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Thema: Wie genießen?

Wie genießen?
Tulip
22.08.2018 14:02:44
Viele schreiben, man solle die verbleibende Zeit genießen und mit schönen Dingen füllen: Mein Mann ist - ob durch Bestrahlung, Chemo oder die Erkrankung selbst - emotional so gebeutelt und mitgenommen, dass für ihn nichts mehr leicht ist. Alles scheint negativ. Das geht bis zur Frage, was das noch alles soll.
Mich nimmt das sehr mit. Unterstützung von außen lehnt er kategorisch ab. Der negative Sog und die Wesensveränderung belasten auch mich ungemein. Wie kann ich da helfen, dass Genießen gelingt? Für beide. Ich bin sehr ratlos.
Tulip
tomas
22.08.2018 14:17:23
Liebe Tulip,
Ich habe diese Erfahrung bei meiner Tochter und bei mir selbst gemacht. Ich bin zu dem Schluss gekommen: du kannst nur da sein...
Liebe Grüße
Thomas
tomas
Tulip
22.08.2018 14:22:42
Danke, Thomas. Das ist schon mal gut zu hören.

Lg
Tulip
magicmerle88
22.08.2018 15:47:38
Liebe Tulip,

genießen bedeutet, gerade während der Therapie, die Nähe und Verbundenheit mit dem Betroffenen zu spüren. Einfach das Bewusstsein entwickeln, dass man einander hat, sich sehen und berühren kann; miteinander reden kann. Das ist jetzt wichtig und nicht nur den Fokus auf das Erleben schöner Dinge zu legen. Wenn Dein Mann die Therapie hinter sich gebracht hat, dann ist die Zeit gekommen wieder aktiv zu werden.

Mein Bruder hat seit zwei Monaten die Diagnose Gliosarkom und die anfängliche Verzweiflung ist weniger geworden; obwohl sie mich natürlich noch überkommt. Aber ich geniesse meinen Bruder. Mit ihm zu reden, ihn anzufassen, ihm zu helfen. Zu sehen, dass er die Therapie gut verkraftet, dass er manchmal schon wieder vor sich hinsingt. Ich geniesse einfach, dass wir zusammen sind. Und das ist das Wichtigste in dieser Zeit, später natürlich auch. Aber jetzt sind kleine Schritte wichtig: Dein Mann wurde operiert, er wird therapiert und ist in Behandlung.

Viele Grüße
Mignon
magicmerle88
KaSy
22.08.2018 17:57:51
Liebe Tulip,
man kann auch ganz kleine Dinge als Genuss empfinden.
- Deine Hand auf seiner Hand
- Erzählen von gemeinsam Erlebten aus Eurer Anfangszeit
- ein bestimmter Duft, den er mag
- Lieder, Musik, die ihm gefallen hat, Euer Lied
- Fotos von Euch, von Dir
- der Blick aus dem Fenster
- Geräusche der Natur
- manchmal einfach Ruhe, allein sein

Dir fallen sicher weitere persönliche Vorlieben ein. Achte darauf, was und ob und wie lange er es mag, erträgt.

Ich wünsche Dir so sehr ein Lächeln auf seinem Gesicht.
KaSy
KaSy
Fabi
22.08.2018 21:08:36
Ich sehr es ähnlich wie KaSy

Das Leben genießen heißt nicht immer weit reisen und „die letzten Dinge abarbeiten“. Für mich sind es auch die kleinen Momente.
- ich bin dankbar jeden Morgen aufzustehen bzw. noch aufstehen zu können und einen neuen Tag zu leben
- ich genieße es meinen kleinen Sohn wachsen zu sehen. Wie frech er wird, was er lernt... jeder noch so kleine Schritt den ich mitbekomme stellt für mich einen Genuss dar.
- ich genieße es meine Frau und mein Kind am Abend zu beobachten wenn sie schlafen...
- einfach mal leicht tänzeln wenn schöne Musik läuft
- mit der Familie zusammenzusitzen und die Momente zusammen einfach intensiv wahrnehmen
- ich nehme alles viel intensiver wahr und tue es auch bewusst

In deinem Fall muss diese Einsicht bzw. dieses Genussempfinden selbst von deinem Mann kommen.

