Eydame

Würde man mich fragen, was mich nach der Diagnose "Hirntumor" am meisten schmerzte, dann würde ich ohne zu zögern antworten: meine Psyche!
Dafür gibt es sehr einfache Gründe:
Während der operativen Entfernung des Tumors, schlief ich fest. Die Zeit vom Einleiten der Narkose bis zum Wachwerden, fehlt mir schlicht in meiner Erinnerung. Wie könnte ich da Schmerzen empfunden haben?
Psychisch war das dennoch eine sehr belastende Situation, denn erstens lagen zwischen der Erstdiagnose und dem Öffnen meines Schädels nur wenige Stunden, und zweitens empfahl man mir vor der OP, "meine Sachen zu ordnen". Alles Weitere ist selbsterklärend.
Auch die Bestrahlungstherapie fügte mir keine körperlichen Schmerzen zu.
Allerdings machen mir Dinge, die Teile meines Gehirns verbrennen und die ich nicht einmal sehen kann, Angst.
Die psychische Belastung stand deshalb in keinem Verhältnis zu der körperlichen. Schließlich war auch hier meine aktive Mitwirkung nicht gefragt, und Strahlen tun nunmal nicht weh.
Die Chemotherapie steht in meiner "Hitparade" der besonders belastenden Situationen, an zweiter Stelle.
Die Schmerzen waren kaum auszuhalten, tatsächlich spielte ich mit dem Gedanken, die Therapie abzubrechen. In dieser Situation holte mich mein Arzt mit einer Bemerkung ab, die ich wohl niemals vergessen werde! " Wie soll die Chemotherapie wirken, wenn sie keine Nebenwirkung hat?" Mein Arzt riet mir schlicht dazu, mit meinen Schmerzen bis ans absolute Limit zu gehen! Was ich dann auch tat!
Mehr noch als die Schmerzen im Verdauungstrakt, quälten mich aber meine negativen Gedanken, wenn ich nächtelang allein um Wohnzimmer saß, und mich möglichst leise übergab, um meine Frau nicht aufzuwecken, die am nächsten Tag wieder arbeiten mußte!
Ich fasse noch einmal zusammen: Solange sich Ärzte und anderes medizinisches Personal um mich kümmerten, war die Gesamtsituation für mich erträglich. Mitunter erlebte ich sogar so etwas wie einen "Krankheitsgewinn", denn so freundlich, wie in diesen Tagen, waren meine Mitmenschen bis dahin nur selten mit mir umgegangen.
Ganz anders erlebte ich aber die vielen Stunden des Alleinseins, die vielen schlaflosen Nächte!
Die taten mir richtig weh, die quälten mich wirklich! Und hätte mir das Leben nicht eine wunderbare Psychologin in Person einer Friseurin geschenkt, dann würde ich heute hier vermutlich nicht sitzen ...
Was sie mir sagte, und wie es dazu kam, das erzähle ich gern beim nächsten Mal.
Denn das Einzige, das ich zu diesem Forum beitragen kann, ist zu erzählen, wie ich meine Depression überwand. Nicht mehr, aber auch nicht weniger . Wenn es denn gewünscht wird ...
Gute Nacht.

kinder

Hallo Eydame.
Ich kann mich in dem was du schreibst absolut wiederfinden.
Die psychische Belastung ist enorm.Hirnöffnung kommt einem Kontrollverlust gleich.
Man weiss nicht in welchem Zustand wir aufwachen und die Vorstellung, dass mir jemand im Gehirn rumgräbt,erinnerte mich an einen Horrorfilm.
Das Bestrahlungsszenario ebenfalls.Diese Geräusche wie,ZZZ und meine Fantasien dazu in einem Zeitraum von 6 Wochen waren hochbelastend.Übergeben während der Chemo habe ich mich heimlich um meine Familie nicht zu verängstigen. Mit regelmässig Sport und psychoonkologie stabilisiere ich mich nun.


Liebe Grüße

Kinder

Eris

@Kinder
Übelkeit und Erbrechen sind bei einer Chemotherapie mit Temozolomid im Vergleich zur Chemotherapie bei anderen Krebsarten (Brust- oder Lungenkrebs) relativ selten. Die Psyche spielt uns da bestimmt oft einen Streich, weil die Chemotherapie ein schlechtes "Image" hat. Ebenso ist es bei der Strahlentherapie. Wenn Du nicht wüsstest, dass Du mit Strahlentherapie behandelt wirst, würdest Du es nicht bemerken. Aber bestimmte Geräusche, das Eingespanntsein, die kalten Behandlungsräume und die Angst vor radioaktiver Strahlung verursachen in der Summe eben keine positiven Gefühle.

Eydame

@Eris
Dass man sich wegen der Einnahme von Temodal übergeben muß, dass man unerträgliche Schmerzen haben würde, dass wußten weder mein Körper noch meine Psyche! Sie lernten es erst im wirklichen Leben!
Damit will ich nicht behaupten, dass das Wort "Chemotherapie" für mich nicht schon immer negativ besetzt war!
Als Tumorpatient, dessen Lebenserwartung sich von einem Tag auf den anderen um Jahre verkürzte, spielte das aber keinerlei Rolle.
Im Gegenteil!
Hätte ich in der Chemotherapie nicht einen hilfreichen "Freund" gesehen - ich würde mich niemals dieser Tortur unterzogen habe.!
Chemotherapie bedeutet für Menschen wie mich Hoffnung!
Und von Hoffnung wird einem Menschen nicht schlecht ...

