Anna pohle
Ein Kind, zwei Zuhause
Im Wechselmodell betreuen getrenntlebende Eltern ihre Kinder je zur Hälfte. Sabine Walper und Heinz Kindler vom Deutschen Jugendinstitut halten das für eine gute Lösung für manche Familien – aber keineswegs für alle.
In immer mehr Familien in Deutschland kümmern sich beide Elternteile intensiv um die Betreuung der Kinder. Doch wenn die Paare sich trennen, leben die Kinder oft nur noch bei einem Elternteil. Meist bei der Mutter. Auch im Streitfall wird ihr das Kind in den allermeisten Fällen zugesprochen.
Der Widerstand von Vätern gegen dieses verbreitete „Residenzmodell“ wächst. Sie setzen sich für eine Betreuungsform ein, bei dem die Kinder im Wechsel bei Mutter und Vater leben. Unterstützung erhalten sie von der FDP, die das Wechselmodell in den Gesetzen als Regelfall festschreiben will. Im Justizministerium wird derzeit geprüft, ob Reformbedarf besteht.
Jedes zehnte Kind lebt in einer Trennungsfamilie
Tatsächlich bekommt die traditionelle Kleinfamilie, in der der Vater das Geld verdient und die Mutter die Kinder betreut, in Deutschland mehr und mehr Konkurrenz durch andere Familienmodelle: Frauen tragen immer häufiger – zumindest in Teilzeit – zum Familieneinkommen bei und etwa jeder sechste Vater kann nach den Ergebnissen des Surveys »Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten« (AID:A) des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zu den Vätern gezählt werden, die sich aktiv an der Betreuung und Erziehung des Kindes beteiligen.
Doch wie organisieren sich diese Familien nach einer Trennung? Der AID:A-Survey, bei dem im Jahr 2014 fast 13.000 Kinder beziehungsweise ihre Eltern befragt wurden, zeigt, dass jedes zehnte Kind in Deutschland in einer Trennungsfamilie lebt. In den meisten Fällen wohnen diese Kinder bei einem Elternteil und haben zum anderen Elternteil lediglich regelmäßig Kontakt. Knapp fünf Prozent der Eltern erziehen die Kinder mehr oder weniger paritätisch gemeinsam. In 20 Prozent der Fälle gibt es nach den Survey-Daten gar keinen Kontakt zum anderen Elternteil.
Das Interesse am Wechselmodell wächst
Bezogen auf das Wechselmodell gaben bei AID:A vor allem Kinder zwischen sechs und acht Jahren (7,6 Prozent) und zwischen neun und elf Jahren (8,3 Prozent) an, abwechselnd bei beiden Elternteilen zu wohnen. Bei den Kindern zwischen null und fünf Jahren traf das nur auf 2,4 Prozent der Trennungskinder zu, bei den Jugendlichen ab zwölf Jahren auf lediglich drei Prozent.
Auch wenn das Interesse am Wechselmodell als Betreuungsform zunimmt, wird es in Deutschland noch vergleichsweise selten gelebt. In anderen europäischen Ländern, aber auch in den USA, in Australien und Kanada ist es stärker verbreitet. Das liegt insbesondere an den dortigen gesetzlichen Regelungen. Sabine Walper, Psychologin und stellvertretende Direktorin des DJI, liefert in ihrer Analyse „Arrangements elterlicher Fürsorge nach Trennung und Scheidung: Das Wechselmodell im Licht neuer Daten aus Deutschland“ einen differenzierten Überblick über die internationale Forschung.
Demnach ist das Wechselmodell in Frankreich und Schweden zum Beispiel gesetzlich verankert und wird zudem vom Gesetzgeber bevorzugt. Dadurch seien die Anteile minderjähriger Kinder in diesem Modell zwar gestiegen, aber unterschiedlich stark: Während in Schweden inzwischen fast 30 Prozent der Trennungskinder abwechselnd von den Elternteilen betreut werden, erbrachte der französische EU-Survey on Income and Living Conditions nur einen Anteil von 12,2 Prozent aller Trennungskinder im Wechselmodell.
Das Kindeswohl ist entscheidend. Kinder haben unterschiedliche Bedürfnisse nach Konstanz ihres Lebensumfeldes.
Walper und Heinz Kindler, Leiter der Fachgruppe „Familienhilfe und Kinderschutz“, erforschen seit vielen Jahren, von welchem Betreuungsmodell Kinder im Einzelfall profitieren und welche Bedingungen dafür erfüllt sein müssen. Sie warnen vor vorschnellen Rückschlüssen von Entwicklungen in anderen Ländern auf Deutschland. „Gleichwohl gibt es Reformbedarf “, sagt Sabine Walper, Psychologin und stellvertretende Direktorin des DJI. Dabei müsse es allerdings darum gehen, nach einer Trennung alle Betreuungs- und Umgangsformen zu ermöglichen, die dem Kindeswohl dienen.
„Das Kindeswohl ist entscheidend“, betont Walper und ergänzt: „Kinder haben unterschiedliche Bedürfnisse nach Konstanz ihres Lebensumfeldes“. Beispielsweise berge das Wechselmodell bei Säuglingen und Kleinkindern, für die konstante familiäre Beziehungen und (emotionale) Sicherheit im Kontext der Bindungsentwicklung besonders wichtig sind, durchaus Risiken.
Und nicht zuletzt die Qualität der Beziehung zwischen den getrenntlebenden Eltern sei ausschlaggebend. Das Wechselmodell könne eine gute Lösung sein, sagt Walper, wenn Eltern es gemeinsam tragen. Anders verhalte es sich jedoch, wenn Eltern sich nicht einig sind. Eine Anordnung des Wechselmodells durch das Gericht könne dauerhafte Konflikte auslösen, die auf dem Rücken des Kindes ausgetragen werden. Dieses Risiko sieht auch Heinz Kindler.
Konsequenzen für die rechtliche Ausgestaltung
Optimal wäre, wenn gleichzeitig zur rechtlichen Ausgestaltung des Wechselmodells dessen Erforschung im deutschen Rechtskontext angestoßen wird, erläutert der Psychologe in seinem aktuellen Artikel mit dem Titel „Starke und schwache Thesen zu Wechselmodell und Kindeswohl. Eine Bewertung aus sozialwissenschaftlicher Sicht“. Denn bisherige Studien liefern kaum Informationen darüber, unter welchen konkreten Bedingungen das Wechselmodell gelingt – oder auch nicht. Nötig seien vergleichend angelegte Längsschnittstudien, bei denen Trennungsfamilien über einen längeren Zeitraum wissenschaftlich begleitet werden, sagt Kindler: „Schließlich brauchen Familien wie Gerichte gute Basisinformationen, auf deren Grundlage sie die beste Entscheidung für das Kind treffen können.“