Hallo Hans,
ich bin zwar kein Mediziner, habe mich aber, da bei mir ein (noch nicht operiertes) Astrozytom im linken Stirnhirn sitzt, gezwungenermaßen mit der Materie vertraut gemacht - zumindest soweit mir das als Laie möglich ist.
Was bei deiner Beschreibung auffällt ist, dass der Tumor gekapselt und scharf begrenzt ist (in welcher Bildgebung eigentlich - CT, MRT T1-gewichtet, MRT T2-gewichtet?), wohl merklich Kontrastmittel aufnimmt und bei der Biopsie ein Astrozytom II diagnostiziert wurde. Die Hirnwasseruntersuchung brachte einen Normalbefund. Das scheint aus folgenden Gründen nicht so recht zusammenzupassen:
Astrozytome haben keine "Kapsel" (wie z.B. Meningeome) und breiten sich ab dem Grad II praktisch immer diffus aus, was man dann in T2-oder protonengewichteten MRT-Aufnahmen gut sehen kann. Die meisten Astrozytome des Grades II nehmen in der MRT kein Kontrastmittel auf. Manchmal wird aber auch eine geringe Anreicherung beobachtet, die dann meist homogen erscheint, gelegentlich aber auch auf einen bestimmten Bereich im Tumor fokussiert sein kann. Andere Anreicherungsmuster (stark, unregelmäßig) lassen auf einen höher- oder gemischtgradiges Astrozytom schließen.
Pilozytische Astrozytome (WHO-Grad I) zeigen häufig eine deutliche Kontrastmittelaufnahme im MRT und sind meist gut vom umliegenden Hirngewebe abgegrenzt. Auch das seltene, vorwiegend temporal oder parietal liegende pleomorphe Xantoastrozytom WHO-Grad II reichert oft deutlich Kontrastmittel im MRT an. Beide Tumorarten werden überwiegend im Kindes- und Jugendalter diagnostiziert.
Oligodendrogliome vom Grad II wachsen diffus bis gut umgrenzt und nehmen in ca. 40 % der Fälle Kontrastmittel im MRT auf, die Anreicherung kann homogen, irregulär oder fokal sein. Charakteristisch, aber nicht zwingend vorhanden sind Kalkeinlagerungen, die man insbesondere im CT gut sieht.
Originalpublikationen, denen ich diese Infos entnommen habe:
"Gliale Hirntumoren im Erwachsenenalter"
http://www.medicalforum.ch/pdf_d/2002/2002-29/2002-29-159.PDF
http://www.medicalforum.ch/pdf_d/2002/2002-31/2002-31-486.PDF
"Niedermaligne Gliome"
http://www.krebsinfo.de/ki/empfehlung/hirntumoren/743-.9-06-Peraud.pdf
Eine Kontrastmittelaufnahme tritt dann auf, wenn durch vermehrte Bildung von neuen, defekten Blutgefäßen im Tumor und um ihn herum die Blut-Hirnschranke gestört ist. Dann gehen bestimmte Stoffe, gegen die das Gehirn sonst geschützt wäre (z.B. auch Kontrastmittel) aus dem Blut ins Hirngewebe über. In der Liquordiagnostik zeigt sich dies z.B. durch ein erhöhtes Verhältnis von Albumin oder IgG im Nervenwasser im Vergleich zum Blut.
Das Ergebnis von Biopsien ist oft nicht so sicher, wie es Patienten und Ärzte gerne hätten. Schwierig kann wohl z.B. die eindeutige Zuordnung einer Gewebeprobe zu einem Astro II oder III sein, da es "fließende" Übergänge gibt. Auch ist nicht immer einfach, seltenere Tumor(unter)arten zu erkennen. Hier kommt es entscheidend auf die Erfahrung des Histologen an, der das Gewebe zur Untersuchung bekommen hat. Ich würde im Zweifelsfall darauf bestehen, dass die Proben - bzw. das, was davon übrig ist - zum nationalen Referenzzentrum nach Bonn geschickt werden, um eine höhere diagnostische Sicherheit zu haben. Vielleicht hast du ja Glück, und es handelt sich bei dir gar nicht um ein Astrozytom II, sondern um einen Tumor mit besserer Prognose. Du solltest auch eine Kopie des Berichtes zu deiner Liquoruntersuchung anfordern und einen Neuroonkologen fragen, wie diese unauffälligen Ergebnisse mit der Kontrastmittelaufnahme zusammen passen und was das für den weiteren Verlauf der Erkrankung bedeuten könnte.
