Pana
Trennung, Kinder und das Wechselmodell
Von Kerstin Hergt
26.05.2017
Eine Woche Mama, eine Woche Papa
Trennen sich Eltern, bleiben die Kinder in der Regel bei der Mutter und besuchen den Vater nur gelegentlich. Mit dieser traditionellen Rollenverteilung wollen sich Eltern heute oftmals nicht mehr zufriedengeben und entscheiden sich für das Wechselmodell: Wochen- oder tageweise pendeln die Kinder – ein fairer Deal?
Keine Gewinner und keine Verlierer? Nach der Trennung der Eltern wird immer öfter das Wechselmodell praktiziert. Wann funktioniert das – und was haben die Kinder davon?
Hannover. “Mittwoch ist der beste Tag der Woche“, sagt Marco W. (alle Namen sind von der Redaktion geändert). Mittwochs sieht er seine Töchter Emma (11) und Lisa (9) wieder. Er macht früher Feierabend, isst mit ihnen, kontrolliert ihre Hausaufgaben, er hört sich an, was sie in seiner Abwesenheit erlebt haben, lacht und streitet mit ihnen und bringt sie beide abends ins Bett. Das, was für andere Eltern ganz normal ist, nennt Marco W. einen “Glücksfall“: Er darf am Alltag seiner Kinder teilhaben – zumindest mittwochs, donnerstags und jedes zweite Wochenende, das dann auch den Freitag mit einschließt. Das ist keine Selbstverständlichkeit für Väter, die von der Kindsmutter getrennt leben.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts werden in Deutschland jährlich rund 160 000 Ehen geschieden, 2015 waren davon 132 000 minderjährige Kinder betroffen. Hinzu kommen Trennungen von unverheirateten Eltern, für die es keine offiziellen Zahlen gibt. Zwar teilt sich die große Mehrheit der Eltern in Deutschland das gemeinsame Sorgerecht auch nach der Trennung, doch die Kinder bleiben noch immer in der Regel bei der Mutter wohnen, während sie den Vater oftmals nur am Wochenende und in den Ferien sehen.
Für Marco W., der als Selbstständiger mit flexiblen Arbeitszeiten schon während der Ehe viel Zeit mit seinen Töchtern verbracht hat, wäre das traditionelle Residenzmodell mit einem festen Wohnsitz für die Kinder bei der Mutter keine Option gewesen. Schließlich, “nach zähem Kampf“, wie er sagt, hat er sich mit seiner geschiedenen Frau außergerichtlich, aber mit anwaltlicher Unterstützung, auf das sogenannte Wechselmodell geeinigt, bei dem sich die Eltern die Erziehung der Kinder paritätisch teilen. Marco W. ist überzeugt, dass das für ihn, seine Ex-Frau, vor allem aber für die gemeinsamen Töchter die beste Lösung ist.
“Eine Woche Mutter, eine Woche Single“
Beim Wechselmodell wechseln die Kinder regelmäßig ihre häusliche Umgebung. Doch wie ist das für sie, ständig hin- und herzuziehen? “Das Packen ist echt nervig“, gesteht die 15-jährige Jule. Sie und ihre drei Jahre jüngere Schwester Nele haben jeweils eine Plastikbox, in die jeden Donnerstag Schulsachen und Klamotten für die ganze folgende Woche kommen. Da ist nicht nur der Blick auf den Stundenplan Pflicht, sondern auch auf die Wettervorhersage. “Doppelt gefüllte Kleiderschränke haben wir nämlich nicht“, berichtet Jule. Wenn ausgerechnet die Lieblingsjeans vergessen wird, fließen schon mal Tränen. Auch die Bücher und Arbeitshefte für die Schule müssen vollständig sein, denn mal eben wieder bei der Mutter was abzuholen, obwohl doch eigentlich Vater-Woche ist, bringt nur wieder Unruhe. Für alle.