Und Ja jetzt komme ich wieder mit meinen Kräutern, aber es gibt tatsächlich stimmungsaufhellende Dinge, die vielleicht seine Freude etwas hervorholen können. Denn wenn unterbewusst die Stimmung aufgehellt wird, dann hat er vielleicht auch Lust mit dir Dinge zu erleben und zu „genießen“


Lg Fabi
Fabi
injuraev
22.08.2018 22:59:52
Ihr habt alle so Recht.
Die Zeit, die wir noch zusammen haben, sollte man nutzen um sie zu genießen.
Jeden Abend sage ich meinem Mann (Glioblastom seit 03/2016) was schön war an dem Tag. Es kann der Wind, die Sonne oder der Regen gewesen sein. Es brauchen wirklich keine Highlights zu sein. Ein Spaziergang durch die Natur, dass genießen wir sehr und können daraus Kraft schöpfen.
injuraev
LinaK
23.08.2018 00:46:58
Manchmal fällt es halt schwer...
Grüßle Lina, die in einer Woche MRT und einen ordentlichen Bammel vor dem Ergebnis hat sie
LinaK
tomas
23.08.2018 01:18:55
Meine Tochter wollte eingach nur normal weiter leben. In die Schule gehen zum Sport reiten und sich mit Freundinnen treffen...
tomas
jürgen
23.08.2018 10:43:07
Tolle Inspirationen hast Du hier "losgetreten", Tulip. Finde die Beiträge von KaSy und Fabi spitze.
Alles Gute!
Jürgen
jürgen
Tulip
26.08.2018 18:29:06
Danke für Eure lieben Gedanken dazu.
Die kleinen wie die großen Dinge helfen nur sehr kurzzeitig... leider.
Tulip
Mayla
26.08.2018 20:57:03
Folgende weise Geschichte ist mir, kurz nachdem mir bewusst wurde was die Diagnose bedeutet, in die Hände gefallen.

Das besondere Senfkorn

Eine Frau, deren Sohn tödlich verunglückt war, wusste sich in ihrer Trauer keinen Rat mehr. Sie suchte einen weisen Mann auf und fragte ihn:

„Sag mir, wie kann ich meinen Sohn wieder zurückbekommen?“

Der Weise antwortete ihr:

„Bring mir ein Senfkorn aus einem Haus, deren Bewohner noch kein Leid kennengelernt haben! Damit kann ich deinen Schmerz löschen.“

Die Frau machte sich auf die Suche nach einem solchen besonderen Senfkorn. Sie kam an ein prächtiges Haus, klopfte an und brachte ihre Bitte vor:

„Ich suche ein Haus, das niemals Leid erfahren hat. Bin ich bei euch richtig? Es ist sehr wichtig für mich!“

Aber die Bewohner des schönen Hauses erzählten all das Unglück, das sich bei ihnen ereignet hatte. Die Frau dachte bei sich:

„Wer kann diesen unglücklichen Menschen besser helfen als ich, die ich auch so tief in Not geraten bin!“

Sie blieb und tröstete. Dann machte sie sich weiter auf die Suche nach einem Haus ohne Leid. Aber wohin sie sich auch wandte, kleine Hütten, riesige Paläste, überall begegnete ihr Leid.

Schließlich beschäftigte sie sich nur noch mit dem Leid anderer Menschen, sodass sie die Suche nach dem Senfkorn und auch den weisen Mann vergaß. Ihr war auch nicht bewusst, dass sie auf diese Weise tatsächlich ihren eigenen Schmerz und die Trauer milderte.

Chinesische Legende

LG
Mayla
KaSy
26.08.2018 22:47:19
Danke für die weise Geschichte, Mayla.

Liebe Tulip,
wir Betroffenen machen viel mit uns selber aus und schieben das "Genießen" immer mal wieder in unsere Tage hinein. Manchmal fliegt es einfach auf uns zu wie die Kinder, die Enkel, das Gold der Abendsonne, die Äpfel vom Baum.
Wenn uns die Krankheit zu erdrücken droht, suchen wir bewusst nach diesen Glücksmomenten, wir finden sie auch.

Du als Angehörige hast es auch schwer, aber Du hast andere Möglichkeiten, Dir Zeiten zu nehmen, in denen Du bewusst woandershin gehst, zur Freundin einfach mal drauflos schwatzen, mach einen Einkaufsbummel, geh ins Grüne, ...

Du darfst Dir kein schlechtes Gewissen einreden, wenn Du Deinen Mann mal für eine Stunde oder zwei allein lässt.
Du brauchst Deine Kraft für ihn und für Dich.
Wenn Du wieder bei ihm bist, kannst Du ihm von Deinen Erlebnissen erzählen und Ihr habt beide Freude daran.

Weißt Du, ich bin mir gar nicht sicher, was mir mehr weh tut, die eigene Krankheit oder den Angehörigen, Freunden damit Kummer zuzufügen. Ich weiß nicht genau, was "hinter meinem Rücken" über meine Krankheit erzählt wird, wer stellt welche Fragen und welche Antworten werden gegeben, wer weiß davon und was weiß er/sie. Mit der eigenen Krankheit kann ich umgehen.

