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Isarflimmern

Nachdem ich den Film "Halt auf freier Strecke" gesehen habe, ist im Forum ein kleiner Austausch entstanden. Der Film ist so wahr! Vielleicht wäre es für uns Angehörige gut, mehr voneinander zu lesen, wie die Bewältigung des Alltags etc. gelingt. Mein Mann und ich sind Gott sei Dank noch mitten drin im Leben, noch ohne externe Unterstützung. Es ist eine Achterbahnfahrt.

Tulip

Liebe Isarflimmern,
Es freut mich sehr zu lesen, dass Ihr “gut dabei” seid. Wenn ich das richtig erinnere, hattet Ihr Euch gegen eine weitere Behandlung und für das von Klinikterminen zunächst unbeeinträchtigte Leben entschieden?
Wir ja, aus verschiedenen Gründen. Und in unserem Fall war es die richtige Entscheidung. Ich sage extra in unserem, denn das muss jeder Betroffene für sich entscheiden, was er braucht, wie die Persönlichkeit ist und v a natürlich was der Zustand erlaubt.
Trotz dem mein Mann derzeit unbeeinträchtigt ist, hat es gebraucht, alles zu verarbeiten und eigentlich kann er erst jetzt, ein paar Monate nach Ende der vielen Termine im Rahmen der Erstbehandlung so viel Abstand nehmen, dass er nicht sofort verunsichert ist. Laaangsam kehrt ein wenig Ruhe ein und die Konzentration kann uneingeschränkt nach vorne gerichtet sein.
Wie schnell das nach vorne gerichtet allerdings enden kann, hängt MIR allerdings täglich im Bewusstsein. Ich kann das viel schwerer ausblenden.
Jede Zukunftsplanung löst bei mir Gedanken aus, ob das noch möglich sein wird. Einmalige Kopfschmerzen beunruhigen mich innerlich. Je mehr Monate vergehen - und bei uns ja glücklicherweise mit sehr gutem Befinden - desto näher rückt die Schwertspitze, denn das Ende ist beim Glioblastom nun mal unausweichlich.
Vermutlich geht es vielen von uns Angehörigen gar nicht so unähnlich. Vor jeder Kontrolle kippen die sonst so stabilen Emotionen, unter denen man sonst wie ein Motor funktioniert.
Ich bin dankbar, dass wir alles über die letzten Monate so gut ausblenden und ein normales Leben führen konnten.
Ich bin aber auch kein Verfechter von durch alle Therapien um jeden Preis, weil ich weiß, dass MEIN Mann darunter mehr leidet als unter der Akzeptanz, was kommen wird.
Meine größte Angst ist wiederum, dass er leiden muss irgendwann. Ich hoffe, es wird ohne Qual gehen.
Ich bin glücklich, dass ich meinen Mann nochmal “wiederbekommen” habe nach der Ersttgerapie als den, wie ich ihn kenne. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich, und er war zwischendurch schon so weit weg davon.
Das lässt mich demütig sein.

Tulip

PS: ich habe gerade erst die Beiträge unter dem anderen Post zum Film gelesen.
Freunde: schweres Thema. Es sind 2 übrig geblieben von den ganz alten Freunden. Der Rest mit Diagnose verschwunden und nicht mehr gehört. Freunde.... Kollegen hingegen zeigen sich deutlich präsenter und treuer, das ist schön!
Dass aber die fehlen, von denen man es nicht gedacht hätte, das sitzt schon. Ich war fast froh, dass sich von denen keiner zu Weihnachten gemeldet hat, ich hätte nicht gewusst, wie ich darauf reagieren sollte.

rosi5

Ja, stimmt, faktisch enthält der Film viele Wahrheiten.
Er bewegt auch, mir fehlt dennoch mehr Tiefgang: wo sind die tiefgreifenden Gespräche der Partner untereinander?
Wir hatten seit Diagnose so viele herzzerreißende Gespräche, tauschen so viel Liebe aus- wir sagen uns das jeden Tag mehrfach... wir haben so viel unternommen, so lange es ging/ geht... Fernseher brauchen wir nicht, wir verbringen die Zeit miteinander, die wir noch haben... und wer weiß schon, wie lange das ist.

mona

Hallo,
wie bei jedem mit so einer Diagnose ist das LEBEN ein anderes,auch wir reden sehr offen und ehrlich,es ist nicht immer leicht...

hinfallen,aufstehen und weiter geht es...

