Hallo liebe Huntze,
die Formulierung "Abschied auf Raten" habe ich schon öfter verwendet. Sie trifft meines Erachtens am Besten auf das zu, was ich erlebt habe und was Du jetzt ebenfalls durchstehst.
Mein Mann hatte für sich das Hospiz entschieden und ich habe lange gehadert mit der Entscheidung und gezaudert, ob ich ihn nicht abschiebe.
Im Nachhinein war es eine große und sehr weitsichtige Entscheidung, die er für mich und die Kids getroffen hat. Sein Motiv war, dass er wollte, dass ich seine Frau bleiben darf und nicht seine Pflegerin werde. Ich empfinde dies auch im Nachhinein als riesiges Geschenk und als Liebeserklärung.
Nun weiß ich nicht, wie Euer Weg in das Hospiz gewesen ist, aber es ist gut, dass Dein Mann im Hospiz ist und es ist gut, wenn Du Dir bei der Arbeit ein bisschen Normalität, Ablenkung und damit auch Stabilität holen kannst.
Auch mein Mann ist gestürzt. Prellungen an beiden Knien und an der Hüfte. Ein riesiger Hämatom. Er konnte und wollte nicht mehr aufstehen. Sein Bett war seine Burg. Wir haben im Kopfbereich Bettgitter gehabt und es hat ihm die nötige Sicherheit gegeben. Die Kinder durften ihn nicht mehr in den Arm nehmen, vor Schmerzen und vor Angst weitere Schmerzen erdulden zu müssen.
Ich bin sicher, dass wir Ausflüge hätten machen können. Aber er wollte nicht. Ich musste lernen - wieder einmal-, das er der Patient ist und ich nur Begleiterin auf seinem Weg. Heute denke ich, dass dieser Rückzug für ihn ein Teil von seinem Abschied von dieser Welt war und ihn der Anblick der Welt außerhalb seines Zimmers zu sehr belastet hätte.
Auch mich haben die Veränderungen bei ihm enorm belastet. Sowohl die körperliche Veränderung als auch die kognitiven Einschränkungen. Mein großer Sohn hat es so erklärt: "mit Papa reden, ist wie ein Radioquiz, man weiß vorher nicht, ob man durchkommt". Manchmal habe ich gedacht, das er mir so fremd ist und ich ihn gar nicht mehr erkenne, so tief war er versteckt in dem, was der Tumor und die Medis aus ihm gemacht haben.
Es gab Tage, da habe ich es nicht lange ausgehalten, wenn er nicht reagiert hat. Lieber den Fernseher angeschaltet hat, als mit mir gemeinsam zu sein. Ich habe mich dann für mich bei ihm beschäftigt und er war damit zufrieden. Aber wenn ich nicht mehr konnte, ausgelaugt vor Kummer und die Situation nicht mehr ertragen habe, bin ich gegangen. Zurück zu den Kindern zum Leben und zur Realität, in der auch ich abwickeln und konsolidieren musste und immer noch muss. Wenn ich schlecht drauf bin, denke ich an das Märchen vom Fischer und seiner Frau. Vieles, das wir gemeinsam aufgebaut haben, scheint zu schwinden. Einiges sicher zufällig, einiges erzwungen.
Wir haben übrigens vorher auch einiges zur Beerdigung geregelt. Grabstelle noch gemeinsam ausgesucht, Auch der Sarg war schon bestellt, damit ich die Bemalerei mit den Kindern verwirklichen konnte. Listen geschrieben, Lieder ausgesucht...
Mach was bei Dir gerade dran ist! Wenn Du Trost darin findest jetzt den Baum auszusuchen, den Du über viele Jahre besuchen willst, dann ist das genau richtig! Wenn Du Ablenkung in der Arbeit findest, dann mach das. Wenn Du das Gefühl hast, Du verpasst etwas, dann versuche mehr Zeit bei ihm zu verbringen. Vielleicht auch mal eine Nacht bei ihm im Zimmer, sofern möglich. Hat mir gut getan.,
Wie lange noch? Huntze, diese Frage kenne ich auch sooo gut. Ich habe die Ärzte immer wieder gefragt, wollte gewappnet sein und wissen, ab wann ich mehr Zeit für ihn brauche und die Realität mit Firmenumzug und Büroauflösung, den Alltag mit den Kids besser hintenanstellen sollte, um mir später keine Vorwürfe zu machen... Es gibt keine Antwort. Nicht unterwegs.
Erst am Ende wird der Weg klar und die Zeitachse erkennbarer... Nicht zu verpassen...
Mein Mann war am Ende noch 3 Monate im Hospiz. Mit Höhen und Tiefen, mit Verzweiflung und auch mit innigen Momenten voller Wärme und Liebe.
Das Hospiz ist für ihn der Abschied von dieser Welt, für Dich eine Warteschleife, eine Zwischenstation bevor die Welt sich unbeeindruckt von Eurer Tragödie weiterdreht.
Es ist gut, dass Du Hilfe annimmst. Hol sie Dir, wo es nur geht. du brauchst alle Kraft, die verfügbar ist.
Sei herzlich gegrüßt, liebevoll getröstet und fühl Dich sehr verstanden
Deine Dirlis