Lieber Erik,
ich bin irgendwie ziemlich traurig, obwohl wir uns nicht einmal persönlich kennen.
Jedoch sehe ich viele Parallelen, welche ich in meiner Familie und mit lieben Freunden erlebte, welche inzwischen leider nicht mehr körperlich anwesend sind. Mein Schmerz über ihren Verlust ist in all den Jahren nicht weniger geworden und in meinem Herzen und meinen Gedanken leben sie noch immer, aber ich habe inzwischen gelernt, damit umzugehen und gelernt, dass es mich nicht mehr täglich belastet.
Sicherlich schwankst Du gerade hin und her, überlegst was ihm noch helfen könnte oder ob Du dich mit dem Gedanken "abfinden musst", dass Du bald ohne ihn in der Realität verbleiben musst. Diese Zwiespältigkeit zerreißt einen innerlich sehr. Man versucht klug und gut durchdacht mit seinem Herzen im Einklang, alles zu bewältigen und erlaubt sich nicht "zu Ende zu denken"... Schiebt es weit von sich...
Zu groß sind die Ängste vor dem, was euch bevorsteht, was Du und eure Familie(-n) dann zu tragen haben, wieviel Zeit euch bleibt, wie es sein wird, wenn...
Umso wichtger ist es (meiner Meinung nach), dass ihr Zeit füreinander bekommt, die möglichst belastungsfrei von äußeren Einflüssen ist und da schließe ich mich "gerne" Dirlis, tinchen und Nicky an (anders wäre es uns allen lieber!), dass ihr versucht, irgendwie einen Platz zu bekommen, wo ihr beide etwas loslassen könnt. Dein Mann hat die Gewissheit, dass Du für ihn da sein kannst ohne, dass Du körperlich durch seine Rund-um-die-Uhr-Versorgung zusätzlich (zumindest körperlich) "belastet" wirst.
Ihr hättet beide kompetente Ansprechpartner, um noch offene Fragen zu klären, könntet durchatmen und hättet Zeit für euch.
Wenn dein Mann an Cusp 9 festhalten mag, dann lass ihn (Machst Du ja bereits und das bewundere ich an dir sehr!), es wird seine Art sein, dir zu sagen, dass er sich für dich anstrengt - solange es irgenwie geht.
Solange er damit etwas für sich und dich bewegen will, ist es nicht völlig hoffnungslos und gut, dass er es machen kann!
Ich glaube, dass Du das bereits akzeptiert hast - schon aus Liebe zu ihm.
Aber, ich glaube auch, dass das Schwerste überhaupt noch vor dir steht, das loslassen ansich, loslassen können..., was man so sehr liebt.
Wie wird die Zeit "danach" sein...
Deine Schwiegermutter kann ich ebenfalls sehr gut verstehen, man hört nicht auf Mama zu sein, weil das Kind erwachsen ist. Man liebt sie so sehr, dass man ihnen wenigstens Schmerzfreiheit wünscht, wenn es keine Heilung mehr zu geben scheint. Sieh es nicht als "reicht ihr" an, es ist mit Abstand das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann, wenn man sein geliebtes "Kind" vor einem selber gehen lassen muss. Da spielt das Alter überhaupt keine Rolle... sie wird genauso leiden, wie Du, nur ist ihre Liebe anders gelagert, aber kein Bisschen weniger. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Man denkt, wenn man keine Schmerzen hat, dass es dann sehr viel leichter ist und man nicht leiden muss. Wer vermag das genau zu wissen. Wir wissen nur, wenn wir keine Schmerzen haben, dann geht es uns gut. So denke ich ähnlich, als Mama & selber Betroffene.
Meine Nahtoderfahrungen haben mir gezeigt, wenn man es annimmt und keine Schmerzen verspürt, dann lässt man sich sehr leicht fallen und gleitet ohne Gewissensbisse oder Sorgen dahin. Nur meine Zeit war wohl noch nicht gekommen, deshalb bin ich immer noch hier und kann dir/euch schreiben.
Von Herzen wünsche ich euch, dass ihr noch viele schöne bewusste, wache Momente mit breitem Lächeln im Gesicht haben dürft, um euch gegenseitig zu stützen.
Fühlt euch lieb gedrückt!!!
Herzlichst von Andrea