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mitimboot

Liebe Alle,

mein Mann ist Langzeitüberlebender, d.h. er lebt seit 15 Jahren mit einem inoperablen Astrozytom III im Hirnstamm. Er hat in dieser Zeit 2 Bestrahlungen durchgemacht und macht gerade die 2. Chemo (stationär, jeweils 3 Tage, alle 6 Wochen). Ich bin erst seit 5 Jahren mit ihm zusammen, kenne ihn aber schon ein paar Jahre länger, wir haben einen dreieinhalbjährigen Sohn. Letztes Jahr hat mein Mann noch Darmkrebs bekommen, hatte temporär einen künstlichen Darmausgang, mehrere OPs, gilt jetzt diesbezüglich als "geheilt". Nun wurden Rezidive am Hirntumor festgestellt und deshalb eine Chemo angesetzt.

Er ist schon seit Längerem kein Mensch mehr, mit dem man es aushalten kann. Ich hadere mit mir, ihn in dieser Situation zu verlassen und im Stich zu lassen. Ich glaube, dass er noch ein paar Jahre vor sich hat, aber ich glaube, ich kann es psychisch nicht durchhalten. Unser Sohn und ich sind Zielscheibe seiner Aggressivität und werden von früh bis spät nur fertig gemacht. Ich fliehe so oft ich kann aus dem Haus und unternehme etwas mit unserem Sohn, und ich wünsche mir so sehr, mal wieder respektiert und geachtet zu werden. Zumal ich seit 4 Jahren alles für meinen Mann regle, Behörden, Krankenkassen, Papierkram, Haushalt, mich ums Kind kümmern, außerdem bin ich freischaffende Journalistin und muss voll arbeiten und Geld verdienen. Mein Mann ist seit 15 Jahren verrentet und spricht immer nur davon, er habe halt schon seine 30 Jahre Arbeit absolviert; er sieht meine vielfältigen Belastungen nicht. Er redet den ganzen Tag schlecht über mich und das Problem ist: er will nichts davon wissen, dass er Wesensveränderungen hat. Wenn ich das sage, dann behauptet er, ich sei psychisch krank und bräuchte Psychopharmaka und solle zum Psychiater gehen. Und beschimpft mich eben wieder. Wir sind in einer Paartherapie. aber da kommen wir auch nicht an das Thema heran. Er weist das weit von sich, dass mit ihm etwas nicht stimmen könnte. Zu gern würde ich mal mit seinen Ärzten in Heidelberg darüber sprechen, aber an die komme ich ohne ihn ja gar nicht heran. Mein Mann glaubt fest an die Schulmedizin und an seine Ärzte in Heidelberg (DKFZ und Neuroonkologie). Das ist meines Erachtens auch mit ein Grund für seinen guten Verlauf, für sein langes Überleben. Er ist sich ganz sicher, dass die alles richtig nach dem neuesten Forschungsstand machen und er macht alles mit und er hat Hoffnung. Aber er lebt in und für seine Krankheit und hat diese "professionalisiert", wie ich das gerne nenne. Es ist sein Lebensinhalt, er redet von nichts anderem und nimmt auch nichts anderes wahr, weder mich, noch seinen Sohn und vor allem macht er ihn und mich den ganzen Tag schlecht. Ich wünsche mir so sehr, dass mein Sohn bestätigt wird und vor allem in einem fröhlichen Zuhause aufwächst. Aber er sieht mich zuhause nie lachen und ich bin auch nie locker, wenn mein Mann da ist. Wenn er mal wieder längere stationäre Aufenthalte hat (was bei ihm öfters vorkommt, da er aufgrund seiner Hemiparese oft stürzt und sich regelmäßig noch Knochenbrüche und andere Verletzungen zuzieht), dann bin ich ehrlich gesagt immer sehr froh, mal ein bis zwei Wochen meine Ruhe zu haben und einfach leben zu dürfen. Ich habe Angst davor, noch jahrelang mit ihm so weiterleben zu müssen. Wenn ich noch etwas von meinem Leben haben möchte und möchte, dass unser Sohn eine schöne Kindheit hat, dann muss ich ihn verlassen. Ich bin bereit, ihn zu pflegen und ihm zu helfen und alles, aber diese ständigen Anfeindungen, diese ständigen Spannungen und auch diese soziale Isolation, denn meine Freunde besuchen mich schon lange nicht mehr, weil mein Mann dann auch vor denen nur über mich schimpft und lästert, die kann ich nicht ertragen.

Wenn seine Ärzte ihm erklären würden, dass er eine psychische Problematik hat, dann würde er das eher annehmen können. Ich befürchte aber, dass es gar keine Psychopharmaka gibt, die hier wirksam eingesetzt werden können?

Für unseren Sohn wäre es wichtig, einen Papa zu haben, der ihn annimmt. Ich habe oft Suizidgedanken, weil ich so niedergemacht werde, obwohl ich helfe wo ich kann. Ich weiß, dass mein Sohn mich braucht, deshalb bin ich nicht wirklich suizidgefährdet, aber ich nenne es mal "des Lebens müde", denn ich habe einfach kein Leben. Ich diene meinem Mann und schenke ihm mein gesamtes Leben und meine Energie und der schätzt es kein bisschen.

Danke für Eure Gedanken dazu.

tinchen

Liebe mitimboot,

sei "Herzlich Willkommen" hier im Forum. Es wird dir auf alle Fälle helfen, du erhältst gute Ratschläge und vor allem auch Zuspruch. Man fühlt sich einfach nicht mehr so allein gelassen.

Ich kann dich sehr gut verstehen, einfach weil ich selbst in solch einer Lage war (siehe mein erster Beitrag vom 9.5.2013 "Wesensveränderungen und Stimmungsschwankungen"). Vieles was du in deinem Beitrag erwähnst, traf auch auf meinen Mann und mich zu. Leider gehören "Wesensveränderungen" sehr häufig zu Symptomen des Hirntumors.

Mein Mann (Glioblastom) war während seines Krankenhausaufenthaltes bei einem Psycho-Onkologen in Behandlung, erhielt Medikamente (Tavor) verschrieben. Seit über 2 Monaten ist er sehr friedlich, ruhig, dankbar, sein aggressives Verhalten ist völlig verschwunden. Die Medikamente sind KEINESFALLS die optimale Lösung!!! Aber seither ist unser Zusammenleben wieder sehr gut bzw. überhaupt wieder möglich.