Und die wollen Karen und Thomas S. unbedingt vermeiden. Deshalb haben sie sich für ein Wechselmodell mit Sieben-Tage-Frequenz entschieden: Freitags wechseln die Kinder und ziehen von einem Elternhaus ein paar Straßen weiter ins nächste. In der kinderfreien Woche arbeiten Karen und Thomas S. länger, machen Überstunden, um in der Woche, wenn die Mädchen bei ihnen sind, früher zu Hause sein zu können. “Arbeit“, sagt Karen S., “ist auch manchmal Flucht. Wenn die Kinder bei ihrem Vater sind, wartet ja niemand zu Hause auf mich.“
Dennoch schätzt sie ihre Freiräume: “Ich bin eine Woche Mutter und eine Woche Single und muss mich nicht ständig zerreißen.“ Von anderen getrennt lebenden Müttern höre sie oft, wie stressig deren Leben sei. „Viele haben die Erziehung ganz allein an der Backe, während an den Besuchstagen beim Vater vor allem Spaß angesagt ist. Das ist bei uns nicht so. Wir kümmern uns um die Kinder zu gleichen Teilen, und zwar mit allem, was dazugehört“, sagt Karen S.
Folge einer veränderten Vaterrolle
Früher, als Nele noch kleiner war, zogen die Kinder alle zwei Tage um. Eine ganze Woche ohne den jeweils anderen Elternteil sei für die Jüngere zu hart gewesen, begründet Mutter Karen. Jule dagegen habe der Wechsel innerhalb der Woche eher gestresst. Seit drei Jahren nun gilt der wöchentliche Wechsel. “Insgesamt ist das weniger hektisch für alle Beteiligten“, meint Thomas S. Als es zur Scheidung vor acht Jahren kam und er aus dem gemeinsamen Haus auszog, war für ihn klar, dass er kein Wochenendpapa sein wollte: “Ich war immer für die Kinder da, und das sollte auch weiterhin so sein. Ich hätte sie sogar ganz zu mir genommen.“
Marco W. und Thomas S. sind beide Mitte vierzig und typische Vertreter einer neuen Vätergeneration, die sich deutlich stärker in Sachen Kinderbetreuung engagiert, als es noch vor zwei oder mehr Jahrzehnten üblich war. Das Wechselmodell ist in erster Linie eine Folge dieser veränderten Vaterrolle. Anwälte, aber auch Jugendämter und Familienberatungszentren verzeichnen seit einigen Jahren steigendes Interesse von Eltern an dieser Betreuungsform. Genaue Zahlen darüber, wie viele Trennungsfamilien in Deutschland das Wechselmodell praktizieren, gibt es nicht – vor allem, weil viele Eltern sich außergerichtlich darauf einigen. Ein Indiz dafür, dass es in den vergangenen fünf Jahren beständig mehr geworden sind, ist nicht zuletzt die Fülle an Kommentaren, Diskussionen und Ratschlägen im Netz zu dem Thema.
Das im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerte Familienrecht ist auf das Residenzmodell ausgelegt. Richter und auch Sachverständige haben sich auch in jüngster Vergangenheit noch stark daran orientiert und in Urteilen gegen das Wechselmodell vielfach argumentiert, dass Kinder einen festen Lebensmittelpunkt unter einer Adresse haben müssten, um stabile Beziehungen aufbauen zu können. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse darüber gibt es indes nicht. Für viele Politiker und Juristen ist das Residenzmodell als alleinige Option längst nicht mehr zeitgemäß. Sie fordern daher eine Gesetzesreform, wie sie bereits andere Länder vorgenommen haben, die auch das Wechselmodell berücksichtigt.
Kooperation und Kommunikation sind Pflicht
Für Jule und Nele ist ihr Lebensmittelpunkt das kleine Wohnviertel, wo die Häuser ihrer Eltern nur fünf Gehminuten auseinanderliegen. Um seinen Kindern das Pendeln so komfortabel wie möglich zu machen, hat Thomas S. ein Haus in der Nähe seiner geschiedenen Frau gemietet, so brauchten die Schwestern auch nicht Kindergarten und Schule zu wechseln. Die Kinderzimmer wurden mit denselben Möbeln ausgestattet wie bei der Mutter, aber etwas war nach der Scheidung doch ungewohnt für die Schwestern: die neue Frau an der Seite ihres Vaters. Vom ersten Tag an lebte sie mit in dessen Haus.
