Zweifel an der Wirksamkeit von Cannabis gegen Krebs
Eine Forschungsgruppe in Graz untersuchte in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt, welche Rolle körpereigene Rezeptoren für Cannabinoide bei Dickdarmkrebs spielen. Dabei konnte gezeigt werden, dass manche dieser Rezeptoren eine krebsfördernde Wirkung haben können.
Von Cannabis als Medizin gegen Krebs ist viel die Rede. Doch noch ist zu wenig bekannt über die Wirkung der Cannabinoide im Körper. Grazer ForscherInnen haben untersucht, wie sich Hanf-Substanzen bei Dickdarmkrebs auswirken.
Die Rolle von Cannabis als Gesellschaftsdroge wird derzeit heiß diskutiert. Neben Überlegungen zu einer möglichen Freigabe geraten Cannabinoide als Medikament in den Fokus der Forschung, insbesondere bei Krebserkrankungen. So ist bekannt, dass Cannabis die Nebenwirkungen der Chemotherapie bekämpfen kann, indem es Appetit anregt und Übelkeit bekämpft, weshalb Medizinhanf in Deutschland seit Kurzem ärztlich verschrieben werden kann. Dessen Inhaltsstoff THC ist schon länger als Medikament zugelassen.
Damit nicht genug: Cannabis wirkt sich auch direkt auf Krebserkrankungen aus: An Mäusen ließ sich zeigen, dass bestimmte Cannabinoid-Rezeptoren des Körpers eine Schutzfunktion haben und die Metastasenbildung hemmen können, etwa bei Leukämie. Es gibt aber noch eine Reihe weiterer Rezeptoren, die mit den oben genannten in Verbindung stehen, und über deren Reaktion auf Cannabinoide wenig bekannt ist. Eine Forschungsgruppe um den Pharmakologen und studierten Biologen Rudolf Schicho von der Medizinischen Universität Graz hat nun im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekts untersucht, wie sich ein Membranrezeptor namens GPR55, der auf Cannabinoide reagiert und mit Cannabinoid-Rezeptoren zusammenarbeitet, auf die Entwicklung von Dickdarmkrebs auswirkt. Dabei zeigte sich, dass eine positive Wirkung von Cannabis bei Weitem nicht so klar ist wie erhofft.
Cannabis kann positiven Effekt haben
„Cannabinoid-Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle bei Krebs“, erklärt Rudolf Schicho. „Aus Forschungen an Mäusen weiß man, dass ein Ausschalten des bekanntesten Cannabinoid-Rezeptors zur Bildung von Tumoren im Darm führt.“ Das würde darauf hindeuten, dass Cannabis einen positiven Effekt bei Krebs hat. Das sogenannte Endocannabinoid-System, das auf Cannabis anspricht und etwa Appetit, Emotionen, Energiehaushalt oder auch Schmerz und Immunabwehr reguliert, besteht aber aus einer ganzen Reihe weiterer Rezeptoren, die miteinander im Zusammenhang stehen. Dazu gehört auch der Rezeptor GPR55. „Dieser Rezeptor tritt im Darm sehr häufig auf und spielt dort eine wichtige Rolle“, sagt Schicho. Seine Rolle bei Dickdarmkrebs sei bisher nicht untersucht worden. „Die Wirkung von Cannabinoiden für diese Krebsart ist weitgehend unbekannt.“
Mäuse mit fehlendem Rezeptor
Für ihre Forschungen haben Schicho und sein Team bei Mäusen ein bestimmtes Gen ausgeschaltet, sodass diesen der Rezeptor GPR55 fehlte. Eine Beobachtung war, dass diese Mäuse weniger Tumore im Dickdarm bildeten als gewöhnliche Mäuse. Das war erwartet worden, dieses Ergebnis kannte man aus Forschungen zu Hautkrebs. Der Rezeptor GPR55 fördert also das Tumorwachstum, im Gegensatz zu anderen Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems.
Ein Schnitt durch einen Tumor im Dickdarm einer Maus. Ein wichtiger Cannabinoid-Rezeptor wurde braun eingefärbt. Quelle: Rudolf Schicho/Magdalena Grill
„Das Neue war, dass wir uns die Mikroumgebung des Tumors angesehen haben. Ein Tumor besteht nicht nur aus Tumorzellen –, es gibt dort immer auch eine große Zahl von Leukozyten.“ Leukozyten sind die weißen Blutkörperchen des Immunsystems. Die Analyse der Leukozyten-Population von Krebspatientinnen und -patienten hilft in der Praxis dabei, den Verlauf der Krankheit einzuschätzen. „Bei den Mäusen ohne GPR55 beobachteten wir eine völlig veränderte Leukozyten-Population“, erklärt Schicho. Diese habe das Tumor-Wachstum gebremst. Das bedeutet daher umgekehrt, dass der Rezeptor GPR55 das Tumor-Wachstum fördert.