Liebe mitimboot, bitte hole dir jede Unterstützung, die du erhalten kannst. Es gibt Psycho-Onkologen, die sowohl deinem Mann als auch dir helfen können.
Auch eine psychiatrische Behandlung für deinen Mann ist eine Möglichkeit, eventuell auch mit einem stationären Aufenthalt.

So eine belastende Atmosphäre kann man auf Dauer nicht ertragen. Zumal ihr ein kleines Kind habt, welches mitbetroffen ist.


Sei ganz lieb gegrüßt von tinchen

Weihnacht

Liebe Mitimboot,

Die Aggressivität scheint zur Diagnose "Hirntumor" zu gehören - oder/und die Depression. Das höre ich oft und beobachte es auch selbst. Es kommt wohl darauf an, wie man veranlagt ist: was eher durchbricht.

Ich bin selbst betroffen und kenne beides, schon viele Jahre, Jahrzehnte.
Meine Diagnose habe ich allerdings erst letzte Weihnachten bekommen.

Der Tumor wohnt angeblich schon sehr viel länger in meinem Kopf. Ein Ärzte-Team am Epilepsie-Zentrum in Zürich vermutet sogar "lebenslänglich" (Gangliogliom/Missbildungstumor).

Seit ich dies weiss, frage ich mich immer wieder, wie ich wohl wäre, ohne Hirntumor?! Ich mache mir darüber Gedanken, ob ich mich überhaupt kenne - und ob ich mich überhaupt kennen kann?! Die aggressiven Schübe, die ich und andere laufend erleben, und die Depressionen, von denen ich im Laufe meines Lebens 3-4 längere und sehr dunkle Phasen hatte und die ich vor anderen versteckte, gehören zu meinem Leben. (Eine Therapie habe ich bis vor der Diagnose abgelehnt. Heute habe ich einen anderen Weg gefunden "psycho-therapeutisch" an mir zu arbeiten.)

Sie gehören heute zu meiner Persönlichkeit; ich kann weder die Aggression noch die Depression von mir abspalten.

Dies sind meine Gedanken zu dem von dir geöffneten Thema "Aggression" und "Wesensveränderung".

Was deinen Text betrifft: Du stellst nicht nur Fragen sondern beantwortest sie auch. Bist du nicht schon entschieden?

Herzlichst,
Isabell

mitimboot

Liebe Isabell, liebe Tinchen,

schön, so schnell Feedback zu bekommen. Ja, die Aggression und Depression scheinen zu seiner Persönlichkeit zu gehören, das ist ein wichtiger Gedanke.

Und ja, auch er nimmt einen starken Medikamentenmix, Vaproat und Carbamazepin und Lacosamid, alles hoch dosiert. Carbamazepin wird gerade ausgeschlichen.

Manchmal bekommt er Tavor vor einem MRT, damit er darin keine Panik bekommt und dann ist er wie "bekifft". Tavor könnte eine Lösung sein.

Die Frage bleibt, wie ich ihn nur zum Psychoonkologen bekommen soll?

@Isabell: Emotional bin ich entschieden, das ist richtig. D.h. emotional gar nicht mehr bei ihm, das spürt mein Mann auch. Er ist so anstrengend und fordernd, und ich muss mich oft einfach vor ihm verschanzen, um nicht selbst durchzudrehen. Aber ich fühle mich ihm moralisch verpflichtet und schaffe es nicht, ihn im Stich zu lassen. Gleichzeitig habe ich Verantwortung für das Gedeihen unseres Sohnes - das ist meine Zwickmühle.

Herzlichst, Gina

alma

Hallo Gina,

die Psychoonkologie ist auch für Angehörige da. Geh doch einfach erstmal allein hin. Die Frage ist doch, ob es noch einen Weg für dich gibt, mit der Krankheit deines Mannes umzugehen (Auszeiten, Mäßigung der Anforderungen an sich selbst) oder ob eine (vielleicht nur räumliche) Trennung die bessere Lösung ist. Also eine professionelle Entscheidungshilfe in deinem Konflikt zu suchen.
Krebs oder nicht - es ist schwierig, seinen Partner, wenn er nicht will. zum Psychologen zu bekommen. Und Sinn macht es ohnehin nur, wenn der Wunsch auch bei ihm da ist, sein Verhalten zu verändern.
Auch Tavor müsste er von selbst nehmen. Ich bin aber skeptisch, ob das für ihn so gut ist mit seiner Hemiparese (wie bekifft, Sturzgefahr).
Der Krebsinformationsdienst (KID) hat auf seiner Webseite etwas zu dem Thema: Krebs und Angehörige. Anrufen kannst du da auch.

Liebe Grüße, Alma.

Weihnacht

Liebe Gina,

Wenn ich mir vorstelle, ich lebte mit einem Partner zusammen - zur Erklärung: Ich habe mich vor vielen Jahren ganz bewusst gegen weitere Partnerschaften entschieden - und müsste mich jeden Tag "zusammenreißen", oder anders herum, ich dürfte(!) - weil unsere Partnerschaft von Vertrauen geprägt ist - alle meine Gedanken und Gefühle, Ängste und Freuden mit ihm teilen: Es würde mich der eine wie der andere Fall überfordern.

Es lohnt sich eine Übung zu machen, um den anderen besser verstehen zu lernen. Sie nennt sich Meta-Dreieck und kommt aus dem Neurolinguistischen Programmieren. Du als journalistische Fachkraft kennst diesen (umstrittenen) Methodenkasten des NLP vielleicht...

Ich arbeite bereits seit Jahren damit und fühle mich damit immer wieder erstaunlich stark und gut - erstaunlich nicht nur für mich selbst sondern auch für andere, Eltern, Sohn, Freunde, Kollegen. Ich lasse sie dir direkt per Nachricht zukommen.
Lg Iz

P.S. Vielleicht noch einen Kommentar: NLP verfolgt den Glaubenssatz: Veränderung durch Kommunikation. Ich würde ihn erweitern und sagen: Heilung durch Kommunikation. - Sie kann unterstützend wirken; medizinische Behandlung ersetzt sie natürlich nicht!

vlinder

Liebe Gina,

wie tapfer du dich durchgeschlagen hast kann ich nur bewundern. Es hat mich sehr erschüttert, wie schwer es für dich ist, und ich kann den anderen nur beipflichten: Hole du dir professionelle Unterstützung. Ich glaube, ich habe keine guten Ideen für dich. Psychoonkologie ist sicher der beste WEg für dich. Vielleicht hilft ja auch der Gedanke, dass, wenn ihr räumlich getrennt wäret und du die Möglichkeit hättest zu dir zu kommen, dass du deinem Mann vielleicht dadurch besser helfen kannst.
Ich denke an euch und wünsche euch alle Hilfe die ihr bekommen könnt.
Vlinder