Dass der Tumor gut abgegrenzt und grundsätzlich operabel ist, spricht auf der einen Seite für einen baldigen neurochirurgischen Eingriff. Die OP könnte nämlich die Chance beinhalten, dass du geheilt wirst. Auf der anderen Seite fürchtet man natürlich Ausfälle bzw. um seinen geistigen Zustand. Die Größe des Tumors ist in dieser Hinsicht nicht allein entscheidend. Wichtig ist auch seine Lage. Ein Neurochirurg wird dir bei einem operablen Tumor wohl fast immer sagen, dass du keine große Änderung nach der OP bemerken wirst. Wenn du dir also in dieser Hinsicht trotzdem Sorgen machst: frag deinen Arzt, ob er dir eine Überweisung für einen Termin bei einem Neuropsychologen (Unikliniken und Reha-Einrichtungen) ausstellen kann. Diese Leute sind in puncto Störung von Hirnfunktionen und Auswirkungen auf das Alltagsleben sicherlich am erfahrensten.
Es kann, muss aber nicht sein, dass du durch die OP deine Anfälle los wirst.
Bei einem diffusen Astrozytom II, das noch keine gravierenden Symptome macht, kann man auch abwarten, bis sich der Tumor merklich verändert oder bis die Symptome eben gravierend werden. Hier ist nämlich nach medizinischer Lehrmeinung nur im Ausnahmefall eine Heilung möglich, da man einen diffusen Tumor durch eine OP eigentlich grundsätzlich nicht vollständig entfernen kann, so dass er immer wieder "nachwächst". Strittig ist, ob eine OP dann überhaupt die Überlebenszeit verlängert (möglicherweise geringfügig); ähnlich sieht es bei der Bestrahlung aus (da gibt es Studienergebnisse, die von wirkungslos bis zu eindeutig lebensverlängernd reichen). Es ist außerdem fraglich, ob die OP ein Fortschreiten zu einem höhergradigen Tumor verhindern kann, da das Rezidiv eines Astro II oft schon ein Astro III ist.
Man hatte mir übrigens gesagt, dass es bei Gliomen vom Grad II einen erfolgversprechenden chemotherapeutischern Ansatz nur für Oligodendrogliome (vielleicht auch für Oligoastrozytome) gebe (PVC bzw. PC-Schema). Welche Chemo hat man dir denn für dein Astro II empfohlen?. Ich habe hier viel herumgefragt und habe überall negative Auskünfte erhalten.
Bezüglich einer klassischen Chemo sollte man sich allerdings gut beraten lassen. Im Rezidivfall ist eine zweite Chemo vielleicht noch möglich (wird üblicherweise mit einer anderen Substanz gemacht - nur welche sollte das bei einem Astro II denn sein?), aber die Leber und die Nieren müssen das auch mitmachen.
Falls dir die Fahrt oder der Flug nicht zu weit ist: die Unikliniken in München-Großhadern und in Heidelberg sind meiner Meinung nach eine sehr gute Adresse für das Einholen einer Zweit- oder Drittmeinung. Hier werden sehr viele Gliompatienten behandelt und entsprechend groß ist bestimmt die neurochirurgische, neuroonkologische und neuroradiologische Erfahrung.
Ich drücke dir die Daumen, dass bei deinem nächsten MRT-Termin alles unverändert aussieht (oder der Tumor sich verkleinert, falls du schon mit der Chemo begonnen hast).
Viel Glück für Alles - Michael