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Kopf hoch

Hallo zusammen,


vorgestern habe ich hier einen Beitrag gelesen, der mich sehr betroffen gemacht hat. In diesem berichtete eine Angehörige, welche enorme Belastung es sei, sich um ihren an einem Glioblastom erkrankten Mann zu kümmern. Als ebenfalls seit knapp sechs Jahren an einem Glioblastom Erkrankter sah ich in diesem Bericht auch mich selbst und dachte zugleich daran, welche Belastung auch ich für meine Familie, Freunde und Bekannten gewesen sein muss und vermutlich noch heute bin.

Aggressivität, Selbstmitleid, Vergesslichkeit, Todes- und Existenzängste, Mitteilungsbedürfnis etc.: All dies kenne ich von mir selbst. Auch kann ich mich bis heute nicht vollständig alleine versorgen. Ich bin also auf die Hilfe meiner Frau und anderer Personen angewiesen.

Welche Belastung muss es insbesondere für meine Frau sein, sich neben dem Beruf und unseren Kindern auch noch um mich zu kümmern?

Auch gab es für mein Umfeld die Herausforderung des Verarbeitens schwer zu verdauender Situationen. Meine Frau berichtete mir, mit welchen Gefühlen und Ängsten sie zusah, als ich in den Aufzug zum OP geschoben wurde. Sie fragte sich, ob ich wohl lebend oder ggf. mit welchen Hirnschädigungen ich wieder zurück käme. Zweimal forderten sie die Ärzte später auf, Abschied zu nehmen. Ich kann nicht ermessen, welcher Schmerz das gewesen sein muss. All dies weiß ich nur aus späteren Berichten, denn in den jeweiligen Situationen habe ich davon nichts mitbekommen.

Meine Eltern (beide Ende 70) konnten meinem Leiden nur hilflos zusehen. Unermesslich muss ihr Schmerz gewesen sein.

All denen, die gemeinsam mit mir den schweren Weg bis hierher gegangen sind, danke ich von ganzem Herzen für die Unterstützung und das Durchhalten auch in schwierigen und belastenden Momenten!

Dieser Dank gilt sicherlich auch allen anderen Angehörigen. Es gab Zeiten im Verlauf meiner Erkrankung, in denen ich zu sehr mit mir und dem Kampf gegen den Krebs und dessen Folgen beschäftigt war, als dass ich die enorme Belastung, die ich für mein Umfeld war, hätte sehen können, geschweige denn mich für das Durchhalten und die vielfältige Hilfe hätte bedanken können.

Allen viel Kraft und Zuversicht!

Euer
Kopf hoch

P.S.: Die hier im Forum übliche Differenzierung zwischen Betroffenen und Angehörigen finde ich falsch. Denn egal, zu welcher dieser Gruppen jemand gehört, wir sind alle Betroffene dieser Erkrankung!

Mego13

Lieber Kopf Hoch,

mit großem Respekt und viel Beipflichten sitze ich häufig vor Deinen Texten. Diese liebevolle Verneigung vor unseren Angehörigen, Freunden, den anderen "Foris" und den ehrenamtlichen Mitarbeitern kann man nicht häufig genug leisten. Diese Krankheit verändert einen gesamten Familien- und Freundeskreis. Einige Partnerschaften oder Familien zerbrechen auch daran, so habe ich es mittlerweile bei meiner ehemaligen Bettnachbarin erlebt.

Pass gut auf Dich auf.

LG

Mego

Efeu

Lieber Kopf Hoch, liebe Mego,

ja, es trifft es so gut, was ihr schreibt. Es verändert ein gesamtes System, wie ein Mobile: Ein Teil wird anders, und es müssen sich alle verändern, bewegen, damit das Mobile wieder ins Gleichgewicht findet.
Es ist ständige intensive Arbeit, an sich selber, miteinander. Und viel Abschied, für alle. Von sog. Selbstverständlichem, Vertrauten, Liebgewonnenem......
Die Traumata für die, die den Erkrankten begleiten, es muss entsetzlich sein. Dass meine Kinder ihre Mama tagelang dem Tod nahe erleben mussten, tut mir so leid für sie.
Dass 2 Jahre später eine in ihrer Qualität ähnliche Situation 6 Wochen mit einem ihrer Geschwister war.....welche Spuren hat das in ihren Seelen hinterlassen.

Auch ich, Kopf Hoch, kann mich nicht mehr alleine selbst versorgen. Manches fällt mir so verdammt schwer anzunehmen, dass das jetzt ICH bin. Mir war Autonomie immer sehr wichtig, nicht umsonst war ich alleinerziehend die meiste Zeit und beruflich selbständig.


Und wie leben wir alle, dass ich kontinuierlich abbaue, körperlich und psychisch? Was macht das mit meinem Mann? Für meine Enkel bin ich eher ein Phantom als eine Oma, der sie begegnen.
Welche Spuren hinterlässt diese Krankheit, und wie damit leben?

Bewusster leben wir alle, das verbindet uns auch. Es hat deutlicher gemacht, wer wo steht und was er will, es hat wie das Wichtige deutlicher sichtbar gemacht. Es hat alles sichtbarer gemacht.

Familie, Freunde tragen ein Stück des Gepäcks "Tumor" mit, und sie sind raus katapultiert worden aus der sog. Normalität, für immer.
In Abgründe wie diese zu schauen fordert viel, es ist einfach da, ungefragt. Es macht auch stark, wenn man es gemeinsam schafft, den Sturm zu bestehen, ein neues Haus zu bauen.