Felsquellwasser

liebe Gina
willkommen im Forum,es ist gut ,wie du die Problme hier schilderst.
Es stecken Lösungsansätze in deinem Beitrag drin.
Was du nicht mehr möchtest stellst du eindeutig klar, der Weg ,dahin ist schwierig.Nehme die Beratung in Anspruch ,Psycho Onkologen kennen die Probleme, die Angehörige haben ,recht gut.
Die Verantwortung für euer gemeinsames Kind, die Spanunngen ,die sich nicht lösen können, das ist nicht hinnehmbar.
Es geht jetzt um dich und dein/euer Kind.Du hast nur ein Leben und das ist jetzt.. Es scheint ,als wäre dein Mann
nicht bereit, Hilfe in Anspruch zu nehmen, Tavor ist definitiv keine Dauerlösung für ihn ,wer das schon mal genommen hat ,es ist eine ""Droge""
Moralische Verpflichtung sich der Tyrannei eines Menschen unter zu ordnen gibt es nicht.
Die Idee eine räumliche Trennung vor zu nehmen erscheint hifreich ,wenn du das finanziell gestemmt bekommst.
Wünsche dir ,deinen Mann --dass er sich helfen läßt---eurem Sohn eine verträgliche Lösung.Was für ein Vaterbid und Männerbild lernt er kennen.
Viel viel Glück den ersten Schritt hast du getan ,hier zu schreiben,das ist mutig.
100wasser

Glio Grad IV Dez 2010--ich lebe ein anderes neues schönes Leben,das geht tatsächlich

gramyo

Liebe Gina,

zuerst möchte ich dich auch herzlich willkommen heissen, von meiner Seite.

In vielen Punkten, möchte ich mich 100wasser anschliessen.Wenn ihr jetzt schon in einer Paartherapie seid und es zu keiner Besserung gekommen ist, wird es, meiner Meinung nach, auch nicht durch ein psychoonkologische Therapie besser.

Tavor bringt nur eine bestimmte Zeit Hilfe, müsste aber doch relativ bald reduziert werden, wegen Abhängigkeitsgefahr.

Eine "moralische Verpflichtung" bringt überhaupt keine Erleichterung oder Zusammengehörigkeitsgefühl, geschweige denn, liebevolles Miteinander im Leben !!

Dies soll in keiner Weise eine Kritik an dich sein. Diese moralische Verpflichtung, schreibst du ja auch, spürt er und es kann dadurch ja auch zu einer Aggressivität und Spannung kommen.Es soll dir eher den Mut geben, dich von dem Vater deines Kindes räumlich zu trennen.

Es werden dann einige Leute sagen, "wie konnte sie nur......", aber ich bin der Meinung , das das Verhältniss sogar dadurch besser werden könnte. Du kannst dich ja durchaus bereit erklären , alle amtlichen Sachen weiter zu führen , aber du bist seiner Aggressivität nicht mehr ausgesetzt.

Hier im Forum würdest du durchaus Unterstützung finden und Verständniss für deine Lage. Lebe das Leben mit deinem Sohn und kümmere dich , aber in Maßen, um deinen Mann und den Vater eures Sohnes.

Diese Erkrankung, davon bin ich fest überzeugt, steht man als Angehöriger nur durch, wenn man den Betroffenen liebt. Das war bei uns der Fall und ist es bei sehr vielen hier. Aber selbst dass, sollte dich nicht davon abhalten, ein neues , eigenes Leben mit deinem Sohn zu führen.
Nur Mut ....

Wir schicken dir sehr viel Kraft
Gramyo und ihr Mann, der auch nicht der Vater ihrer beiden Kinder war
und der einen wunderschönen Platz in ihrem Herzen und Leben einnimmt

mitimboot

Unglaublich, wieviel Rückmeldung, Anregungen und Zuspruch man hier binnen 24h bekommt! Ihr alle steckt ja auch mittendrin in diesem Film und es ist großartig, wie Ihr trotzdem noch anderen Menschen Mut macht.

Den Betroffenen Hunderwasser, Alma und Weihnacht wünsche ich Kraft und Glück und den Angehörigen gramyo und vlinder und tinchen natürlich genauso!

Glaubt Ihr, ich kann seine Ärzte in Heidelberg als Ehefrau einfach mal anrufen und versuchen, Ihnen seinen psychischen Zustand zu beschreiben?Ich will die Ärzte ja auch nicht nerven, kann schwer einschätzen, ob die ein Ohr für so etwas haben. Meine Hoffnung wäre, dass die das dann beim nächsten Chemozyklus am nächsten Freitag mal zur Sprache bringen. Denn wenn er einsichtiger wäre, dass er starke Stimmungsschwankungen hat, dann könnte er das mit einer räumlichen Trennnung vielleicht auch besser nachvollziehen.

Ich liebe meinen Mann schon, aber eher den Mann, der er mal war (und da war er auch schon krank!), es ist eher eine Erinnerung an der ich noch hänge. Ich persönlich glaube nicht, dass er wieder so werden kann. Diese fehlende Hoffnung meinerseits stört meinen Mann vermutlich. Er will ja von mir emotional gestützt werden. Ich sehe aber, wie er immer schwächer wird. Das Sterben steht nicht so direkt vor der Tür, glaube ich, aber er baut halt sukzessive ab. Der Darmkrebs hat ihn noch zusätzlich gebeutelt und kostet täglich Kraft, weil er nicht alles essen kann, viel Durchfall hat, dann wieder Verstopfung...er trägt sicherheitshalber Windeln. Aber es ist vor allem die Hemiparese, die sichtbar fortschreitet. Ihm läuft unkontrolliert Speichel aus dem Mund, er läuft immer schlechter, insgesamt ist sein Muskeltonus immer schwächer. Nicht zuletzt durch die vielen OPs, die er in den letzten 2 Jahren durchgemacht hat (Oberschenkelhalsbruch - hier bekam er einen Metallnagel von der Hüfte bis zum Knie eingesetzt), 3 DarmOPs, die von wochenlangem Zwangsfasten vor und nach den OPs begleitet waren, so dass er nur noch ein Knochengerippe war. Also keine Reserven mehr hatte. Er hatte Wasser in der Lunge vom vielen Liegen...davon hat er sich wieder erholt, aber in dieser Zeit haben sich dann die Rezidive am Astrozytom gebildet.