Wenn die Kinder Vaterwoche haben, ist sie mitverantwortlich für sie, mischt sich auch mal in Erziehungsfragen ein. Karen S. sagt, sie habe damit nie ein Problem gehabt. Sie würden sogar regelmäßig miteinander telefonieren, sich über die Mädchen austauschen. Überhaupt wird Austausch großgeschrieben bei Familie S.: Zwar halten sich Mutter und Vater in der Woche, in der die Kinder beim jeweils anderen sind, konsequent zurück mit Nachfragen und Anrufen. Doch wenn es um ernste Themen geht, treffen sich die Eltern auch mal zum Vieraugengespräch. “Ohne ein hohes Maß an Kommunikation und Kooperation funktioniert das Wechselmodell nicht“, unterstreicht Thomas S.
Marco W. sieht das anders: “Seit unserer Trennung vor zwei Jahren habe ich so gut wie gar keinen persönlichen Kontakt mehr zu meiner Ex-Frau. In Erziehungssachen ticken wir ähnlich, da ziehen wir am selben Strang, ohne dass es großer Absprachen bedarf. Ausgaben für die Kinder laufen über ein gemeinsames Konto, auf das wir monatlich jeder einen gewissen Betrag zusätzlich zum Kindergeld zahlen und über das wir beide verfügen können. Wir sprechen und sehen uns höchst selten.“
Keine Gewinner, keine Verlierer
Totale Distanz auf beiden Seiten – funktioniert das wirklich auf Dauer? Die Familiengerichte haben das Wechselmodell als Alternative zum Residenzmodell in der Vergangenheit eher abgelehnt. Häufigste Begründung war nach einer 2016 veröffentlichten Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vor allem, dass die Eltern zu sehr zerstritten waren. Doch erst in solchen Fällen kommen die Richter überhaupt ins Spiel – um zu retten, was “zum Wohl des Kindes“ noch zu retten ist.
Gerade aber wenn permanente Uneinigkeit in Erziehungs- und Organisationsfragen besteht, ist das Wechselmodell nach Ansicht von Wissenschaftlern wie der Frankfurter Pädagogik-Professorin Kerima Kostka, die sich eingehend damit befasst hat, keine Lösung. Die Kinder würden zu sehr leiden. Andererseits hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einer im Februar gefällten Grundsatzentscheidung zum Wechselmodell betont, dass diese Betreuungsvariante kein Instrument zur Erzeugung elterlicher Harmonie sei. Nach dem Beschluss des Familiensenats können Richter das Wechselmodell künftig auch gegen den Willen eines Elternteils anordnen, wenn ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft besteht und die Vorteile für das Kind im Vergleich mit anderen Optionen überwiegen.
Befürworter des Wechselmodells, wie etwa die Nürnberger Familienrechtsprofessorin Hildegund Sünderhauf-Kravets, sehen sich durch den BGH gestärkt. Konfliktsituationen gebe es auch in Fällen, in denen das Kind nur bei einem Elternteil leben würde. Auch dann müssten Vater und Mutter miteinander kommunizieren, wenn sie das gemeinsame Sorgerecht hätten, argumentiert die Juristin. Ihrer Ansicht nach kennt das Wechselmodell letztlich “keine Gewinner und Verlierer“, weil alle Beteiligten sich auf Augenhöhe begegneten. Das wiederum trage zum Abbau von Konflikten bei. Deshalb entspreche das Wechselmodell sogar eher dem Kindeswohl als das Residenzmodell.
Das Wechselmodell kostet Zeit, Energie und Geld
Was ist tatsächlich das Beste fürs Kind? Wenn die Eltern keine Lösung finden, muss der Richter entscheiden und ist angehalten, das Kind persönlich anzuhören – im Zweifel auch schon dann, wenn es noch gar nicht in die Schule geht. Doch in der Praxis sind klare Stellungnahmen selbst bei älteren Kindern eher die Ausnahme. Kinder verhielten sich in der Regel stets loyal gegenüber ihren Eltern, sagt Heinrich Schürmann.