Und - natürlich "helfen" die Glücksmomenten nur, solange sie da sind, aber sie können sich ansammeln, sie werden zu den Erinnerungen hinzugefügt, für Dich und für ihn.

Du darfst nicht zu viel erwarten. Der Betroffene findet diese Dinge, wenn er möchte. Du kannst sie ihm zeigen, ihn daran erinnern, auch Vorfreude wecken. Du musst es wahrscheinlich mehr als Dein Mann "lernen", die kleinen Genüsse als groß und wichtig anzusehen.

Gerade in der Urlaubszeit, als die Familien meiner Kinder alle unterwegs waren, habe ich mich für sie gefreut, dass sie so viel Schönes erlebt haben. Ich kann das nicht mehr selbst erleben. Ich hätte auch neidisch auf sie sein können, aber ich habe es gelernt, ihre Freude zu meiner zu machen.

Versuche auch Du, Deinem Mann mit Deinen schönen Momenten Freude ins Gesicht zu zaubern.

KaSy
KaSy
Efeu
27.08.2018 11:15:56
Oh Mayla, ist das eine gute Geschichte, danke. Sie tröstet ungemein, mir kamen Tränen, und ein Lächeln, ein sanftes.

KaSy, es tut so gut was du schreibst. Für mich ist es vielleicht ähnlich, es wärmt mir mein Herz zu hören, lesen, was meine erwachsenen Kinder machen, ich ermutige sie dazu, auch aus meiner Krankengesichte heraus, dieses "lebt, lebt jetzt, nichts ist sicher, traut euch". Auch meinen Mann ermutige ich immer wieder, bitte ihn darum, Dinge zu tun, die ihm wichtig sind, nach denen er sich sehnt, worauf er Lust hat, auch wenn es ohne mich ist. Mir ist wichtig, dass er für sich sorgt, denn ICH habe die Krankheit, ich muss lernen, damit zu leben, so gut es geht. Und, ich will das auch. Jeden Tag neu, ausprobieren, tasten, was geht. Und es sind die kleinen Momente, die kostbar sind, und, die bleiben für mich, im Erinnern. Eine winzige Blume zwischen Steinen, früher hätte ich die nie gesehen, heute bleibe ich stehen, bestaune ich sei, ihre Farbe, die Formen, ist es ein Geschenk, sie entdeckt zu haben. Den Wind spüren, meine Pferde füttern, die Katzen, sitzen und schauen. Diese Erlebnisse hinterlassen Spuren in mir, helfen mir beim Kämpfen, geben mir das Gefühl, MEIN Leben zu leben. Ein kleines, aber meines. Es liegt an mir, mich jeden Tag neu aufzumachen.
Efeu
Mareike
11.12.2018 21:58:54
Hallo zusammen,

bisher war ich stille Mitleserin, dieses Portals.
Hier mal eine kurze „Vorstellung“ von uns.
Ich bin 26 Jahre und begleite meinen Freund 36 Jahre, Diagnose 05/18 oligodendrogliom WHO 2 und 3.
1. OP direkt im Juni 2018. 1 Tumor konnte entfernt werden, der zweite inoperabel.
Nun leider 11/18 trotz Bestrahlung und Chemo, Rezidivam Rande des ersten, entfernten Tumors, OP heute.

Mal abgesehen von der heutigen, akut belatenden Situation, wie schafft ihr Angehörigen das ganze?
Ich versuche meinen Job, unsere gemeinsamen Pferde, den Haushalt sowie Freunde und Familie mit der Krankeit und all ihrer schönen und nicht so schönen Tage zu vereinen.

Woher nehmt ihr immer wieder den Mut und die Kraft, „einfach“ weiter zu machen?