Er hat übrigens ein Rickham-Reservoir, d.h. man entnimmt alle 6-12 Wochen etwas Liquor, um den Hirndruck zu regulieren und dann ist seine Motorik sofort eklatant besser. Aber verschlechtert sich dann auch schnell wieder, also nach ca. 3 Wochen füllt sich die Tumorzyste wieder und alles ist wieder beim Alten.

Ich merke einfach, dass seine Kräfte nicht mehr so wieder kommen, er nicht komplett regeneriert, dass er insgesamt schwächer wird. Dass er immer schlechter hört und zunehmend Wortfindungsstörungen hat etc.

Mein Mann hofft auf einen Quantensprung in der Medizin, der vielleicht kommt und ihn heilen könnte. Ich glaube nicht daran. Ich glaube zwar an Quantenheilung, aber das ist nichts für meinen Mann, er ist solchen Phänomenen gegenüber äußerst skeptisch und alles Komplementäre, Alternative hält er für kompletten Humbug. So bleibt ihm diese potentielle Kraftquelle verborgen. (Ich habe ihm hier auch schon das eine oder andere Präparat vom Homöopathen zusammenstellen lassen, das hat er nicht genommen. Er schwört eben auf seine Schulmedizin).

Jetzt macht er die Chemo, die schon wieder an seinen Kräften zehren wird. Die letzte Chemo musste er abbrechen, weil seine Leukozytenwerte zu stark fielen. Ich muss ja auch der Realität ins Auge sehen. Wenn ich einen Menschen begleite und merke, seine Kräfte werden nach und nach weniger, dann kann ich mir auch nichts vormachen. Natürlich ist er noch lange nicht tot. Ich kann mir aber auch nicht vormachen, er würde wieder "der Alte". Auch ein Phänomen wie er, der sich seit 15 Jahren erfolgreich gegen die Krankheit stemmt, ist irgendwann am Ende des Weges.

Mein Mann möchte z.B. auch die letzten Dinge nicht regeln, keine Patientenverfügung ausfüllen, sich nicht dazu äußern, wie er mal bestattet werden möchte...er sagt, das könne er "dann" immer noch tun. Für ihn ist das alles weit weg und vermutlich hat er das Gefühl, dass sein Tod näher rückt, wenn er sich mit solchen Themen auseinandersetzt.

Dieser Prozess mit ihm kommt mir vor wie Sterben in Zeitlupe. Das tun wir natürlich Alle, auch ohne Tumor, ab der Geburt geht der Verfall, das Sterben los. Die Frage ist nur, was man aus der verbleibenden Zeit macht, ob man sie schätzen und auskosten kann. Mein Mann tut das leider nicht. Ich kann verstehen, dass er offensichtlich nicht diese positive Kraft in sich hat, um zu sagen: auch wenns einer der wenigen verbleibenden Tage mit meinem Sohn ist, ich genieße und gestalte ihn so gut es geht. Trotzdem beschimpfe ich ihn manchmal "du bist es doch nicht wert, dass man Deine Tumorzyste entlastet und Du nachher wieder so gut auf den Beinen bist, denn Du machst ja gar nichts daraus!" - und hinterher schäme ich mich natürlich für diese harten Worte, denn offensichtlich kann er ja nicht anders.

Es ist schwierig, mit im Boot zu sitzen und nicht steuern oder rudern zu können, einfach nur Passagier zu sein. Und trotzdem fühlt man sich mitschuld, wenns kentert.

vlinder

Liebe Gina,

was du schon alles durchgemacht hast. Dein Bild mit dem in einem Boot sitzen kenne ich auch. Bei uns ist es nicht so schlimm, weil meine Frau sehr lieb ist, nur ganz gelegentlich geraten wir aneinander, weil sie mir für irgendetwas die Schuld gibt, was in dem Moment Quatsch ist. Je mehr ich mit meinen Kräften runter bin, desto mehr verbeiße ich mich dann auch darein und kann es nicht einfach stehen lassen. Aber das kriegen wir immer wieder hin. Aber es ist für mich ein Zeichen, dass ich mal wieder Entlastung brauche. Die zu organisieren klappt nicht immer, manchmal ist mir das dann auch schon wieder zuviel. Hallo Teufelskreis. Aber ich glaube, du brauchst dringend wieder ein eigenes Boot in dem du am Steuer sitzt. Ich hatte so einen Schlüsselgedanken für mich, als ich an meiner Machtlosigkeit verzweifeln wollte: Ich habe die Macht mein Leben in die Hand zu nehmen, wenn auch mit Einschränkungen.Wenn das Boot mit deinem Mann zusammen kentert, dann kannst du doch mehr für dich, deinen Sohn und deinen Mann tun, wenn du ein eigenes Boot hast, von dem aus du deinem Mann eine Leine zuwerfen kannst.
LIebe Gedanken und Kraft wünscht dir vlinder

Weihnacht

Liebe Gina,

Dein Bericht erschüttert mich zutiefst.
(Mannomann, und schreiben kannst du! ... )

Zum Thema "Schuld": unbedingt die Briefe in Simontons "Auf dem Wege der Besserung" lesen.

Herzlichst, Isabell

gramyo

Liebe Gina,

ich wollte auch gerade ins Bett gehen, war vorher im chat und habe dann deinen Bericht gelesen. Mit dem Satz von weihnacht: "dein Bericht erschüttert mich zutiefst", kann ich mich voll anschließen.

Es ist gut , dass du so ausführlich jetzt geschrieben hast. Eine immens schwierige Situation !!!

Ich verstehe durchaus jetzt deine Hemmungen, ihn zu verlassen. Damit meine ich die Räumlichkeiten. Versuche einmal mit den Heidelbergern zu reden. Wir haben den Prof. der Neuroonkologie persönlich kennengelernt, der übrigens überhaupt nichts gegen Komplementärtherapie hatte. Er ist ein sehr herzlicher und kompetender Mediziner.

Leider habe ich die Befürchtung, dass es auf die Dauer keine gute Möglichkeit für euer Zusammenleben gibt, weil ihr , nicht nur medizinisch, sondern weil ihr 2 verschiedene Wege lebensmäßig geht..