25 Jahre lang war Schürmann Familienrichter am Oberlandesgericht Oldenburg, bevor er im vergangenen Jahr in den Ruhestand ging. Die Vor- und Nachteile des Wechselmodells halten sich aus seiner Sicht die Waage. Positiv sei, dass die Kinder die Chance hätten, ein gleich intensives Verhältnis zu den Eltern zu pflegen und dass die finanziellen Verpflichtungen sich auf Vater und Mutter verteilten. In der Regel sind beide berufstätig, Unterhaltsverpflichtungen entfallen daher. Bei der praktischen Umsetzung sieht Schürmann dagegen viele Probleme: “Die Eltern müssen für räumliche Nähe sorgen, zwei Kinderzimmer vorhalten, ihren persönlichen Zeitplan nicht nur nach dem Kind, sondern auch nach dem des ehemaligen und gegebenenfalls auch des neuen Partners ausrichten. Das kostet viel Zeit, Energie und auch Geld.“
Aus eigener Erfahrung weiß Schürmann, wie schwierig gerade in Streitsituationen eine gerichtliche Entscheidung für oder gegen das Wechselmodell ist. “Das ist stets einzelfallabhängig. Im Vordergrund sollten immer die Kinder stehen und damit die zentrale Frage: Ist für sie so ein Modell verträglich? Ich kenne Fälle, da musste ein Kind sogar wöchentlich den Kindergarten wechseln. Das geht auf Dauer nicht gut“, sagt Schürmann, der auch Sprecher des Deutschen Familiengerichtstags ist. In einem Positionspapier der Kinderrechtekommission des Vereins zum Wechselmodell kritisieren die Mitglieder, dass es die “Kontinuität des Kontakts zu beiden Elternteilen nur zum Preis der Diskontinuität“ für das Kind gebe. Zwei Zuhause zu haben könne bedeuten, kein richtiges Zuhause zu haben.
Zwei Zuhause statt einem “richtigen“?
Jule empfindet das nicht so. Für sie gibt es keine Erst- oder Zweitadresse. Sie fühlt sich bei beiden Elternteilen gleich heimisch. Auch wenn es sie mit ihren 15 Jahren jetzt grundsätzlich weniger zu Hause hält als ihre jüngere Schwester. Jule ist gern mit ihren Freunden unterwegs, macht Sport. Für ihre Eltern werden die Gelegenheiten, mit ihr zusammen zu sein, immer rarer. Vielleicht gibt es deshalb auch manchmal mehr Diskussionen darüber als bei anderen Teenagern, wenn sich Jule am Wochenende verabreden will.
Als ihre Eltern das Wechselmodell beschlossen haben, ist sie nicht gefragt worden. Und doch hätte sie sich auch im Rückblick keine andere Variante vorstellen können: „Das Beste daran ist wirklich, dass die Zeit, die Eltern und Kinder miteinander haben, so gerecht verteilt ist.“ Vielleicht sogar gerechter als bei mancher intakten Familie.
Info: Sorgerechtsregelungen in anderen Ländern
Bislang ist das Wechselmodell in Deutschland gesetzlich nicht geregelt. Doch der Ruf nach entsprechenden Regelungen wird vor allem seitens Väterverbänden immer lauter. Sie beziehen sich dabei in erster Linie auf eine im Oktober 2015 einstimmig vom Europarat beschlossene Resolution zur “Gleichheit und gemeinsamen elterlichen Verantwortung“. Ziele sind, die Diskriminierung von Vätern abzubauen, das paritätische Wechselmodell in den nationalen Gesetzen zu verankern und ein Hinwirken auf einvernehmliche Lösungen der Eltern zu erreichen. Nach Ansicht vieler Juristen und Politiker hat auch der BGH mit seinem Beschluss vom Februar zum Wechselmodell den Weg für eine gesetzliche Klarstellung vorgezeichnet. In anderen Ländern gibt es bereits rechtliche Bestimmungen:
USA: Familienrecht ist Sache der einzelnen Staaten. Dabei ist das gemeinsame rechtliche Sorgerecht, bei dem die Kinder zwar hauptsächlich bei einem Elternteil wohnen, der andere aber in alle die Kinder betreffenden wichtigen Entscheidungen eingebunden wird und ein umfangreiches Umgangsrecht besitzt, der Regelfall. In Kalifornien und einigen anderen Staaten ist mittlerweile auch eine Prüfung der “physischen gemeinsamen elterlichen Sorge“ Standard. Das Wechselmodell mit einer Zeiteinteilung von fünfzig zu fünfzig gilt als bevorzugtes Modell.
