Nur aus den MRT-Bildern kann man einen hirneigenen Tumor nicht eindeutig identifizieren.
Vielleicht stand auf den ersten Befunden vor 20 Jahren bereits der Name Tumor, aber dann eher nur als Verdachtsdiagnose.
Man hat etwas gesehen, das dort nicht hingehört, wusste nicht, was es ist, hatte aber Vermutungen. Sinnloserweise würde man nicht sofort eine Hirnoperation durchführen und auch eine Biopsie wäre mit Risiken verbunden. Also wollte man abwarten, wie sich das Ding entwickelt. Vielleicht wäre es ja auch etwas gewesen, was dort zwar nicht hingehört, aber einfach mal da ist und keinen Schaden anrichtet. Das ist die Nutzen-Risiko-Abwägung, mit der Neurochirurgen bei Zufallsfunden umgehen müssen und sie ist gerechtfertigt.
Falls die Neurochirurgen vor 20 Jahren gesagt hätten, wir operieren das, um zu erfahren, was das ist, hätte Deine Frau bzw. ihre Eltern sicher nicht zugesagt, sondern sich für das Warten und Kontrollieren entschieden.
Es ist also damals überhaupt nicht klar gewesen, was dieses Ding ist. Und da es sich Jahr für Jahr nicht verändert hat, ging man weiter davon aus, dass es keinen Schaden anrichtet und man es dort lassen kann.
Dass es keine Symptome gab, ist leider sehr oft so und das trifft für alle Krebsarten zu. Wenn ein Tumor Symptome verursacht und dadurch vielleicht bald oder erst nach längerer Suche gefunden wird, ist er schon sehr groß und es muss zwingend gehandelt werden. Tut man es nicht, würden die Symptome bleiben und sich nach und nach oder auch rasant verschlimmern, selbst falls der Tumor entfernt wurde.
Vorsorgeuntersuchungen gibt es für Hirntumoren nicht und ich denke, dass sich die Menschen solchen Untersuchungen gegenüber eher verweigern würden. Stellt Euch vor, man findet im Gehirn etwas, was eine Krebsvorstufe sein könnte, die man aber nicht entfernen kann, weil man gar nicht weiß, ob sich ein Tumor daraus entwickelt. Selbst die Darmkrebsvorsorge wird von vielen Menschen nicht wahrgenommen, obwohl man Polypen, aus denen Tumoren werden könnten, direkt entfernt.
Welche Merkmale ein Tumor hat, kann man nur feststellen, wenn man ihn entfernt (OP) oder einige seiner Zellen (Biopsie) entnimmt. Diese werden unter der Mikroskop untersucht. Je nach Merkmal kann das einige Tage und wenige Wochen dauern.
- Die Zellen teilen sich ja nicht andauernd, da muss man abwarten. Je länger man wartet, bis sich Zellen teilen, um so seltener teilen sie sich und dann würde man von einer geringen Zellteilungsrate (Proliferationsrate) sprechen. Das ist nur eines der vielen Merkmale. Diese trifft aber für alle Tumoren zu.
- Man schaut sich die Zellen an, wie sehen sie aus, sind sie normal oder entartet.
- Man nimmt einige Zellen und setzt sie auf irgendwelche "Kulturen" und schaut, wie sie sich entwickeln. (Keine Ahnung, wie das genau geht.)
- Genetische Merkmale werden untersucht, da weiß ich auch nicht, wie das funktioniert, aber es ist seit ganz wenigen Jahren ein enormer Schritt in der praktischen Anwendung der Forschung für jeden Patienten. Diese Merkmale bestimmen (wenigstens einigermaßen sicher), welche Chemotherapie von denen, die jetzt zur Verfügung stehen, optimal wäre.
- Was noch alles untersucht wird, weiß ich nicht.
Es kann aber dabei zu Unklarheiten kommen und dann wird ein Teil der Proben (die Tumorzellen) in ein anderes Labor geschickt, in Bonn ist wohl ein solches Speziallabor.
(Die entnommenen Tumorzellen werden in der OP- bzw. Biopsie-Klinik für 10 oder mehr Jahre für mögliche Nachuntersuchungen eingelagert.)
Auf jeden Fall kann es passieren, dass bei einer Biopsie nur bestimmte Zellen entnommen werden und andere nicht. Was soll diese Aussage? Tumoren bestehen nicht nur aus lauter gleichartigen Zellen, die alle dieselben Merkmale haben. Innen können die Zellen aktiver sein, zum Rand hin weniger aktiv, es können sich verschiedene Zellarten "den Tumor teilen" und was weiß ich noch alles ...