Für heute , denke ich hast du genug Denkanstöße und immer wirst du hier Hilfe und Antwort bekommen.

eine hoffentlich einigermaßen gute Nacht
wünscht dir Gramyo und ihr Mann, der auf der Seelenebene mit ihr verbunden ist.

Sookie

Liebe Gina,
ich bin seit kurzem auch in diesem Forum und war sehr berührt.Bin genau in der gleichen Situation.Mein Mann lebt jetzt 13 Jahre mit dem Hirntumor, wir kennen uns aber schon fast 20 Jahre.Letztes Jahr hatte er Hirnblutungen mit anschl. Op. Auch haben wir 2 Kinder (7 u.8 Jahre alt).Es ist kaum noch auszuhalten wie er sich benimmt, gegenüber den Kindern (ich lasse ihn auch nicht mehr allein mit ihnen) oder mir und den Mitmenschen.Zum Wohl der Kinder müsste ich ihn verlassen.Aber er hat sonst niemanden und ich könnte mir das nie verzeihen wenn ihm etwas zustoßen würde.Ich weiß einfach nicht mehr weiter und überlege das Jugendamt zu kontaktieren.Hast du irgendwelche Anlaufstellen welche einen irgendwie begleiten?Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen. LG Sookie

mitimboot

Liebe Sookie,

danke für Deine Nachricht - unglaublich, dass es noch jemanden gibt, der in einer ähnlichen Lage ist.

Ich persönlich habe jahrelang Psychotherapie gemacht, die hat nichts gebracht, wiel ich nicht an die richtigen Therapeuten geraten bin. Jetzt bin ich bei einer sehr guten Familientherapeutin, die mir hilft, mich in meiner Mutterrolle stärkt und mit mir übt, mit mir selbst im Reinen und in Kontakt zu sein. Sie ist von einer psychosozialen Beratungsstelle bei der Caritas, sie ist einfach ein Glückstreffer, weil sie für mich sehr gut passt. Bei der gleichen Beratungsstelle machen wir die Paartherapie, aber ich habe den Eindruck, unser Therapeut, der für "normale" Paare sehr gut ist, ist mit dieser Extremsituation auf Leben und Tod überfordert. Mein Mann ist halt auch therapieresistent. Das liegt bei ihm m. E. auch mit daran, dass seine Ärzte ihm in den letzten Jahren zunehmend sagen, er sei ok so wie er ist und solle so weiter machen, denn offensichtlich tut ihm das gut und hält ihn gesund. Ob das nun sozial kompatibel ist oder nicht. Er hat vermutlich Angst, etwas an sich zu ändern, das könnte für ihn ja lebensbedrohlich sein, mehr Nähe und Nahbarkeit zuzulassen oder emotional mal was anders zu machen.

Beim Jugendamt habe ich Bedenken, die Behörden machen alles nur noch komplizierter. Aber irgendwann kommt man um die nicht mehr drumherum, besonders, wenn ich mich zur Trennung entschließen sollte, und im Moment sieht es für mich sehr danach aus. Dann wird das Jugendamt allein deshalb dabei sein, weil man Mann mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen wird. Uns steht also eine juristisch-behördliche Schlammschlacht bevor. Denn ich könnte meinen Sohn auch nicht ein Wochenende zu ihm geben.

Stellen wie die Caritas sind glaube ich in diesem Zusammenhang besser und erst einmal neutraler. Hier bei uns betreibt die Caritas z.B. auch eine Stelle für psychisch kranke Eltern. Die habe ich noch nicht kontaktiert, vielleicht gibts sowas bei Euch auch?

Wer mich auch sehr gut berät ist meine Anwältin, die auf Sozialrecht spezialisiert ist und viel mit Sterbenden zu tun hat. Auch mit solchen, die ihre Dinge nicht geregelt haben. Seit ich bei ihr war, weiß ich wenigstens gut über meine Rechte und Pflichten bescheid. Was leider nicht gerade Mut macht, denn ich würde finanziell völlig scheitern. Also juristisch sollte man zumindest mal gebrieft worden sein. Meine Anwältin sagt auch immer, ich solle eine etwaige Trennungserklärung und anderes einen Anwalt machen lassen, nicht das Jugendamt, die das ja auch anbieten. Denn das Jugendamt schöpft nicht alle juristischen Möglichkeiten aus und verpennt gern mal was und ist einfach nicht so auf Deiner Seite. Ich vertraue ihr und weiß, dass sie das nicht nur sagt, um an mir zu verdienen.

Sag, wissen die Ärzte Deines MAnnes von seiner psychischen Verfassung, kommt das zur Sprache oder verkauft sich Dein Mann gegenüber seinen Ärzten auch als psychisch stabil?

Gern können wir uns direkt per Mail weiter austauschen.
Ich wünsche Dir Kraft und Mut und Klarheit!!

Herzlichst, Gina

Felsquellwasser

hallo ihr Leid geprüften Menschen,
ganz ehrlich ,ich bin tatal erschüttert,was das Leben für Aufgaben an jeden stellt ,es hat euch ,die ihr euch hier kennenlernt schwer getroffen,Kinder und dermaßen pflegebedürftige Ehepartner an eurer Seite zu haben.
Meine Erschütterung hilft euch gar nicht, das weiß ich ,,,
was fällt mir spontan ein ?
wo ist die Unterstützung?
Pflegestufe was beantragt?
Jugendamt hält Beratungsstellen vor ,schon da gewesen?
Haushaltshilfe beantragt ?
Für sich selbst Psychologische Betreuung wahrgenommen ?
Mit den Ärzten vor Ort sprechen ,z,B, Neurologe und der Hausarzt ,die kennen meist den Erkrankten Vorher und im Jetzt Zustand ?
Kinder ausserhalb der Familie in Betreuungsgruppen oder Verein stundenweise unterbringen ?
Gemeindehilfe in Anspruch nehmen-. gibt viele ehrenamtlich tätige Gemeindeschwestern und Mitglieder ?
Krankenkase nach Unterstützung fragen ?
Die Aufzählung ist bestimmt nicht vollständig ,aber ein Anfang.
Liebe Gina .liebe Sookie
ich wünsche euch so viel Unterstützung ,nehmt Hilfe an, lasst euch nicht sofort abspeisen,
das Forum ist ein erster Schritt ,die eigene Situation zu beleuchten ,ich finde es gut ,dass ihr hier eure Lebenssituation so anschaulich schildert..
aber konkret seid ihr am Zug.
Kinder halten eine Menge aus ,sie gehen mit den Dingen, aber es tut weh ,wenn ich sehe ,wie ihr auf ein eigenes Leben so gänzlich verzichtet.
Mit tiefen Mitgefühl und Hoffnung
100wasser

