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Thema: Vergesslichkeit, Lähmungen, Angstzustände, Schläfrigkeit

Vergesslichkeit, Lähmungen, Angstzustände, Schläfrigkeit
Beyon
17.03.2019 23:29:35
Hallo! Ich fühle mich mittlerweile doch gezwungen, einmal hier Hilfe zu unserer Situation zu ersuchen. Ein nahestehender Verwandter hat letzten Monat die Diagnose Glioblastoma multiforma, inoperabel erhalten. Über Weihnachten kamen die ersten Anzeichen eines Gefühlverlusts in der linken Hand. Man hatte erst auf Schlaganfall tendiert, dann über Lymphom und einige andere Tumorarten, bis zur Diagnose mittels Biopsie. Die Standard-Strahlentherapie endet nächste Woche, zusätzlich wird er noch mit Protonen in einer anderen Klinik bestrahlt. Chemo ist die Standardtherapie, zusätzlich erhält er aufgrund des Ödems Cortison, zur Beruhigung häufig Tavor.

Kurz nach der Diagnose war seine linke Körperhälfte gänzlich gelähmt. Anfang diesen Monats kam er auf seine Bitte aus dem KH nachhause. Zuvor waren massive Umbauarbeiten notwendig um alles rollstuhlgerecht zu machen. Mittlerweile ist 2x am Tag Pflege bei uns und hilft, ansonsten sind wir auf uns allein gestellt - tagsüber bis auf einige stressige Situationen ist das in Ordnung, die ganze Familie hilft wo sie kann.

Leider Gottes hat sich sein Zustand die letzten Tage enorm verschlechtert. Gestern ist er unter enormen Kopfschmerzen und den ersten Anzeichen einer rechtsseitigen Lähmung mit dem Notwagen ins KH. Unter Dexa-Medikamentation ist er dann, wieder auf seinen Wunsch, nachhause. Meinung des Arztes, "eigentlich müsste er sicherheitshalber bleiben, aber Sie sollten jede Minute nutzen - lang hat er nicht mehr".
Er besitzt virtuell kein Kurzzeitgedächtnis mehr und schläft alle 10 Minuten ein, selbst mitten im Satz. Er pendelt den Tag lang nur zwischen Pflegebett und Terrasse zum rauchen (mehr können wir ihm aktuell nicht bieten, bis wir ggf. einen Multifunktionsrollstuhl bewilligt bekommen), ggf. Küche, wenn wir gemeinsam kochen. Dann kommt unter der Woche eben noch 1x täglich der Krankentransport für die Strahlentherapie. Mittlerweile ist es so, dass er nachts wach wird, scheinbar Angstzustände hat, da er allein im Bett liegt und sich nicht bewegen kann, und dann durch das ganze Haus wild unsere Namen ruft, bis jemand kommt und ihn raus fährt "um eine zu rauchen" (wir glauben eher, dass er einfach raus muss, weil er diese Angstzustände scheinbar hat). Seit gestern geht es dann teilweise 15 Minuten, nachdem man ihn rein ins Bett wieder gefahren hat, weiter - er hat schlicht vergessen, dass er eben draußen war. Wenn man ihm das versucht zu erklären, wird er stark gereizt und besteht unter allen Umständen darauf, erneut raus gefahren zu werden. Das, wohl gemerkt, 24 Stunden am Tag, auch um 3 Uhr nachts. Dass wir das auf Dauer nicht mitmachen können, haben wir mittlerweile leider einsehen müssen. Sein einziger Wunsch ist jedoch, daheim zu bleiben. Seine größte Angst ist es, ins Krankenhaus zu müssen und dort ggf. zu sterben.
Vor allem an seiner Frau reißt es mittlerweile enorm, da meist sie diejenige ist, die nachts aufstehen muss, wenn er ruft. Hinzu kommt dann noch der Stress vom Tag, und dann platzt häufiger die Bombe, auch da sie nicht die Belastbarste ist. Eben kam es dann zur ersten körperlichen Auseinandersetzung - er wollte, 15 Minuten nachdem er erst war, wieder raus gegen halb 10, sie hat ihm erklärt, dass er erst war, woraufhin beide laut wurden. Er hat sich selbst im Bett aufgereckt und wollte versuchen aufzustehen, hat ihren Arm gepackt und ihr fast den Finger gebrochen.

Wir wissen mittlerweile nicht mehr, was wir tun sollen (plus die Tatsache, dass seine Tochter im Grundschulalter all das aktuell auch mitbekommt - anderes Thema...). Einerseits möchten wir ihm natürlich seinen Wunsch gewähren, daheim zu bleiben unter Familie, andererseits zerreißt der Pflegebedarf und Stress wellenartig unsere Familie. Erst heute morgen haben sich seine Frau und ihr Bruder auf das heftigste gestritten, da ihr Bruder ihm erklärt hat, dass es so nicht weiter ginge und er ins Krankenhaus müsse - woraufhin er anfing zu heulen, und sie es nicht ertragen konnte.