Die Leukozyten spielen aber auch eine wichtige Rolle bei der Metastasenbildung. In dem FWF-Projekt zeigte sich, dass ein Ausschalten des Rezeptors GPR55 das Auswandern der Krebszellen in die Leber behindert. „Das lässt sich womöglich gegen die Bildung von Metastasen verwenden“, sagt Schicho, der sich von diesen Ergebnissen auch Auswirkungen auf die Etablierung von Immuntherapien gegen Krebs verspricht.
Die Wirkung von Cannabis verstehen
Rudolf Schicho betont, dass es sich um Grundlagenforschung handelt und mögliche Medikamente gegen GPR55 vielleicht erst in zehn Jahren zu erwarten seien. Cannabis werde allerdings schon jetzt als Medikament eingesetzt und man müsse verstehen, wie es auf Krebspatientinnen und -patienten wirke. Bisherige positive Ergebnisse seien nun infrage gestellt: „Im Endocannabinoid-System gibt es neben Rezeptoren, die vor Krebs schützen, auch solche, die Krebs fördern“, fasst der Grazer Wissenschafter zusammen. Schicho betont die politische Bedeutung dieser Ergebnisse: „Es wird oft behauptet, Cannabis sei gut, man könne das bei diesen und jenen Krankheiten verschreiben. Es gilt aber zu bedenken, wie Cannabis eigentlich wirkt. Bevor man gesellschaftspolitisch beurteilen kann, ob Cannabis freigegeben werden soll oder als Medikament verwendet wird, müssen wir mehr darüber wissen.“
Zur Person
Rudolf Schicho ist Assoziierter Professor am Otto-Loewi-Forschungszentrum der Medizinischen Universität Graz. Nach Forschungsaufenthalten in den USA und Kanada kehrte der Neurobiologe und Pharmakologe 2010 nach Graz zurück. Er interessiert sich unter anderem für Entzündungen des Dickdarms und die Rolle solcher Entzündungen bei der Entstehung von Dickdarmkrebs.
Wissenschaftliche Publikationen
Hasenoehrl, C; Feuersinger, D; Sturm, EM; Bärnthaler, T; Heitzer, E; Graf, R; Grill, M; Pichler, M; Beck, S; Butcher, L; Thomas, D; Ferreirós, N; Schuligoi, R; Schweiger, C; Haybaeck, J; Schicho, R.: G protein-coupled receptor GPR55 promotes colorectal cancer and has opposing effects to cannabinoid receptor 1. International Journal of Cancer 2018
Kargl J, Andersen L, Hasenohrl C, et al.: GPR55 promotes migration and adhesion of colon cancer cells indicating a role in metastasis. British Journal of Pharmacology 2016
Hasenoehrl C, Taschler U, Storr M, et al.: The gastrointestinal tract: a central organ of cannabinoid signaling in health and disease. Neurogastroenterology and Motility 2016
Quelle: https://scilog.fwf.ac.at/biologie-medizin/7547/zweifel-der-wirksamkeit-von-cannabis-gegen-krebs
Cannabis: Kein Krebs-Wundermittel
1. Dezember 2015
Hanf in der Medizin: auch wirksam bei Krebs?
Wirkstoffe aus Cannabis machen nicht nur Kiffer high. Sie können auch bei verschiedenen Krankheiten helfen. Doch taugt der berauschende Hanf als Anti-Krebs-Medikament?
Frage: Sind Cannabis-Substanzen wirksame und sichere Anti-Krebs-Mittel?
Antwort: wissenschaftliche Belege fehlen
Erklärung: Versuche mit Zellen und Tieren haben einige viel versprechende Hinweise geliefert. Für verlässliche Aussagen über die Anti-Krebs-Wirkung von Cannabis und über die Sicherheitsrisiken beim Menschen fehlt die Basis in Form von gut gemachten Studien. Bis auf eine kleine Pilotstudie mit neun unheilbar kranken Gehirntumor-Patienten gibt es (noch) keine veröffentlichten Untersuchungen.
Seit vielen Jahrhunderten nutzen Menschen Cannabis. Das Rauchen von getrockneten Teilen dieser Hanfgewächse oder von Cannabis-Harzen wirkt berauschend. Doch nicht nur als Droge hat Cannabis eine lange Geschichte. „Gras˝ wird traditionell auch als Medikament gegen verschiedene Krankheiten eingesetzt.