Malati

Liebe Gina,
Dein Bericht bewegt mich sehr und ich kann diese Zwickmühle nur zu gut verstehen.
Auch mein Mann hat sich stark verändert im Wesen.Er hat mittlerweile eine psychiatrische Behandlung hinter sich. Er bekommt Trevilor gegen Depressionen, Tavor( leider auch), Risperdal gegen Aggressionen und Mirtazapin abends zum Schlafen.Es ging ihm psychisch so schlecht,dass keine Alternative blieb.
Auch ich hatte Momente,wo ich am liebsten weg wäre auch wegen der Kinder,die immer mitleiden.
Aber die Liebe hält mich und ihm wäre ein Leben allein nicht möglich.
Ich kann Dir nur raten,Dir Hilfe zu holen...für die psychische Belastung,für die Pflege über das Palliativnetz

Hoffe,Du findest Unterstützung.
Ganz liebe Grüsse
Marion

Pipolino

Liebe Gina,

Du gibst hier eine eindrucksvolle Schilderung. Ich versuche gerade Paralellen zu ziehen, denn ich merke an mir selbst auch eine Wesensveränderung, die ich allerdings nicht abstreite. Ich bin nach der OP deutlich impulsiver und agressiver. Siehe Thread "Ich bin ein Diktator und Tyrann". Allerdings kann und will ich mich mit Deinem Mann nicht messen. Das hört sich ja furchtbar an!

Natürlich kannst Du als Ehefrau Kontakt zu seinen Ärzten aufnehmen. Wenn sie verantwortungsvoll sind, dann werden sie Dich sehr ernst nehmen. Wenn er alleine zu den Terminen geht, dann wird er sich dort wahrscheinlich lammfromm geben und die können ihn überhaupt nicht richtig einschätzen. Er ist dringend und zwingend behandlungsbedürftig. Nur wird er das nicht einsehen, aber sprich mal mit seinem Lieblingsarzt, er sollte Dir zumindest Hilfe und ihm einen Psychookologen anbieten. Vielleicht kennt er solche Fälle und sieht eine Möglichkeit das gut zu tarnen.

Wenn dabei nichts rumkommt, dann musst Du ihn verlassen, denn was Du schilderst hält ja kein Schwein aus. Ich glaube, dass Dein Mann genau weiß, was er tut und vielleicht hat er auch selbst miteurer Ehe abgeschlossen, denn dieses Verhalten spricht irgendwie dafür. Natürlich kann ein Psychoonkologe sowas beurteilen, und vielleicht solltest Du einen solchen auch mal aufsuchen. Wenn dort, wo er behandelt wird, sollte einer zu finden sein.

Natürlich plagt Dich ein schlechtes Gewissen, aber auch einem Hirntumorpatienten ist ein gesundes Maß an Selbstdisziplin und Rücksichtnahme zuzutrauen. Deine Entscheidung solltest Du nicht vom Mitleid abhängig machen, denn auch bei solchen Hintergründen müssen objektive Maßstäbe an eine Beziehung angelegt werden. Weißt Du, wem Deinn Leben (und das Deines Kindes) am wichtigsten ist?

Ja, Dir!

Ich wünsche Dir Kraft und gutes Gelingen - wie auch immer Du Dich entscheidest. Halte uns ruhig auf dem Laufenden.

LG Sascha

mitimboot

Liebe Alle,

nochmal lieben Dank Sascha, Malati und 100 wasser!

Ja, mein Mann gibt sich "lammfromm", gegenüber seinen Ärzten verkauft er sich sehr gut. Es ist ihm immer wichtig, dort "eine gute Figur zu machen", einen guten Gesamteindruck zu hinterlassen.

Vorgestern habe ich mit der Neuroonkologin meines Mannes in Heidelberg mal sprechen wollen über seine WEsensveränderungen, ich kam leider nicht zu ihr durch und sie solllte mich eigentlich zurückrufen, was sie aber nicht getan hat. Ich habe gesagt, sie sollen ihr ausrichten, dass ich wegen psychoonkologischer Probleme mit ihr sprechen wolle. Morgen fährt mein Mann wieder zu einem dreitägigen Chemozyklus und ich werde es am Samstag nochmal versuchen, einen seiner Ärzte zu erreichen.

Ein Palliativnetz gibt es hier leider nicht, wir wohnen auf dem Land und sind diesbezüglich unterversorgt. Eine Pflegestufe zu beantragen haben wir bisher vermieden, weil man sich dann ja komplett finanziell offenlegen muss. Mein Mann hat ein bisschen Erspartes und das würde dann verbraucht werden. Natürlich kann man irgendwann nicht mehr vermeiden, dass das Privatvermögen angetastet wird, wir zögern diesen Moment halt noch heraus. Mein Mann ist ja auch an einem Tag ein Pflegefall, hat schwerste Kopfschmerzen, Schwindel etc. und kann gar nichts machen, am nächsten Tag geht es ihm gut und er kann alles selbst erledigen. Wie wird denn so ein wechselhafter Zustand bei der Beantragung der Pflegestufe beurteilt?

HAushaltshilfe bekommen wir nur, wenn er stationäre Aufenthalte hat (4h an 5 Tagen die Woche), und das ist jedesmal eine große Rennerei und Verhandlung (AOK). Manchmal bekommt er noch 2-3 Wochen nach einem stationären Aufenthalt eine Haushaltshilfe, z.B. als er wegen seines Stoma sehr eingeschränkt war, oder als seine rechte Hand gebrochen war.

Mein MAnn erinnert Vieles falsch und denkt z.B., er habe das Kind ständig in den Kindergarten gebracht, dabei waren es im letzten Jahr vielleicht 3 Wochen, in denen er das gemacht hat. Er sagt dann immer, ich spinne.

