Hallo, RedRene und alle,
ich habe im Laufe der Jahre mit rezidivierenden anaplastischen Meningeomen einige unterschiedliche Erfahrungen gemacht.
Über alle möglichen kleinen und beeindruckenden Krankheiten wird im beruflichen Umfeld und z.T. in weiterer Öffentlichkeit geredet und es gibt Tipps, was man tun oder lassen soll, die "Zipperlein" werden dramatisch bedauert, über den armen Kranken wird sonstwem berichtet und jeder weiß etwas dazu zu sagen ...
Als ich meine erste Hirntumordiagnose bekam, waren die Leute, denen ich es sagte, schockiert. Sie halfen mir mit Worten und Taten, aber dieses Gerede fand nicht statt.
Ich habe das besonders gemerkt, als ich wieder arbeiten ging. Alle meine Kollegen in der Schule kannten meine Diagnose, aber sie hatten es keinem Schüler und keinem Elternteil gesagt.
Eine Freundin, mit der ich einen lockeren Kontakt hatte, ließ sich noch seltener sehen. Sie sagte mir dann sehr ehrlich: "Ich wusste ja nicht, wie es Dir geht, ob Du überhaupt noch ansprechbar bist. Das geht doch manchmal so schnell, wenn man einen Hirntumor hat."
Es gibt wohl eine unsichtbare Grenze zwischen diesen und jenen Krankheiten. Über die einen meinen alle, alles zu wissen und geben diese ach so hilfreichen Tipps. Aber ein Hirntumor macht Angst, er erschreckt die Leute.
Er ist etwas Fremdes, das einen unsicher macht, mit dem man nicht umgehen kann und oft auch nicht will. Und man weiß ja (also, man meint es zu wissen), dass er die Betroffenen sowieso fast gleich sterben lässt, aber zuvor sind sie erst mal pflegebedürftig, bekloppt oder so, und bestenfalls werden die pflegenden Angehörigen bedauert, ohne ihnen wirksam zu helfen.
Ich habe es dann als meine Aufgabe angesehen, meine Umgebung durch meine Person und meine Aktivitäten davon zu überzeugen, dass ein Hirntumor den Betroffenen nicht "bekloppt" macht, dass man damit ein ganz normales Leben führen kann (mit Einschränkungen, aber die haben andere ja auch)
Nach und nach erfuhren es die Eltern, später auch Schüler. Es gab Staunen, Anerkennung.
Aber obwohl sie mich als normalen Menschen kannten, wurde nie zu sonstwem darüber geredet. Es blieb etwas zugleich Bewundernswertes und Unheimliches.
Eben fremd.
(Mir kommen dabei immer wieder die Gedanken an die "Fremden" -als eigenartiger Vergleich - in den Kopf, die hier einerseits wegen ihrer Schicksale bedauert und bewundert werden, aber man will mit ihnen nichts zu tun haben.
Bis man ihnen wirklich begegnet - und merkt, dass sie auch ganz normale Menschen sind.)
Ich merke auch jetzt (nachdem ich nicht mehr arbeiten darf) immer wieder diesen unterschiedlichen Umgang in der weiteren Familie und in den 2 Stunden Ehrenamt mit einigen aktiven Leuten, die alle wissen, dass ich Hirntumoren habe.
Hat irgendwer eine Krankheit, über die man meint, reden zu können, wird geredet, bedauert und einer übertrifft den nächsten mit den besten Tipps.
Taucht das Wort Hirntumor auf, setzt der Schreck und die Schockstarre ein.
Und selbst wenn ich dann vorsichtig sage, dass ich auch Hirntumoren habe, ändert das an dem Schweigen nichts.
Ich lebe mein Leben so normal, wie es ging und jetzt noch geht und "demonstriere" damit, dass man damit leben und agieren kann. Ich weiß, dass mir niemand Tipps geben wird, wo ich die besten Therapien finde, weil es (fast) keiner weiß. Das heißt, ich muss die Initiative ergreifen und auf die Menschen zugehen, die es mir wert sind.
Irgendwie so als "Botschafter für Hirntumorpatienten".
In unserem Ort gibt es einen Hirntumorbetroffenen, den ich vor seiner Diagnose kannte und mit ihm ungern umging. Meine Mutter erlebte ihn einmal in seiner dreisten Art und fragte mich, ob das am Hirntumor läge. Nein, denn auch Menschen mit Hirntumor ändern nicht unbedingt ihren Charakter - und ich gehe immer noch ungern mit ihm um, selbst seit es diesen Tumor als Gemeinsamkeit gibt.
Im Ort ist er bekannt und wird "unter der Hand" bedauert, ihm direkt sagt es kaum einer.
Ich weiß nicht genau, ob ich nicht auch "hinter vorgehaltener Hand" bedauert und bestaunt oder bewundert werde.
Aber offen geredet wird über heilbare Krankheiten.
("Tabu" sind ja viele "Behinderungen", aber auch psychisch Auffällige, Homosexuelle, Abtreibungen wegen möglicher behinderter Babys, u.a.)
Der verständnisvolle Satz eines Neurochirurgen: "Sie müssten Krücken an den Ohren hängen haben ...", gilt leider immer noch.
KaSy