Liebe Sabine, ich hatte vor vielen (etwa 10) Jahren wegen eines Hydrocephalus eine Drainage bekommen. Damals war ich im Knappschaftskrankenhaus in Bochum Langendreer in der Neurochirurgie. Rein technisch gesehen haben sie mir gut geholfen. Sie haben das richtige zur richtigen Zeit getan. Die harsche Kritik aber betrifft den Umgang mit dem Patienten. Es wurde am Krankenbett nicht mit mir gesprochen, sondern mit dem ganzen riesigen Team über mich. Bilder wurden hochgehalten und diskutiert mit aller fachlichen Sachlichkeit. Die Ängste des Patienten und die notwendige Aufklärung aber traten ganz in den Hintergrund, ja waren zum Teil so schlecht, das ich aus dem Krankenhaus wollte.Hier ein Beispiel: Der Stationsarzt holt mich in sein Zimmer um mit mir über die Operation zu sprechen, um anschließend von mir die Unterschrift zu bekommen, das ich über alle Risiken informiert wurde und keine Ansprüche stellen werde. Also den berühmten "Persilschein" unterschreiben. Nachdem ich den Zettel unterschrieb, wir hatten ja über alle möglichen Risiken gesprochen, fragte mich dann der Arzt, "ach, sagen Sie, warum sind sie eigentlich hier?" Was auch immer er mit dieser Frage vorhatte, sie war für mich derartig verletzend und angstauslösend, dass ich trotz meines geringen Verstandes zu der Zeit das Krankenhaus verlassen wollte, weil ich mich schließlich nicht von jemandem operieren lassen wollte, der nicht wußte warum ich da bin. Zum Glück lief mir später der Oberarzt über den Weg, den ich sofort darauf ansprach. er beruhigte mich, indem er sagte, dass sie genau wüßten, warum ich da sei. Gut so, aber die Angst und das Mißtrauen saßen sehr tief. Es ist schade, dass Ärzte noch immer nicht gelernt haben mit Schicksal umzugehen. Ärztliche Seelsorge ist leider noch völlig verkümmert.Mündigkeit des Patienten wird nach wie vor nicht ernst genommen. Natürlich verstehe ich auch die Angst des Arztes, wenn er eine sehr schlechte Diagnose stellen muß. Wie bitte reagiert der Patient?
Auf diesem Gebiet ist noch sehr viel zu tun. Nun weiß ich nicht, was GBM ist, aber ich möchte auch Mut machen, sich einer Hirnoperation zu stellen. Die Ängste, dass mit mir etwas geschieht, was mich in meiner ganzen persönlichkeit betrifft sind einfach da. Es gibt auch nichts, was dies wirklich nehmen könnte, außer einer offenen und rückhaltlosen Aufklärung über Wohl und Wehe bei gleichzeitiger Zuwendung durch alle Personen auf der Station. Es muss aber auch innerhalb der Familie offen über die Ängste gesprochen werden, ohne dabei hysterisch in Abgründe zu schauen. Sachlichkeit und Emotionalität müssen in eine Waage gebracht weren.Wie? Ja, da habe ich keine richtige Lösung. Ich habe mit meiner Mutter und auch mit einer Pastorin ganz ruhig und sachlich über die Dinge gesprochen und auch mein "Haus gerichtet", wie man so schön sagt. Das heißt ich habe alle Dinge, die meinen Tod betrafen auch vorab organisiert, obwohl ich glaubte, dass es schon gut geht in der OP. Aber jeder von uns weiß, das es bestimmte Prozente gibt, die eben negativ verlaufen. Vertrauen haben, dass ist hier die Lösung, aber auch das gute gewissen, in eine Klinik aufgenommen worden zu sein, die weiß, was sie tut.
Ich hoffe, Du kannst nun etwas mit meiner Erfahrung anfangen. Übrigens mein Gedächtnis hat sehr unter dieser und folgender Operationen gelitten. Dennoch, ich hatte und habe überlebt und habe Mut gefunden für mein neues Leben. Alles ging aber nur, weil ich Menschen um mich hatte, die mich weinen ließen und zuhörte, nachfragten, auf die Ängste reagierten und oft sehr ungeschickt Mut machten. Aber sie machten Mut.
So, nun wünsche ich Dir und vorallem Deiner Schwester alles Gute und ohne jetzt zu christlich zu werden auch aus ganzem Herzen "Gottes Segen".
Mit lieben Grüßen
Ulrich Stallmann