Cannabis-Moleküle sind medizinisch durchaus interessant, weil sie verschiedene Abläufe im Körper beeinflussen können, beispielsweise im Immun- und Nervensystem.
Droge oder Medizin?
Mittlerweile sind Pflanzen der Gattung Cannabis als Arzneimittel zugelassen, etwa in den USA und in den Niederlanden. Der verschreibungspflichtige Hanf wird dann zum Beispiel geraucht oder als Tee genossen. So gelangt ein Wirkstoffgemisch in den Körper.
Es gibt auch einige Medikamente, für die einzelne Cannabis-Wirkstoffe künstlich nachgebildet worden sind. Das bekannteste dieser Cannabinoide ist Tetrahydrocannabiol, kurz THC. Cannabis-Tabletten oder -Mundsprays werden etwa gegen Muskelbeschwerden bei Multipler Sklerose, gegen chronische Schmerzen oder gegen Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust bei HIV/Aids eingesetzt [3] [4].
Beschwerden lindern bei Chemotherapie
Auch Krebspatienten erhalten zu therapeutischen Zwecken mitunter Hanf-Wirkstoffe. Diese können etwa dabei unterstützen, einige Nebenwirkungen der Krebstherapie zu lindern: Cannabis-Substanzen helfen mitunter gegen die durch die Chemotherapie ausgelöste Übelkeit samt Erbrechen, wenn andere (ältere!) Medikamente nicht wirken.
Dies berichten die Verfasser einer kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration [2]. Allerdings sind die Befunde aus dieser Veröffentlichung durchaus mit Vorsicht zu genießen – denn die Forscher haben bei ihrer Auswertung nur ziemlich alte Studien und Medikamente (1980er, 1990er) in ihrer Auswertung berücksichtigt.
Hoffnung bisher ohne Basis
Angeblich helfen Cannabis-Substanzen Krebspatienten nicht nur bei der Linderung von Chemotherapie-bedingter Übelkeit. Cannabis soll sogar die Heilung von Krebs bewirken können. Das wird zumindest in einigen Internetforen oder in Social-Media-Gruppen nahe gelegt – begleitet von emotionalen Fallberichten.
Derartige „Informationen˝ sind vermutlich für einige Patienten oder deren Angehörige ziemlich ansprechend – gerade dann, wenn konventionelle Krebstherapien nicht die erhofften Erfolge erzielen und sich die Betroffenen in einer Ausnahmesituation befinden.
Kühne Behauptungen, keine Beweise
Nichtsdestotrotz: Für diese überaus kühnen Behauptungen konnten wir keinerlei Belege finden. Es gibt schlicht keine verlässlichen Studien mit menschlichen Probanden über die Anti-Krebs-Wirkung von künstlichen oder natürlichen Cannabis-Substanzen.
Unsere Recherche im Herbst 2015 hat ergeben:
Es liegen zwar etliche Studien zu Cannabis und Krebs vor. Allerdings wurden diese Untersuchungen mit Zellen oder an Tieren (Mäuse, Ratten) durchgeführt.
Bei diesen Labor-Untersuchungen zeigte sich, dass Cannabis-Substanzen (wie übrigens viele andere Substanzen auch) diverse Effekte auf Krebszellen und Tumoren von Tieren haben können. Cannabis-Substanzen bewirkten beispielsweise das Absterben von Krebszellen, verhinderten die Ausbreitung von Krebszellen (Metastasierung), verlangsamten das Tumorwachstum oder hemmten die Blutversorgung von Tumoren.
Diese vorläufigen Befunde mögen verheißungsvoll erscheinen. Es ist allerdings nicht möglich, von diesen präklinischen Studien mit Zellen und Tieren ohne weiteres auf eine günstige Wirkung für den Menschen zu schließen.
Nur eine Untersuchung mit unheilbar erkrankten Krebspatienten [1], nämlich neun Menschen mit Gehirntumoren, wurde bislang durchgeführt. Die Pilotstudie ist allerdings nicht geeignet, um Aussagen über die Wirksamkeit von THC gegen Krebs zu treffen.
Es ist also nicht bekannt, ob Cannabis eine heilende oder zumindest lindernde Anti-Krebs-Wirkung hat bzw. für welche Krebsformen eine solche Wirkung eventuell denkbar ist.