Oder er kann (oder möchte) sich nicht daran erinnern, dass er nach dem letzten Chemozyklus (verständlicherweise) ein paar Tage sehr in den Seilen hing. Er behauptet, es sei ihm die ganze Zeit hervorragend gegangen und er habe aufs Kind aufgepasst und mich im Haushalt unterstützt. Ich habe nächste Woche eine eintägige Geschäftsreise und da organisiere ich immer, dass unser Sohn zu Freunden geht, dann weiß ich, er hat seinen Spaß und ist gut untergebracht. Mein MAnn wirft mir vor, ich würde ihm das Kind vorenthalten. Ich erkläre ihm, dass er Freitag bis Sonntag Chemotherapie hat und wir nicht vorher wissen können, wie er sich am Donnerstag danach fühlt, vielleicht ist er zu schlapp, um den ganzen Tag auf unser Kind aufzupassen und falls es ihm doch gut gehe, dann würde ich mich einfach für ihn freuen und unser Sohn hätte einen schönen Tag mit Freunden verbracht. Das sieht er anders, ihm gehe es auch in der Chemo "blendend" (dabei waren zwischenzeitlich nach dem 1. Zyklus seine Leukozyten schon wieder so niedrig, dass er tagelang nur zum Essen aufgestanden ist, die Leukowerte haben sich danach wieder erholt).

Es ist wirklich so, dass alle im Kindergarten wissen, dass ich diejenige bin, die sich ständig kümmert oder auch die Nachbarn sehen ja, dass immer ich diejenige bin, die den Rasen mäht, die einfach alle Arbeiten macht, die so im und am Haus anfallen. Das können auch die Haushaltshilfen bestätigen, die uns unterstützt haben. Manchmal zweifle ich schon an mir selbst, mein MAnn beherrscht das ganz gut, mich zu verunsichern. Was mich am meisten stört, dass er ja gar nicht wertschätzt, was ich alles leiste, weil er denkt, er mache alles. Das ist so schwierig, wenn man mit einem Menschen überhaupt nicht rational argumentieren kann. Vermutlich muss er dieses Selbstbild des aktiven gesunden Leistungsfähigen aufrechterhalten, um mental stark zu bleiben. Er kann nicht nahbar sein, denn das könnte ihm gefährlich werden. Die Ärzte sagen ihm ja seit Jahren "machen Sie weiter so", denn offensichtlich tut ihm das gut, deshalb wäre es für ihn vermutlich lebensbedrohlich, sich infrage zu stellen. Das ist so meine persönliche laienpsychologische Erklärung für sein Verhalten.

Aber es ist auch für mich schwierig, weil sein Zustand so wechselhaft ist. An manchen Tagen kann er wirklich mehr leisten und ich traue es ihm vielleicht schon gar nicht mehr zu. Das Problem ist, dass er gerne von jetzt auf gleich "wegbricht", sprich, er kommt mit zum spazieren, es geht ihm gut, dann müssen wir nach kurzer Zeit umkehren, weil er zu schwach ist. Er ist insgesamt einfach nicht belastbar, eine Spaziergang bringt ihn schon an die Grenze, danach muss er sich ausruhen.

Eine Trennung wird für mich finanziell schwierig. Weil gerade in den nächsten Monaten ist meine Auftragslage (ich bin freischaffend) sehr ungewiss.

Dieses Forum beschäftigt mich mental ganz schön, aber es ist wirklich sehr gut und ich bin ganz erstaunt, dass es Angehörige gibt, die in derselben Situation sind. Und ich bin sehr berührt, dass Betroffene wie Sascha oder 100wasser hier so mitfühlen.

Hab einiges um die Ohren in den nächsten Tagen, falls Ihr nicht direkt von mir hören solltet.
Seid lieb gegrüßt,
Gina

Krissi

Liebe Gina/mitimboot,

mit Interesse und Anteilnahme verfolge ich diesen Thread und finde es bemerkenswert, was du alles leistest. Ich kann und möchte darüber nicht urteilen - mein erster Gedanke wäre gewesen, verlasse deinen Mann, soll er sehen, wie weit er ohne dich kommt - der zweite war dann, ich würde meinen Liebsten auch nie verlassen, komme was da wolle (selbst wenn er sich eines Tages - er hat ein Glioblastom - auch so aufführen sollte wie deiner). Die Zwickmühle, in der du dich befindest, kann ich recht gut nachvollziehen.

Aber was die Beantragung einer Pflegestufe angeht, da seid ihr definitiv falsch informiert. Niemand muss dabei seine Vermögensverhältnisse offenlegen. Man ruft bei der Krankenkasse an, lässt sich ein Antragsformular zuschicken (in dem es einzig und allein um den Pflegeaufwand deines Mannes geht), füllt es aus und schickt es wieder zurück. Nach 4-5 Wochen kommt ein Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen, der euch ausgiebig befragt und ein Gutachten erstellt, aufgrunddessen dann über die Gewährung einer Pflegestufe entschieden wird. Wird sie gewährt, dann rückwirkend ab dem Tag der Antragstellung.

Bei Pflegestufe 1 bekommt ihr monatlich 235 € Pflegegeld. Wollt Ihr lieber Sachleistungen (z.B. ambulante Pflege oder Haushaltshilfe), gibt es diese in Höhe von 450 €.

Außer Krankenkasse und MDK ist keine Instanz involviert. Ob und wieviel Vermögen ihr habt, ist völlig irrelevant!

Ich habe beruflich mit diesem Thema zu tun und hoffe, dir mit der Ausräumung dieses Irrtums wenigstens ein bisschen geholfen zu haben.

Ganz liebe Grüße
krissi

mitimboot

Liebe Alle, liebe Krissi,
danke für Deine Anwort!

Ihr habt recht, Offenlegung des Vermögens kommt erst, wenn mein Mann in ein Heim muss (da seine Rente zu gering ist, um einen Pflegeplatz zu finanzieren).

Da Du vom Fach bist, hätte ich gleich noch die Frage an Dich, wie das denn bei der Einstufung gehandhabt wird, wenn der Zustand täglich anders ist, also nicht jeden Tag Pflegebedürftigkeit vorliegt. Sollte man das dann dramatisieren und "kränker spielen" als man ist?

In der Tat ist es ja so, dass ich meinen Mann seit ca. 2,5 Jahren auf Stufe 1 pflege und meine Berufstätigkeit und damit auch meine Altersvorsorge dadurch sehr einschränke. Ich sollte also unbedingt dieses Pflegegeld bekommen.

Heute habe ich übrigens mit Heidelberg telefonieren können, um seine behandelnden Ärzte zu bitten, ihn mal diplomatisch auf das Thema Wesensveränderungen und psychoonkologische Beratung anzusprechen.
Das wird aber erst beim nächsten Chemozyklus in 6 Wochen passieren, da jetzt am Wochenende seine wichtigsten Ärzte nicht im Haus sind. Und auch nur, wenn dieser nächste Zyklus aufgrund der Blutwerte überhaupt stattfinden kann.