Um Angehörigen oder Freunden eines Betroffenen eine Vorstellung von dem zu geben, wie Temodal sicher nicht nur auf mich gewirkt hat, gebe ich im Folgenden einen Auszug aus meinem Tagerbuch wieder, das in den Nächten meiner Chemotherapie entstand :

"Wenn Sie sich bitte einmal an die schlimmste Alkoholvergiftung erinnern könnten, die Sie jemals hatten.
Die mit dem Erbrochenen, den Kopfschmerzen und den stundenlangen Sitzungen auf der Toilette.
Haben Sie es?
Prima!
Das, was Sie als Folgen eines Alkoholexzesses durchgemacht haben, multiplizieren Sie jetzt bitte mit dem Faktor drei.
Und schon haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie sich eine Chemotherapie mit dem Medikament „Temodal“ anfühlt.
Mit einem klitzekleinen Unterschied.
Ihre Bestrafungen für ein Übermaß an Alkohol, hatten Sie nach wenigen Stunden überstanden.
Der Tumorpatient aber weiß, dass er sich bereits am nächsten Tag wieder vergiften wird.
Und am übernächsten.
Und am überübernächsten auch.
Zwölf mal fünf Tage lang …"

Ich möchte meinen Ausflug in die Zeiten des Schmerzes dennoch gern positiv beenden: 14 Jahre, nachdem man mir gesagt hat, ich hätte nur noch drei bis fünf Jahre zu leben, schreibe ich dies hier.
Wie groß der Anteil der Chemotherapie an diesem Erfolg war, kann wohl niemand wissen. Angesichts ihrer Nebenwirkungen, würde ich die Möglichkeit, dass sie Wirkungen hatte, jedenfalls als nicht gering einschätzen... ;-)
Weshalb ich sie erneut über mich ergehen lassen würde, wenn die mich behandelnden Ärzte, mir dies empfehlen würden ...

Eydame

@Kinder
Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr sich unsere Erfahrungen gleichen! Würde ich Deine Texte auf meinem Computer finden, würde ich nicht daran zweifeln, sie selbst geschrieben zu haben...
Auch die letzten Sätze ...

kinder

Lieber Eydame,

magst Du berichten, wie du z.Z aufgestellt bist? Nimmst Du Medikamente,
arbeitest du ? Ich bin noch sehr damit beschäftigt, auszutesten, wie weit ich Belastungstechnisch gehen kann. Ich war gerne mit Körper und Musik in meinem Leben beschäftigt und taste mich langsam wieder ran. Heute ist Schwimmen und Apnoetauchen dran.


Herzliche Grüße

Eydame

Liebe Kinder, ( das kling gut )
bei mir haben zwei Impulse mein Leben als Tumorpatient regelrecht auf den Kopf gestellt.
Der erste klingt wahrscheinlich geradezu banal, wenn ich davon erzähle.

„Sie hatten einen Hirntumor!“
Ich stehe mit meinem Hund Gaston bei der Hundefriseurin und werde gefragt, was mit meinem linken Arm los ist. Ich würde den Hund ja gar nicht richtig halten.
„Der Arm ist o.k.“ antworte ich.
„Nur die Steuerung im Kopf ist defekt.“ Ich will nicht immer mit dem Begriff „Hirntumor“ um mich schmeißen, das macht schnell schlechte Laune. Diesmal gelingt mir die Umschreibung nicht wirklich gut, denn sie sieht mich an, als hätte ich ihr in Mandarin geantwortet.
Ich gebe auf.
„Was ich meine ist, dass der Arm völlig in Ordnung ist, nur mein Gehirn ist krank. Ich habe einen Hirntumor.“
Während ich angestrengt versuche, Gaston festzuhalten, drehe ich meinen Kopf so, dass sie die kahle Stelle sehen kann.
„Ich wurde im Januar operiert und habe die letzte Chemotherapie gerade hinter mir.“
„Das heißt, Sie hatten einen Tumor!“, lacht sie mich an.
Wie bitte?
„Na ja, Sie sind operiert worden, also ist der Tumor doch weg!“
Hmmm.
Eine Stunde lang höre ich mir an, dass ihre Mutter auch einen Hirntumor hatte, damit aber prima leben konnte, dass sie als Kind einen komplizierten Armbruch überstehen musste und der Sex mit ihren dritten Mann sehr gut ist.
„Positiv denken muß man, sonst geht man unter.“
Ich nicke, als Zeichen, dass ich zuhöre.
Ich nicke schon seit einer Stunde.
Denn ihr mit größter Selbstverständlichkeit ausgesprochenes „…also ist der Tumor doch weg!“ hat Besitz von mir ergriffen.
Das Trinkgeld hält sie für die Anerkennung ihrer Arbeit als Hundefriseurin.
„Der Tumor ist weg!“
Hmmm…
Das ist mir 10 Euro wert.

Die zweite Geschichte, die meinen Umgang mit dem Krebs maßgeblich beeinflusst hat, erzähle ich beim nächsten Mal.
An dieser Stelle erst einmal nur so viel: Wir HATTEN einen Hirntumor! Merkst du den Unterschied? Liebe Grüße

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