Australien: 2006 gab es eine Reform des Kindschaftsrechts, das nunmehr “eine Kultur der Zusammenarbeit und gleichen Verantwortung beider Eltern“ fördern will. Kinder sollen möglichst viel Zeit bei Mutter und Vater verbringen. Angestrebt ist die abwechselnde Betreuung zu gleichen Teilen. Extra darauf spezialisierte Familienberatungszentren geben Hilfestellung bei Absprachen und Organisation. Können sich die Eltern nicht einigen, wird das Gericht erst tätig, wenn ein Schlichtungsversuch vor einer Schiedsstelle gescheitert ist.
Belgien: Das Wechselmodell wird bereits seit Mitte der Neunzigerjahre nach Einführung des gemeinsamen Sorgerechts praktiziert und ist mittlerweile die Regel. Mehr als 30 Prozent der Trennungskinder wechseln zwischen Vater und Mutter. Ordnet ein Gericht bei Streitigkeiten ums Sorgerecht ein anderes Modell an, muss es ausführlich begründen, warum das Wechselmodell nicht infrage kommt.
Frankreich: 2002 gab es eine umfangreiche Sorgerechtsreform, die vor allem die bis dahin herrschende Unverhältnismäßigkeit beenden sollte, dass mehr als 80 Prozent der Kinder nach der Trennung bei der Mutter blieben und ein Viertel gar keinen Kontakt zum Vater hatte. Jetzt schreibt das Gesetz vor, dass Mutter und Vater ihre persönliche Beziehung zum Kind aufrechterhalten müssen und die Bindung an den jeweils anderen Elternteil zu akzeptieren haben. Das Wechselmodell wird im Gesetz an erster Stelle der Alternativen zum Residenzmodell genannt.
Skandinavien: In Skandinavien ist das Wechselmodell der Regelfall. In Schweden, wo rund die Hälfte der sechs- bis neunjährigen Trennungskinder wechselseitig betreut wird, kann das Modell seit 2006 auch gegen den Willen eines Elternteils gerichtlich angeordnet werden, ebenso in Norwegen. Studien zufolge wird in Dänemark jedes fünfte Kind nach der Trennung der Eltern im Wechselmodell betreut.
Großbritannien: Die Eltern können außergerichtlich ein geteiltes Wohnsitzrecht für das Kind vereinbaren. Diese “shared residence order“ entspricht im Kern dem Wechselmodell. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, kann das Gericht im Rahmen einer Kontakt- und Aufenthaltsvereinbarungsverfügung ein Wechselmodell anordnen. Schätzungen zufolge wird das Wechselmodell nur in 17 Prozent der Trennungen praktiziert. Im Fall der Anwendung ist es Vätern und Müttern nicht gestattet, das Land länger als einen Monat zu verlassen, wenn der jeweils andere Elternteil nicht ausdrücklich zustimmt.
Interview mit Familienrechtler Dr. Max Braeuer:
Dr. Max Braeuer ist seit 1979 Rechtsanwalt. Zu seinen Schwerpunkten zählt unter anderem Familienrecht. Sie verfügen über jahrzehntelange Erfahrung als Fachanwalt für Familienrecht. Wann sind Sie in der juristischen Praxis zum ersten Mal mit dem Wechselmodell konfrontiert worden?
Das war erst in jüngster Zeit. Die Idee des Wechselmodells gibt es natürlich schon länger, doch noch vor fünf Jahren haben ein Großteil meiner Kollegen und ich es für absurd gehalten, dass sich dieses Modell einmal durchsetzen würde. Es gab zu viele Zweifel an der praktischen Umsetzung. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit sind die Ansichten nun umgeschlagen. Heute ist es etwas Selbstverständliches, mit Scheidungsmandanten, die Kinder haben, über dieses Modell zu sprechen.
Diese Form der Betreuungsregelung wird in Fachkreisen als Folge des Wandels der klassischen Rollenverteilung gewertet. Vor allem Väterverbände haben sich in der jüngsten Vergangenheit dafür starkgemacht. Sind es tatsächlich mehr die Väter, die das Wechselmodell favorisieren?
Ja, eindeutig. Die meisten Väter engagieren sich heute weitaus stärker für ihren Nachwuchs als vorige Generationen. Sie möchten intensiver teilhaben am Leben ihrer Kinder – auch über die Trennung von der Mutter hinaus. Die Mutter bei der Erziehung zu entlasten steht bei Eltern, die sich für das Wechselmodell entscheiden, nicht im Vordergrund.