Ich weiß um ehrlich zu sein nicht, nach was genau ich suche. Eventuell ein Ratschlag, eventuell eine Zusprechung, eventuell ein Tipp, wie man mit der Vergesslichkeit und den psychotischen Symptomen umgehen kann. Wir sind wirklich kurz davor, ihn psychiatrisch behandeln zu lassen, was aber eben absolut nicht sein Wille wäre.
Beyon
KaSy
18.03.2019 02:24:45
Guten Abend, Beyon,
es scheint so zu sein, dass Ihr Euch auf sein baldiges Ableben einstellen müsst.
Diese Glioblastome sind ein furchtbares Schicksal!
Die Symptome haben sich in so kurzer Zeit bereits von der linken auf die rechte Körperseite ausgebreitet und betreffen außerdem das Kurzzeitgedächtnis sowie sein gesamtes Wesen.

So wie er zur Zeit ist, das ist nicht ER, das sind die Folgen des Tumors.

Das muss Euch allen bewusst sein.

Er äußert Wünsche, die man ihm erfüllen sollte, ansonsten wird er aggressiv und sogar gewalttätig.

Aber das schafft Ihr nicht mehr allein.

Zweimal Pflegedienst am Tag ist auch keine ausreichende Unterstützung. (Kommt auch eine Haushaltshilfe? Das steht Euch zu!)

Ihr braucht dringend eine Palliativversorgung, das sollte der Pflegedienst und der Hausarzt ganz schnell in die Wege leiten.
Hier muss abgesprochen werden, ob die Palliativkräfte auch nachts kommen können.

Wenn es wirklich gar nicht anders geht, ist auch ein Hospiz eine Möglichkeit. Dort wäre rund um die Uhr die Pflege und die medikamentöse Versorgung (z.B. Schmerzbehandlung, Beruhigungsmittel) gesichert. Ihr könntet so oft Ihr wollt, bei ihm sein, auch nachts. Das ist kein Krankenhaus! Sprecht mit Eurem Hausarzt und dem Pflegedienst darüber.

Während ich Deine traurige Schilderung las, dachte ich zunächst, warum die Protonenbestrahlung noch stattfindet. Aber es ist eine Zeit vor allem für seine Frau, um ein wenig Ruhe zu haben. (Sie fährt doch hoffentlich nicht mit!)

Eine psychiatrische Therapie ist bei dieser Ursache nicht aussichtsreich. Bestenfalls eine sinnvolle Medikation.

Das Cortison hilft recht gut gegen die Hirndrucksymptome, aktiviert ihn aber auch. Ob Tavor zur Beruhigung ausreicht ...? Vielleicht sind bereits stärkere Mittel aus der Gruppe der Betäubungsmittel erforderlich. Besprecht das mit den Ärzten.

Der Hausarzt muss bei einer Zuhause-Betreuung auch zum Hausbesuch kommen.

(Ganz wichtig ist eine Information der Schule des Kindes, die eine psychologische Hilfe ermöglichen sollte.)

Macht Euch bitte nicht untereinander fertig. Es ist sehr schwer für Euch alle. Ihr müsst Wege suchen, die Hilfen für Euch sind. Die gibt es! Ihr werdet gemeinsam Wege finden!

Ich wünsche Euch allen sehr viel Kraft.
KaSy
KaSy
Borntobe
18.03.2019 08:19:40
Ich habe soeben deinen Beitrag gelesen und ich weiß wie du dich fühlst. Meinem Vater erging es leider genauso. Diagnose im Oktober 2018. Von einem Tag auf den anderen war das Kurzzeitgedächtnis weg und die Angstzustände da...
Sowas mit an zu sehen ist grausam für alle Beteiligten. Vorallem wenn es in Aggressionen Umschlägt.
Unser Vater musste letzten Endes in ein betreutes Wohnen weil wir nicht die Möglichkeiten hatten.
Aber wir waren jeden Tag bei ihm haben über schöne Zeiten geredet und ihn zum lachen gebracht oder waren spazieren. Leider waren ihm nur 3 Monate vergönnt. Am 3.2. 2019 ist er leider gestorben und seitdem fehlt ein großer Teil. ..
Holt euch weitere Hilfe und genießt jeden Tag der euch bleibt. Auch wenn es oft anstrengend ist, vergesst nie das es der Tumor ist. Manchmal ist das schwer, ich weiß.
Ich wünsche euch alle Kraft der Welt für den weiteren Weg.
Borntobe
bibi13
18.03.2019 13:45:48
Hallo Beyon,
bei meinem Bruder ist es ähnlich, nur das er ständig glaubt Stuhlgang haben zu müssen, er muss dann auf die Bettpfanne gesetzt werden, ohne das was kommt. Und das gerne auch mehrfach hintereinander, weil er vergessen.