Das spielt auch für die Planung der Bestrahlung eine Rolle. Jeder Teil des Tumors sollte nur so viel an Strahlen abbekommen, wie unbedingt nötig ist. Zusätzlich aber müssen die Regionen um den Tumor herum mit bestrahlt werden, in denen sich Zellen verstecken, die zu Rezidiven heranwachsen können. Dabei geht man von 2 cm aus. Dort dürfen sich dann aber keine eloquenten Bereiche (Hirnregionen mit speziellen Funktionen wie Sehen, Sprache usw.) befinden. Das ist dann wieder diese Risiko-Nutzen-Abwägung, die die Radioonkologen bei der Bestrahlungsplanung gemeinsam mit den Physikern treffen müssen.
Erst aus all diesen Merkmalen wird man ermitteln können - und oft nicht hundertprozentig sicher - welche Tumorart es ist, wie sie sich entwickelt hat und wie sie sich künftig entwickeln könnte.
Für den Patienten nennt man das dann "WHO-III-Oligodendrogliom ohne 1p/19q-Deletion, MGMT-mutiert" oder so. Aber diese Information braucht er eigentlich nicht wirklich, denn die Ärzte behandeln ihn dann.
Den Ärzten dient die Bestimmung der Merkmale dazu, die Therapiekombination festzulegen, die den bestmöglichen Erfolg (vollständige Entfernung,Teilentfernung, Rezidivfreiheit für möglichst lange Zeit, Wachstumsstopp oder -verlangsamung, ...) bei möglichst geringen bzw. beherrschbaren Nebenwirkungen und einer Beibehaltung einer möglichst guten Lebensqualität erbringen wird. Das geschieht meist in der Tumorkonferenz, wo sich nicht immer alle beteiligten Fachärzte einig sind und erst darüber diskutiert wird.
Wenn es um eloquente Bereiche geht, muss der Patient einbezogen werden, ob er z.B. auf das Sehen auf einem Auge verzichten kann oder ob er z.B. eine bestimmte Einschränkung seiner Mobilität in Kauf nimmt, wenn dadurch vom Tumor mehr oder alles entfernt bzw. bestrahlt werden kann. (Das geschieht unabhängig von der üblichen Aufklärung über die Risiken der Therapien.)
Prognosen für die Überlebenszeit, die man irgendwo liest, sind nie individuelle Vorhersagen, sondern statistische Durchschnittswerte, die auf Studien beruhen.
Tumormerkmale (wozu "WHO-Grade" gehören) werden von den Ärzten als Ausgangspunkt für die Festlegung der Therapien genutzt.
Die Therapiekombination basiert dann auf den statistischen Werten, die in Studien mit möglichst vergleichbaren Gruppen von Hirntumorpatienten festgestellt wurden, also bei wem hat welche Therapie zu einem längeren Überleben oder einer längeren Rezidivfreiheit oder zur Tumorfreiheit für möglichst viel Jahre oder lebenslang geführt.
Vergleichbare Gruppen zu finden, ist aber nicht leicht. Es gibt (entsprechend der vielen Merkmale) etwa 100 verschiedene Hirntumorarten, also sind in einer Studie immer Patienten mit abweichenden Merkmalen ihrer Tumoren.
Nicht alle Patienten wollen oder können an Studien teilnehmen, da sie bestimmte Voraussetzungen haben müssen, bestimmte Anforderungen während der Zeitdauer der Studie erfüllen müssen, weil es gerade keine Studie für sie gibt, weil sie zu weit weg vom Studienort leben oder weil sie es einfach nicht (mehr) wollen. Studien sind aber für die Forschung enorm wichtig!
Letztendlich ist es bei einem hirneigenen Tumor immer wichtig, sich auf die Ärzte zu verlassen und mehrere Meinungen aus erfahrenen Kliniken einzuholen. Man muss Vertrauen in die Ärzte haben und sich evtl. für andere Ärzte oder eine andere Klinik entscheiden.
Bleibt man unsicher, sollte man nach weiteren Möglichkeiten suchen, die die Therapien ergänzen könnten und diese mit den Ärzten, denen man vertraut, unbedingt absprechen.
Keinesfalls sollte man "Heilern" vertrauen, die von ärztlichen Therapien abraten und für ihre "Behandlung" Geld verlangen.
Auch teure (!) Nahrungsergänzungsmittel, die als Krebsheilmittel beworben werden, sind nicht hilfreich, es sei denn, die Ärzte empfehlen sie.
KaSy