Von Kritikern wird ins Feld geführt, dass die Väter sich mit dem Modell aus Unterhaltszahlungen “herauskaufen“ wollen. Aber bringt es finanzielle Vorteile?
Die Unterhaltslast sinkt tatsächlich, vor allem weil beim Wechselmodell beide Elternteile berufstätig sind.
Ist das Modell nicht ohnehin ein Modell für Besserverdienende?
In der Tat wird es vor allem von mittelständischen Großstadtfamilien praktiziert. Bei Kollegen auf dem Land spielt das Wechselmodell keine Rolle. Es erfordert räumliche Nähe und zwei komplette Infrastrukturen. Das wiederum kostet. Sie brauchen beispielsweise zwei eingerichtete Kinderzimmer.
Nach wie vor fehlt es in Deutschland an einer gesetzlichen Regelung für das Wechselmodell. Die BGB-Vorschriften zum Sorgerecht sind auf das traditionelle Residenzmodell ausgelegt. Sollte der Gesetzgeber Änderungen vornehmen?
In Sachen Unterhalt muss nachgebessert werden. Für das Sorge- und Umgangsrecht brauchen wir aus meiner Sicht keine zusätzlichen Regelungen. Der jüngst ergangene BGH-Beschluss zum Wechselmodell ist hier eindeutig.
Nach diesem Beschluss soll es ausreichen, wenn nur ein Elternteil dem zustimmt. Welches Gewicht hat der Wille des Kindes vor Gericht?
Der Wille des Kindes ist nicht entscheidend, aber sein Wohlergehen. Kommt es zu einem Gerichtsverfahren, sollte es auch angehört werden, wenn es unter 14 Jahre alt ist. Ab dem 14. Lebensjahr ist die Anhörung verpflichtend. Das Gericht muss die Aussage des Kindes würdigen und in seine Entscheidung mit einbeziehen.
Was würden Sie einem Mandanten raten, der das Wechselmodell gegen den Willen der Kindsmutter gerichtlich durchsetzen will?
Als Anwalt ist es meine Aufgabe, das Begehren meines Mandanten zu ermitteln. Will er das Kind öfter als nur jedes zweite Wochenende sehen, gibt es auch andere Möglichkeiten als ein wochenweises Wechselmodell. Die Vereinbarung wird dann als Teil der Umgangsregelung getroffen. Man geht kein Risiko ein, wenn man seine Wünsche vorbringt. Grundsätzlich steht und fällt das Wechselmodell jedoch mit dem Zusammenspiel beider Elternteile. Erzwingen lässt sich da nichts. Auch der BGH weist in seinem jüngsten Beschluss darauf hin, dass ein Mindestmaß an Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft bestehen muss, um das Wechselmodell auch gegen den Willen eines Elternteils anzuordnen.
Ist nach dem BGH-Beschluss mit einer familiengerichtlichen Klagewelle zu rechnen?
Eigene Verfahren nur zum Wechselmodell sind nicht möglich. Aber die Umgangsrechtsstreitigkeiten könnten durchaus zunehmen.
Wie lange ziehen sich solche Verhandlungen in der Regel hin?
Das hängt davon ab, wie streitbereit die Eltern sind. Den meisten fehlt die Kraft, sich durch mehrere Instanzen zu klagen.
Muss, wer sich nicht kooperativ verhält, damit rechnen, das Sorgerecht zu verlieren?
Bisher war der Sorgerechtsentzug ein eher stumpfes Schwert, wenn ein Elternteil das Umgangsrecht des anderen nachhaltig behindert hat. Beim Wechselmodell dagegen ist von einer gleich starken Bindung des Kindes sowohl zum Vater als auch zur Mutter auszugehen. Hier wäre bei einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf nur einen Elternteil das Kindeswohl weniger gefährdet.
Wie bewerten Sie persönlich das Wechselmodell?
Aus meiner Sicht profitieren vor allem die Eltern davon. Die Kinder halten das einfach nur aus, sie sind loyal. Ich kenne Fälle, wo die Kinder täglich umziehen müssen. Ob ihnen das guttut, wage ich zu bezweifeln.
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