Er ist auch Raucher und hat zum Glück schon als er noch selbständig war auf einen Verdampfer umgestellt. Es war zu gefährlich wenn man beim Rauchen einschläft oder die Zigarette runter fällt.
Was ich sagen möchte, vielleicht ist ein Verdampfer eine Alternative für euren Betroffenen. Dann kann er dampfen wie er möchte und ist vielleicht kompromissbereiter.
bibi13
bibi13
19.03.2019 06:40:19
Und wir haben eine Funkklingel (Klingel und Klingelknopf frei beweglich) angeschafft.
So kann mein Bruder sich bemerkbar machen.
Ich drücke die Daumen das die Lage sich entspannt.
bibi13
Beyon
19.03.2019 20:41:03
Danke schon mal für die zahlreichen Antworten.
Hospiz ist für ihn auch keine Option aktuell, um genau zu sein, ist nichts für ihn eine Option, was nicht zuhause bleiben bedeutet.
Mitfahren zur Bestrahlung tut seine Frau (oder jemand anderes aus der Familie) - das ist auch noch so ein Knackpunkt, dass er um keinen Preis alleine fahren möchte, egal wo hin.
Verdampfer denke ich nicht, dass er sich drauf einlassen würde, aber probieren kann man es mal. Verbrannt hat er sich auf jeden Fall schon einige Male, da er eben entweder beim Rauchen einnickt, oder die Zigarette von der Motorik her nicht mehr ausmachen bzw. abaschen kann, auch rechts nicht mehr mittlerweile.

Klingel haben wir bereits, seit heute auch ein Babyphone (da wir eigentlich eine und zwei Etagen drüber wohnen).

Weiß jemand, wie das mit Nachtpflege und Kostenübernahme aussieht? Bekommt man sowas überhaupt bewilligt, und sei es anteilig? Bzw. läuft eine Nachtpflege daheim auch über die Pflegeleistungen?
Beyon
KaSy
19.03.2019 21:22:51
Wegen der "Nachtpflege daheim" habe ich mal kurz ins Internet geschaut und prinzipiell drei Dinge gefunden.

Geregelt ist das im Paragraph 42 SGB 11

Es gibt Anbieter, die auch zur Nachtpflege nach Hause kommen. Man muss das nicht jede Nacht nutzen.

Mit einem Pflegegrad ist die Finanzierung günstiger.


Fragt bei Eurem Pflegedienst, ob er oder wer das anbietet oder wer das weiß.
KaSy
KaSy
rosi5
21.03.2019 09:35:14
Lieber Beyon, bekommt Dein Verwandter denn keine Medikamente wie Mittel zur Beruhigung oder gegen Kopfschmerzen?
Gegen Kopfschmerzen gibt es viele Opiate/ Morphiumpräparate, die sehr schnell und nur kurzfristig wirken oder auch langfristig.
Die Unruhe und die Angstzustände... ich versuche, mich auch immer in die Lage des Patienten zu versetzen: wie unvorstellbar muß es sein, sich mit einem möglichen nahen Tod auseinander zu setzen und in klaren Momenten festzustellen, daß man nicht mehr so ganz Herr über sich selbst ist.
Und für die Angehörigen ist es sehr schlimm, den geliebten Menschen so verunsichert zu erleben.
Man kann ihm helfen, indem man ihm über den Tag verteilt Mittel zur Beruhigung verabreicht. So kann der gestresste Körper auf ein erträgliches Niveau herunter kommen.
Und etwas Stärkeres zur Nacht.
Damit alle zur Ruhe kommen und im besten Fall durchschlafen können.
Ganz wichtig finde ich es, nicht zu diskutieren! Logik wird nicht mehr verstanden, nur die unmittelbaren Gefühle zählen beim Patienten- und hier gilt es, ihm in dieser schweren Zeit keine Aufregungen mehr zuzumuten. Er braucht viel Verständnis, Ruhe und Sanftheit.
Daß der Patient aggressiv wird, kann ich gut verstehen: er fühlt sich in der Sackgasse. Meint, er ist in einer ausweglosen Situation. Und er will da raus und darüber wird diskutiert? Dann fühlt man sich doch in der Falle...
Nicht der Patient muß unser Denken begreifen- WIR müssen IHN verstehen.
Mit einer gewissen medikamentösen Unterstützung des Patienten KANN man das als Angehöriger schaffen, dennoch bleibt man allein zurück mit seinen Gefühlen, wenn der Partner endlich friedlich schläft.
Ich bin der Meinung, wenn man diese Nervenstärke nicht aufbringt- was absolut verständlich ist!- dann sollte man wirklich zum Wohle des Patienten über eine Unterbringung im Hospiz nachdenken.