Ganz liebe Grüße
Mareike
Mareike
Fabi
11.12.2018 23:05:31
@Mareike

Das ist aber ungewöhnlich, dass ein Rezidiv so schnell kommt bei einem oligendrogliom WHO II/III trotz Bestrahlung und Chemo. Wie fallen denn die Mutation bei deinem Freund aus?
IDH1? MGMT? 1P19q?
Fabi
Tulip
11.12.2018 23:28:27
Liebe Mareike,
Ich hatte diese Frage ja ursprünglich mal angestoßen, weil ich das “einfach weiter machen” zwischendurch alles andere als “einfach” fand.
Inzwischen habe ich für mich registriert, dass alles in Phasen läuft. Manche werden besser, manche möchte man noch gar nicht so genau kennen.
Geholfen hat mir bislang in schwierigen Momenten die Konzentration auf die Arbeit, hier schreiben zu können und sehr liebe und hilfreiche Antworten bekommen zu haben und letztlich auch die Stärke meines Mannes, der bewundernswert gegen alles angeht. Er hat aber auch verschiedene Phasen dabei gehabt.
Wir dürfen zurzeit eine stabile Zeit leben. Wie alles vereinbar ist, wenn sich Dinge ändern, weiß ich nicht. Irgendwie wird und muss es dann gehen. In der Akutphase konnte ich nicht arbeiten. Jetzt schon. Die Kraft kam immer wieder, auch in Tiefs. Ich habe aber natürlich auch Angst vor dem, was vermutlich kommt.
Alle guten Wünsche Euch!
Tulip
injuraev
11.12.2018 23:30:37
Hallo Mareike,
"einfach" ist seit der Diagnose gar nichts mehr. Auch 'ihr müsst die Zeit genießen' geht kaum. Wir Angehörige können ausschließlich begleiten und sollten gucken, dass wir nicht auf der Strecke bleiben. Es sind die kleinsten Dinge, die uns Angehörige die Kraft geben. Für mich ist es das Entzünden einer Kerze. Das ruhige Licht tut mir gut, es gibt mir Ruhe um klar zu denken. Gegen die Angst habe ich über 32 Monate hinweg langsam und sicher ein Netz zu Betroffenen und deren Angehörigen geknüpft. Denn nur wer das Gleiche durchmacht kann verstehen, alle anderen tragen aber auch mit. Achte auf Dich, du bist sicherlich nicht für alles verantwortlich. Jeder Tag ist ein neuer Tag, den wir täglich wieder neu gestalten und gehen müssen. Ich denke an Dich und wünsche Dir, dass Du deinen Weg findest.
injuraev
Madze
12.12.2018 09:40:15
Hallo,

ich weiß auch nicht, wie man mit solch einer Diagnose (mein Mann hat ein Glioblastom) das Leben noch genießen kann, trotzdem versuche ich das beste daraus zu machen. Ich wünsche allen Betroffenen und Angehörigen viel Kraft, das Leben mit solch einer Diagnose zu gestalten.
Madze
rosi5
12.12.2018 11:56:55
Ich kann auch nur schildern, was uns beiden hilft (mein Mann ist der Betroffene, ich Angehörige)- vielleicht ist es eine Anregung für jemanden hier. Ansonsten muß jeder individuell das Beste für sich finden, da ist jeder anders und jede Situation.
Wir versuchen uns so viel es geht gut zu tun:
- Glücklicherweise konnten mein Mann und ich schon immer gut miteinander reden und so reden wir eigentlich über alles. Das hilft beiden.
- Obwohl ich das eigentlich nicht möchte (weil ich ihn ja liebe und es selbstverständlich für mich ist, daß ich mich um ihn kümmere), zeigt mir mein Mann auch seine Dankbarkeit, indem er manchmal etwas für mich bestellt, was ich mag (eine kleine Aufmerksamkeit z.B. Lebkuchen)- so kann auch er mir etwas zurück geben, was ihm sehr wichtig scheint
- Wir meditieren gemeinsam; auch wenn ich noch so viel Stress habe- diese ruhige Zeit mit meinem Mann muss unbedingt sein
- Ich lese ihm vor (also auch eine gemeinsame Aktivität in ruhiger Atmosphäre)
- Spazieren gehen/ draußen sein/ wenn es bei jemandem gar nicht mehr anders geht auch mit Rollstuhl, Decke über die Beine (Sonne im Gesicht tut sooo gut!)
- Manchmal ein Fussbad oder eine Fussmassage… das mag er auch sehr... Berührungen sind sehr wichtig
- Traditionen nicht vergessen, die geben Halt (Adventskranz, etc.; dieses Jahr habe ich 2 Weihnachtsbäume gekauft ;-), einen für drinnen und ein kleiner steht vor der Tür)
- Und den Patienten nicht stressen. Der hat das Problem, das er möglicherweise am Ende seines Lebens steht und hat genug damit zu tun, über alle Dinge nachzudenken- Vergangenheit, Zukunft, das Leben, den Tod... Essentielles!... Was wollten wir Angehörige in derselben Situation? Das kann man sich einfach auch mal selbst fragen und sich so in den anderen hinein fühlen.
- Die Priorität hat immer mein Mann.
Das ist das Allerwichtigste. Nichts ist jetzt wichtiger.
rosi5
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