Liebe Estrella, liebe Jasse,
ich berichte hier leider als Tochter, die ihren Papa vor zwei Wochen verloren hat - nach nicht einmal einem Jahr Diagnose.
...Aber, umso öfter reflektiere ich die letzten Monate - denn währenddessen hat man keine Zeit. Denn nach dem unsere Mama gestorben ist vor 2 1/2 Jahren, haben wir drei Geschwister (mit Partnern) unser Bestes für ihn gegeben.
Nachdem die behandelnden Ärzte uns wirklich keine große Hilfe waren und uns nie auf das vorbereitet haben, was uns erwartete, mussten wir uns selbst drum kümmern. Alle körperlichen "Einbußen" die erst nach gut 10 monaten, aber dann sehr plötzlich von Tag zu Tag schlimmer wurden, schafften wir irgendwie zu managen. Den total veränderten Charakter unseres Papas, der von ruhig und vergesslich zu total unruhig und gar nicht mehr wahrnehmend wo und in welchem zustand er ist wechselte, war hart zu verstehen. Auch für ihn, wenn dann wieder ein klarer Gedanke kam. Eine Wesensveränderung - in welche Richtung auch immer- ist wohl bei jedem zu sehen.
Was wir getan haben: Das Palliativ war SUPER - hat uns sehr geholfen. Ich habe mich mit Demenz und ähnlichem beschäftigt (praktisch angeleitetes Buch, Bekannte gefragt, die mit Demenzkranken arbeiten). Dies in die Praxis umzusetzen ist natürlich was anderes, aber die Ratschläge haben viel Verständnis für ihn gebracht und auch sehr oft geholfen, seine Vorstellungen (wo er ist, was er anscheinend gerade macht, wer alles da ist...) zu verstehen.
Also was wir gelernt haben,. Man braucht Geduld - das ist hart im Alltag mit Arbeit, Kindern usw. - aber wenn man sich 10 Minuten effektive Zeit nimmt, ein Gespräch zu ordnen, kommt man selbst runter und es hilft womöglich der Person aus der Verwirrtheit.
Nur klarzustellen, dass das nicht wahr ist, was er/sie sagt bringt dich höchstens ans Ende deiner Nerven. Anscheinend sind unsere Lieben in einer anderen Welt, keine Ahnung wie das funktioniert - ich habe so oft versucht zu verstehen, warum er etwa glaubt er ist grad auf einem sinkenden Schiff, in einem Labor, am Kriegsschauplatz. etc. So probierten wir ins Gespräch einzusteigen mit "... auf welchem Schiff? ... wer ist noch da? ... was machst du dort?..warum willst du dorthin / dort weg?.." das hat nicht immer, aber oft funktioniert, wieder in einen ruhigen Zustand zu kommen.
Aber klar, die Nerven haben auch wir öfter mal weggeschmissen. Schreien, heulen, die Tür werfen. Muss halt auch sein.
Denkt immer daran, dass das nicht euer Mann, eure Mama ist, sondern wirklich dieser besch.... Tumor. Denn wir alle wissen, wie unsere Liebsten tatsächlich sind. Schaut euch alte Fotos an, erinnert euch, zeigt sie auch ihnen bzw. erzählt ihnen davon. Fragt nach Geschichten, die schon lange her sind .."was der schönste urlaub war ... was hast du am liebsten gemacht bei deiner arbeit (insofern die arbeit eine freude war..)
sein herz hat uns der papa auch nicht ausgeschüttet. nur manchen freunden gegenüber konnte er nach langer zeit (nach 9 monaten!)sich mal öffnen. als er schwächer wurde, hat er mit dem pfarrer gern gesprochen. das hat er auch gesagt dann als es so war.
versucht -und ich weiß es ist oft schwer - euch wirklich etwas zeit zu nehmen. setzt euch, vielleicht auch mal mit freunden, denn wenn mehr leute sind, ist es oft leichter, zu ihnen. fragt nicht warum und sagt nicht, das geht nicht. versucht wirklich auf sie einzugehen, selbst aus eurer welt aus- und in ihre einzusteigen. denn sie haben keine möglichkeit, diese gewillt zu verlassen. ihr könnt sie nur an der hand nehmen und wenn es ein guter moment ist, auch leiten.
gebt ihnen ein gefühl der sicherheit und dass sie nicht allein sind. UND nehmt euch auch mal zeit für euch selbst. wenn es nur 20 minuten am tag sind, kurz mal an die frischluft, nichts denken, um nichts kümmern.
ich wünsche euch wirklich alles liebe und viel viel kraft!!! fangt die guten momente ein. lasst euch helfen, es gibt diese guten leute in eurer umgebung, die euch gerne unterstützen wollen. oft ist man überrascht.
eure Petty