Es bleibt auch offen, ob einzelne Cannabis-Substanzen oder ein Wirkstoffgemisch besser geeignet sein könnten. Ebenso fehlen verlässliche Informationen zu erforderlicher Dosis oder zu den Risiken bei einer Langzeiteinnahme. Weiter ist nicht bekannt, wie die Cannabis-Substanzen wohl am besten eingenommen werden sollten – also etwa in Form von Mundspray, Tabletten oder Tee.
Fazit: gewaltige Wissenslücken, laufende Studien
Wir können nicht bestätigen, dass einzelne oder mehrere Cannabis-Substanzen wirksame Anti-Krebs-Mittel sind. Aber wir können eine positive Wirkung auch nicht rigoros ausschließen.
Derzeit laufen laut Studienregister Clinicaltrials.gov einige Untersuchungen mit menschlichen Probanden. Es gibt offenbar etliche Forscher, die überprüfen möchten, was Cannabis-Substanzen tatsächlich gegen Krebs und andere Erkrankungen bewirken können.
Balance zwischen Nutzen und Risiko
Bei diesen Untersuchungen gehört auch untersucht, welche unerwünschten Nebenwirkungen bei einer Anti-Krebs-Behandlung mit Cannabis auftreten könnten.
Wie man von Cannabis-Behandlungen bei anderen Krankheiten weiß, treten mitunter Schwindel, Gleichgewichtsstörungen und Halluzinationen auf. Ob es angebracht ist, diese Risiken in Kauf zu nehmen, ist durchaus fraglich.
Denn der Nutzen von Cannabis-Therapien ist in der Regel nicht sonderlich gut erforscht. Zwar gibt es dazu eine Reihe von Studien, viele sind jedoch nicht sehr aussagekräftig, weil sie methodische Mängel haben.
Vergleichsweise gut belegt ist ein gewisser Nutzen für Patienten mit chronischen Schmerzen. Dies berichteten beispielsweise die Autoren einer 2015 veröffentlichten Übersichtsarbeit samt Meta-Analyse [3]. Sie haben 79 Studien zu unterschiedlichen Krankheitsbildern mit rund 6500 Teilnehmern ausgewertet.
Die Studien im Detail
Tetrahydrocannabinol (THC) und weitere Substanzen aus Cannabis können das Wachstum und die Blutgefäßversorgung von Tumoren hemmen – zumindest im Labor bei Zellen und bei Versuchstieren. Doch könnten Hanf-Substanzen auch Krebspatienten helfen bzw. wäre eine solche Anwendung sicher?
Mit diesen Fragen startete eine Forschergruppe 2002 eine Pilotstudie in Spanien. Davor hatte es keine (veröffentlichten) Studien an Menschen über die Anti-Krebs-Wirkung von THC gegeben [1].
THC direkt ins Gehirn
Die neun Probanden waren Patienten mit einem Glioblastoma multiforme, also mit einem bösartigen Gehirntumor. Sie waren lebensbedrohlich erkrankt und hatten sich bereits verschiedenen Therapien unterzogen.
Menschen mit dieser Krebsform haben leider keine gute Prognose. Sie können bislang nicht durch Operationen, Bestrahlung oder Chemotherapie geheilt werden. Der Tumor kommt, auch wenn er sich zurückdrängen lässt, wieder – mal früher, mal später.
Das Forscherteam schob Röhrchen direkt in den Schädel der Patienten, die am Gehirn operiert worden waren. Über diese Verbindung sollte eine THC-Lösung direkt zu den Tumorzellen gelangen.
Vermutlich sicher…
Mit diesen Versuchen wollten die Autoren dieser 2006 veröffentlichten Pilotstudie in erster Linie herausfinden, ob die Verabreichung von THC mit besonderen Risiken verbunden ist. Die Sicherheit stuften die Forscher dann auch als zufriedenstellend ein.
…aber keine Hinweise auf Wirksamkeit
Die Überlebensdauer scheint diese Intervention wohl nicht entscheidend verändert zu haben. Die Kranken starben im Durchschnitt 24 Woche nach dem Start der Tests. Aufgrund des Pilotcharakters der Studie (wenige Probanden, fehlende Verblindung, keine Kontrollgruppen) erscheint es allerdings kaum möglich, hier eventuelle Effekte verlässlich aufzuspüren und richtig einzuordnen.
Seit der Veröffentlichung im Jahr 2006 sind keine weiteren Untersuchungen von experimentellen Cannabis-Therapien an Krebspatienten zu verzeichnen.
(AutorIn: J. Harlfinger, Review: J. Wipplinger, C. Christof)
https://www.medizin-transparent.at/cannabis-kein-wundermittel-gegen-krebs