du vermutlich nicht so stark von außen beschäftigt, deswegen kannst Du deinen eigenen Gedanken nachgehen, in die Tiefe gehen und für dich ergründen, warum Du so tief traurig über den Verlust bist.
Für die Klärungen deiner Angelegenheiten wünsche ich dir das Beste, auch dass Du deine Ziele erreichen kannst.
Es freut mich zu lesen, dass Du für deinen Sohn alles Wichtige erledigt hast.
Geh deinen Weg, Schritt für Schritt und lass es überlegt und langsam angehen.
Viel Glück für deinen/euren weiteren Weg.
Herzlichst Andrea
Andrea 1
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