Auch ich LEBE sehr bewußt...

für besondere Umstände gilt besonderes LEBEN

Lg mona

In der Ruhe liegt die Kraft- die Kraft führt zum Erfolg

Isarflimmern

Das ist, denke ich, das Entscheidende: Das gemeinsam Erlebte hat viele Bilder hinterlassen, die uns bleiben, die wir genießen. Was kommt, kommt. Reden ist wichtig, sich einander vergewissern. Immer wieder, auch wenn es mal knirscht. Es muss zwischen uns alles gut sein. Das Leben findet jetzt statt - also immer nur die eine Frage: Was jetzt? Bei jedem unerwartetem Ereignis, von denen es reichlich gibt. Täglich. Wie wird der heutige Tag? Von einem Augenblick auf den anderen kann alles ganz anders sein. Wie in dem Film: Man ist immer ein bisschen besser vorbereitet, jede Erfahrung macht stärker. Und ich muss mich immer wieder zusammenreißen, und meine Geduld und Gelassenheit trainieren. Meine Bedürfnisse zurück stellen. Es ist manchmal sehr schwer, weil der Alltag so schwer ist. Das morgens pünktlich los müssen, Arbeitsspitzen im Büro. Immer die Hoffnung, dass heute schon alles gut gehen wird. Kommt mein Mann heute alleine klar? Findet er heim? Weiß er noch, wo ich bin? Etc. etc. Das Leben soll und muss ja weitergehen. Gott sei Dank. Das kennen wir alle. Es ist, wie es ist - sagt die Liebe. Recht hat sie. Und auch Kurt Tucholsky, wenn er zu dem Schluss kommt: "Das ist, glaube ich, die Fundamentalregel alles Seins: `Das Leben ist gar nicht so. Es ist ganz anders.`" Danke für den weiteren Tag!

suace

Liebe Rosi5,
bei uns sind keine tiefgreifenden Gespräche mehr möglich seit der Diagnose/OP. Kommt sicher auf den Tumorsitz und die Ausdehnung an.
Ich habe ganz viel Energie darauf verwandt, schöne gemeinsame Momente zu schaffen- zu zweit oder mit den Kindern . Ich/wir habe die im Hirn.....mein Liebster oft nur, wenn es davon auch ein Foto gibt (die mache ich natürlich) ....und auch dann manchmal nur sehr rudimentär. Besser ist es, wenn ich an den darauf folgenden Tagen die Fotos zeige und darüber spreche...dann bleibt es manchmal "hängen". Mich schmerzt unglaublich, daß ganz viel von unserem gemeinsamen Leben vor der Diagnose einfach weg ist bei ihm. So als wäre es nie passiert. Dafür kommt dann mal an einer echt selten gefahrenen Strecke ein völlig überraschendes "Paß auf, da vorne ist ein Blitzer"

Nicks

Hallo an alle,
Mein Mann hatte im Februar ´17 seine Erstdiagnose. Im Juli 2018 kam das Rezediv. Er hat eine Rebestrahlung vor 6 Wochen bekommen. Seitdem ist sein Zustand schlechter geworden. Er hat keinen Mut mehr. Mit einem Ödem kam er vor 3 Wochen in die Klinik, da ging gar nichts mehr. Ich hatte große Angst dass das Ende jetzt kommt. Mit Kortison konnte alles wieder abschwellen. Beklagt sich über seine Situation und sein Leben. Täglich versuche ich ihn zu unterstützen, zu stärkem, den Fokus auf das jetzt zu legen was er hat und nicht immer zu schauen was er nicht mehr alles hat und kann. Die Zeit mit seiner Familie verbringen und die Zeit jetzt zu leben. Manchmal verzweifle ich und lese hier im Forum. Die Angst vor dem was kommt ist manchmal übermächtig. Wir haben inzwischen Kontakt aufgenommen mit den Brückenschwestern, mein Mann möchte zu Hause sterben. Ob ich das schaffe? Ich weiß nicht was auf uns zukommen wird. Mein Mann hat wieder ein Rezidiv und er möchte sichnicht mehr operieren lassen. Wir akzeptieren das, da er sicher sein Sehnerv auf dem einen Auge verlieren wird und auch eine halbseitige Lähmung nicht ausgeschlossen werden kann. Damit Will er nicht leben. Sein Sehen ist jetzt schon beeinträchtigt und er hardert damit täglich. Er akzeptiert das Leben mit Einschränkungen nicht. Für mich ist es sehr schwer... wie wird es erst sein wenn der Tumor seinen Raum einfordert und genau das passieren wird?
Ich möchte so gerne die Zeit mit meinem Liebsten nutzen, genießen,festhalten und er blockt ab und findet alles nicht mehr lebenswert. Dabei war er so ein starker Kämpfer. Hat sich seine Sprache wieder zurück gekämpft , hat unermüdlich daran gearbeitet aber seit der Bestrahlung alles wertlos.