Die Ärztin sagte auch noch, die Wesensveränderungen kämen vermutlich vom Tumor, weniger von den Medikamenten, und vielleicht helfe die Chemo ja diesbezüglich auch ein wenig. Das kann ich mir leider nicht vorstellen, ich habe eher das Gefühl, dass ihn die Chemo noch aggressiver und launiger macht, weil er noch mehr gebeutelt ist. Ich weiß, ich bin sehr pessimistisch. Ich kann mir gar kein konstruktives Zusammenleben mit ihm mehr vorstellen.

Eigentlich genieße ich die Tage ohne ihn, darf hier einfach mal sein, wie ich bin, aber ich merke auch die Anspannung in mir und die bekommt mein Sohn zu spüren. Ich wäre lieber ausgeglichener, aber mir graut es schon wieder vor den nächsten Wochen in denen wir hier so eng zusammen sind.

Ich frage mich, was ich hier lernen soll. Grenzen ziehen? Oder Mitgefühl, Selbstlosigkeit? Oft denke ich, es ist vielleicht eine Vorbereitung darauf, dass ich selbst mal an Krebs erkranken werde und hier schon einiges darüber lerne. Aber das ist vermutlich alles zu esoterisch-karma-basiert. Ich frage mich halt ständig nach dem Sinn, warum das alles so ist, wie es ist.

Einen schönen Abend Euch allen mit frohen und hoffnungsvollen Gedanken!

Gina

Felsquellwasser

liebe Gina
es erscheint wie ein Irrgarten,in dem du dich befindest aus dem das Entkommen,der Weg hinaus nicht sichtbar ist.
Es ist leicht ,aus der Distanz heraus Worte für deine Situation zu finden ,als du selber es formulieren magst.
Mitgefühl und Selbstlosigkeit sind nicht unbedingt Indizien für die Liebe, die sich durch Krankheit plötzlich entwickeln ,warum auch.
Dein Leben wie du es hier schilderst ist desolat und ,das weißt du ,dass es so nicht weitergehen kann ,darf und sollte.
Niemand kann für dich den nächsten Schritt gehen, Karma ,Schuld und Sühne, das ist kein Esoterik Kram ,Vorbereitung auf eine eigene Erkrankung ,das erscheint mir sehr weit hergeholt.
Ich erinnere mich ,dass du von fianaziellen Problemen schreibst ,deine Chance ,das in Angriff zu nehmen, deinen Mann wirst du nicht verändern.
Der Wille zum Wandel ist in dir ,sonst würdest du so klar und analytisch teils ambivalent die eigene Lebenssituation so hier nicht ausbreiten.
Es geht um dich ,wie du dein Leben ordnen kannst ,um euren Sohn ,
der Hirntumor deines Mannes ,die Vorerkrankung Darmkrebs,
sind besondere Herausforderungen,die das gemeinsame Leben euch beschert,aber wo nichts ist kann nichts Neues entstehen.
Ich weiß gar nicht ,ob es um Tumor oder viel mehr um dein Recht auf eine
veränderte Lebenssituation geht.
Dir wünsche ich Hoffnung und frohes Mutes zu sein
100wasser

Krissi

Liebe Gina,

nur ganz kurz als Antwort auf deine Frage, hatte ein anstrengendes Wochenende und muss gleich ins Bett:

Bei der Begutachtung bitte nichts dramatisieren, das merken die. Falls er einen guten Tag erwischt, erzählt ruhig, dass es ein guter ist und wie ein schlechter aussieht. Hat er einen schlechten, muss man ja nicht unbedingt erwähnen, dass es auch manchmal besser ist ;-)

Klappt es beim ersten Mal nicht mit der Einstufung, habt ihr immer noch die Möglichkeit, sofort Widerspruch einzulegen. Dann kommt erneut ein Gutachter, und oft klappt es dann beim 2. Anlauf.

Viel Glück!
LG,
krissi

mitimboot

Liebe Alle,
habe länger nichts hören lassen, weil ich Eure Einträge mal auf mich wirken lassen musste. Die beschäftigen mich sehr. Zwischenzeitlich war mein Mann zum 2. Chemozyklus und ist zur Zeit sehr nahbar und durchlässig. Ich nutze diese Zeit, um mit ihm ein paar wichtige Dinge zu besprechen: Beantragung Pflegestufe hat er zugestimmt und gehen wir gerade an, er will auch seinen Schwerbehinderungsgrad erhöhen lassen, und wir schauen uns demnächst ein Pflegeheim an, damit er im Fall der Fälle schon weiß, wohin er möchte. Alles Themen, die ich sonst nicht im entferntesten überhaupt nur ansprechen könnte. Ich nutze dieses Zeitfenster der Zugänglichkeit bestmöglich, denn ich weiß, dass wieder andere Zeiten kommen werden.
Außerdem habe ich mit einer Ärztin gesprochen, die ihn betreut und sie gebeten, die Wesensveränderungen mal in seinem Ärzteteam anzusprechen und bei seinem nächsten stationären Aufenthalt in 3 Wochen mal die Sprache darauf zu bringen und die Möglichkeiten pychoonkologischer Betreuung. Ich werde auch noch mal versuchen, mit dem Chef der Abteilung zu telefonieren, bevor mein Mann wieder dort ist.
Ansonsten war mein Mann am Sonntag wieder kurz vorm Darmverschluss, wollten ihn schon ins Krankenhaus bringen. Die Hemiparese scheint wohl auch die Darmtätigkeit auf der Seite lahm zu legen.Unser dreieinhalbjähriger Sohn geht seit dieser Woche in den Ganztagskindergarten, damit er hier nicht so viel mitbekommt. Und ich suche nach neuen Einnahmequellen, damit ich finanziell unabhängig bin und überhaupt in der Lage bin, mich zu trennen.
Also viel zu tun, ich danke Euch für Eure Tipps und Anregungen!
LG Gina

Felsquellwasser

hallo liebe Gina
danke für dein Feedback, es tut sich was auf, die Veränderungen sind eingeleitet.
Du hast es gschafft ,das für dich Wichtige heraus zu flitern ,
niemand läuft in deinen Schuhen,
dir weiterhin eine glückliche Hand mit weiteren
Entscheidungen ,
alles Gute für deinen Mann ,
der wirklcih viele Lasten hat, die er tragen muss.

herzlich Felsquellwasser
.

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