Ganz liebe Grüße und viel viel Kraft,
Rosi
rosi5
zytoastro
22.03.2019 07:24:04
Lieber Beyon,
ich würde versuchen ihn auf die Palliativstation oder ins Hospiz zu bringen. Mein Mann war 1 Woche auf der Onkologie und kam dann auf mein Drängen auf die Palliativstation. Dort werden die Patienten sehr gut versorgt und medikamentös eingestellt und auch nicht einfach wieder entlassen ohne dass die Weiterversorgung geklärt ist Mein Mann wollte auch wieder nach Hause aber das schaffe ich nicht,. Außerdem bin ich berufstätig. Es wäre nur mit einer 24-Stunden-Pflege gegangen. Aber auch da liegt die ganze Verantwortung bei mir. Er hat dann einer Anmeldung im Hospiz zugestimmt und relativ schnell einen Platz bekommen. Die ersten 2 Tage waren für uns beide schlimm. Mittlerweile habe ich den Eindruck er fühlt sich ganz wohl und bekommt auch ganz viel Aufmerksamkeit. Und auch ich bekomme im Hospiz Unterstützung. Ich weiß, das ist kein leichter Schritt, vor allem wenn der Betroffene nicht möchten. Es geht aber auch um die Angehörigen .....

Liebe Grüße und alles Gute
zytoastro
Tulip
10.04.2019 19:28:12
Das ist aktuell leider auch unser Thema.
Beyon, wie ist bei Euch die Entscheidung ausgefallen?

Auch hier gibt es eine große Abwehr gegen Klinik, Hospiz und Palliativversorgung. Noch geht Vieles selbstständig. Es ist jedoch schwierig eine Lösung zu finden, wie es bei Verschlechterung gehen soll und kann. Letztlich läuft es auf Pflege zuhause raus. Ich weiß nicht, wie ich das umsetzen kann. Alles andere wird abgelehnt, weil auch die Notwendigkeit nicht gesehen wird. Ich möchte ihm natürlich auch nicht vor Augen führen, was ihn wahrscheinlich im Krankheitsverlauf erwartet. Ich selbst kann aber nicht die Augen davor zumachen.
Habt Ihr irgendwann die Dinge sehr klar skizziert? Die, die umentschieden haben: wie habt Ihr das dann vermittelt, dass es eine Verlegung ins Hospiz oder Klinik gibt? Ich schaffe es nicht, gegen den Wunsch meines Mannes zu handeln. Gleichzeitig weiß ich, er wäre dort bestens versorgt. Ich persönlich bin sehr überzeugt von diesem Weg. Aber das hilft mir aktuell nicht.

Gespräche einfach sein lassen und abwarten, was kommt? Ich habe das Gefühl, ihm sonst die Kraft zu entziehen, die er sich so gut aufgebaut hat um der Krankheit zu trotzen. Nur wird die nicht reichen, der Tumor wird irgendwann stärker sein.
Ich weiß gerade nicht, wie ich damit umgehen soll (vgl. Eure Texte oben). Da er die Optionen aber so kategorisch ablehnt....

Freue mich, wenn jemand antwortet.

Lg
Tulip
eviablau
10.04.2019 20:55:59
Hallo Tulip,
ja, Gespräche einfach sein lassen und abwarten was kommt halte ich für die beste Entscheidung...letztendlich wirst DU die Entscheidungen treffen müssen, wenn sie anstehen...Bis dahin würde ich deinem Mann die Würde lassen, das Leben lassen. Es ist schlimm genug das nahende Ende zu verkraften... wie soll man noch darüber pragmatisch reden können. Gibt es bei euch eine häusliche Paliativversorgung? Das war bei uns toll, irgendwann rieten sie zu einer Verlegung ins Hospiz...wir haben dies solange es ging hinausgezögert und danach war es für alle eine Erleichterung und irgendwie ein ..natürlicher Weg.
Liebe Grüße
eviablau
Tulip
10.04.2019 21:57:52
Danke eviablau, das beruhigt mich. Ja, ich möchte auch gern jeglichen Druck raushaben für ihn, es ist schwer genug. SAPV wäre möglich. Ich hatte die so verstanden, dass man sich separat bei Hospizen anmelden muss und dass es eine entweder oder Lösung wäre.
Es klingt so, dass Ihr für Euch einen stimmigen Weg hattet. Das ist schön!!

Danke und liebe Grüße
Tulip
LinaK
10.04.2019 23:41:19
Hallo Tulip, ich glaube leider auch, dass du letztlich die Entscheidung treffen musst. In meiner Patientenverfügung steht, dass ich ins Hospiz möchte, wenn es soweit ist. Es ist schön dort. Lina
LinaK
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