Liebe Grüße an Euch tapfere Betroffene Nicks

Tulip

Liebe Nicks,
Derlei Situationen, wo alles schwer und dunkel empfunden wird, aufzufangen, finde ich auch besonders schwierig. Es lässt sich ja nun mal auch nicht leicht reden. Es ist eine sehr bescheidene Situation, und jeder, der das nicht selbst durchlebt, kann vermutlich nur ansatzweise wissen, wie es dem Betroffenen innerlich wirklich geht. Selbst als Angehöriger.
Ich weiß nicht, ob ich nur halb so groß und stark damit umgehen könnte wie mein Mann es schafft.
Wir hatten es nun lange gut, aber in der Phase vor der nächsten Kontrolle lässt sich eine gewisse Anspannung selten abwenden. Diesmal ist sie besonders stark spürbar, was mich noch mehr beunruhigt, weil ich mich dann frage, ob mein Mann schon mehr ahnt als er mit sagt oder der aktuelle Zustand es annehmen lässt?
Ich war beruflich sehr abgelenkt zuletzt, aber seitdem die neue Jahreszahl steht, habe ich das Gefühl die Uhr ticken zu sehen und werde deutlich unruhiger.
Das Recht für jede Art des Umgangs mit der Diagnose liegt für mich beim Erkrankten. Der vorab-Verlust des Partners/Elternteil etc in verschiedener Hinsicht beim Angehörigen. Ich schreie oft innerlich, nach außen bleibe ich ruhig. Zu wissen, was noch kommt, tut sehr weh.
Genießen, was hier immer wieder fällt, ist oft nicht so einfach. Mich macht das Wort allein dann schon ganz unruhig, weil in blöden Phasen nicht ansatzweise etwas positives mitschwingt.

Nicks

Liebe Tulip,
Danke für deine Worte. Ich kann nicht nachfühlen wie sich mein Mann fühlen muss. Ich meine mit „ genießen „ wahrlich nicht Genuss im herkömmlichen Sinn. Ist der falsche Begriff, Demut passt eher. Nach jeder Veränderung im Verlauf der Krankheit meint mein Mann, ich dachteces kommt nicht schlimmer ind jedesmal kommt eine Schippe drauf. Ich weiß das die Krankheit an Folter grenzt. Wie kann ein Mensch es ertragen jede Veränderung sei es Schwindel, schlechtes Sehen.... zu ertragen und mit der täglichen Angst wie geht es weiter zu leben, ich als Angehörige fühle mich schon wie jemand der an der Klippe steht und nicht weiß wann der Stoß in die Tiefe kommt. Ich hoffe so sehr dass wir noch Zeit geschenkt bekommen und mein Mann düse Zeit als wertvolle Zeit sehen kann!
Wir hatten auch fast ein Jahr nach der ersten OP in der wir leben gelernt haben mit der Krankheit und dieser versucht haben nicht zu viel Raum in unserem Leben zu geben. Für diese Zeit bin ich so dankbar und ich versuche mit dem was sich seit der letzten Op verändert hat zu leben in Demut und Angst vor dem was kommen wird.
Wann ist euer nächster MRT Termin? Der Druck und die Sorge wird davor ständig größer , kaum auszuhalten! Ich drücke euch so die Daumen, dass alles ok ist!
LG Nicks

Isarflimmern

Das wirklich tückische ist ja, dass es keinerlei Prognosen geben kann. So dass wir alle eigentlich nicht wissen, auf was wir uns vorbereiten könnten und was auf uns zukommen wird. Mein Mann und ich haben anfangs viel geweint, miteinander, jeder für sich. Und wir haben über alles gesprochen: Wie wollen wir sterben? Wie und wo beerdigt werden? Patientenverfügung, Vollmachten, den Hausarzt bei allem mit einbezogen. Wir hatten inzwischen zwei Gespäche mit dem SAPV-Team. Deren Botschaft war jedesmal: Leben Sie bewusst im Augenblick, genießen Sie diesen, machen Sie sich nicht so viele Sorgen, Sie können sich nicht auf alles vorbereiten - es wird wahrscheinlich eh anders kommen, als man denkt. Und die Zusage, sobald es nötig sein wird, "übernimmt" das SAPV-Team. Mein Mann will alles laufen lassen und trifft keine bewussten Entscheidungen mehr, er ist teilweise teilnahmslos und taucht völlig ab, es ist ihm nichts mehr wichtig (Duschen, rasieren, genug trinken, spazieren gehen...). Das einzige, bei dem er völlig außer sich gerät ist, wenn er in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird. Das hat mich auch beim SAPV-Team beeindruckt: Es zählt ausschließlich der Patientenwille. Das ist schwer auszuhalten, denke ich doch zu oft, ich wüsste, was für ihn gut wäre... Wir haben eine Postkarte an der Pinwand hängen: "Helfen Sie mir nicht, es ist so schon schwer genug." Irgendwie haben wir uns an alles gewöhnt. Wenn es meinem Mann schlechter geht, geht es ihm dann auch oft wieder besser - nachdem ich dachte, jetzt wird es zuende gehen. Bis jetzt ging es immer irgendwie weiter. Und wenn es akut nicht mehr geht, muss mein Mann auf einer Palliativstation versorgt werden, dann wird man weiter sehen. Es ist ein Segen, das SAPV-Team und unseren Hausarzt zu haben.

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