....Sorry, etwas wirr, aber ich kann grad nicht besser denken, und die Hand zittert so.
Eure Beiträge helfen mir sehr.

LG Efeu

GMT

lieber @ Kopf hoch,

im ersten Moment des Lesens deines Beitrages war ich unendlich traurig -
ein unmittelbar Betroffener dieser schrecklichen Erkrankung, "entschuldigt" sich für Handicaps, die Folge derselben sind …..

Es ist richtig, dass Angehörige im "selben" Boot sitzen und auch ungewöhnlichen Belastungen ausgesetzt sind. Doch wie auch du gelesen hast im Beitrag einer Angehörigen, ist es dort eher die Angst, den Betroffenen zu verlieren und die Unwissenheit & Unsicherheit mit der Erkrankung und deren Folgen umzugehen weil einfach zu wenig echte Informationen und Hilfestellung von Seiten der Fachleute zur Verfügung stehen.
Alles muss man selber in mühevoller Kleinarbeit zusammentragen, nicht umsonst gibt es hier dieses Forum - im Grunde genommen auch eine Art "Selbsthilfegruppe".
Man muss Zeit aufwenden, die man eigentlich viel sinnvoller verwenden könnte und die einem unglaublich viel Energie raubt.....

Fast fühlt man sich als Angehöriger 'beschämt', dass ein Betroffener die starke Persönlichkeit & Charakter hat, sich für seine Erkrankung zu entschuldigen, für die Umstände, die entstehen.....

Wenn Angehörige verzweifeln, was darf dann eigentlich ein Betroffener?

Herzlichen Dank für deine Empathie, höchste Achtung für deine Worte und ich wünsche Dir & ALLEN Betroffenen noch eine möglichst lange und qualitativ gute Lebenszeit mit der größtmöglichen Unterstützung!

Mego13

Liebe Efeu,

es hat mich sehr berührt, was Du schreibst. Besonders Deinen Vergleich mit dem Mobile finde ich sehr treffend. Die Beachtung der engste Freunden bei Deinen Gedankengängen ist auch mehr als erwähnenswert. Ja, auch auf diese hat meine Krankheit spürbar Einfluss, wenn auch bei diesen manchmal positiv. Eine Freundin, die in nächster Zeit wohl eine Führungsposition annehmen wird, hat viel mit mir darüber diskutiert, wie sie gleichzeitig ihren anderen Lebensbereichen gerecht werden kann. Eine andere hat im letzten Jahr ihre Mutter verloren, ist durch ihren Job völlig ausgelaugt. Sie lässt nun aber endlich ihre stetigen Magenschmerzen abklären.
GLG
Mego

Mego13

Liebe GMT,

Sprechen schafft Bewusstheit und Diskussion kann heilsam sein. Ich finde es ungeheuer tröstlich, wie Du als Angehörige schreibst. Ja, es gilt als "moralische Pflicht" seinen kranken Angehörigen zu begleiten, selbstverständlich ist es überhaupt nicht. Vor allen Dingen nicht mit die Liebe und Hingabe, wie ich sie jetzt einmal bei Kopf Hochs, Efeus und auch meiner Familie unterstelle.
Ich hätte gerne jedem meiner Angehörigen das vergangene Jahr erspart. Ich weiß, dass mein Mann nicht mehr gut schlafen kann. Er sehr schnell in Alarmbereitschaft ist, ebenso wie meine Eltern und Schwiegereltern. Diese abscheuliche Krankheit ist der Auslöser dieses Leids, das ist mir kognitiv bewusst. Das Gefühl von Schuld wird für mich stets bleiben. Das Gute daran ist, dass ich meine starken Wegbegleiter daher nicht als Selbstverständlichkeit betrachte.

Liebe Grüße
Mego

GMT

Liebe Mego13,

Zitat: "Ja, es gilt als "moralische Pflicht" seinen kranken Angehörigen zu begleiten, selbstverständlich ist es überhaupt nicht. Vor allen Dingen nicht mit die Liebe und Hingabe, …"

Hm... solche "Denk-Kategorien" erscheinen mir doch etwas fremd obwohl sie gerne benutzt werden. Eine "moralische Pflicht" in Zusammenhang mit "Liebe & Hingabe"?
Der Begriff "Moral" wird leider allzu oft missbraucht und jeder versteht eventuell nur das darunter, was ihm nutzt oder um sich selber zu erhöhen.
"Liebe" - also die echte Liebe - ist bedingungslos und sie IST einfach!
Und ja wer tatsächlich liebt wird selbstverständlich - der Begriff beinhaltet ja, dass von alleine verstanden wird.
Zitat: "Diese abscheuliche Krankheit ist der Auslöser dieses Leids, das ist mir kognitiv bewusst. Das Gefühl von Schuld wird für mich stets bleiben."
Manchmal ist es nicht schlecht wenn man versucht, Verstand & Gefühl auf eine Ebene zu bringen - Gefühle denken & Gedanken fühlen - dann würden sich dieses "ungesunde Gefühle" vielleicht einfach nur in etwas Positives verwandeln - Dankbarkeit für das Leben - was völlig ausreichend ist.
Denn ich bin überzeugt, dass Du für deinen Mann & deine Lieben, die dich jetzt unterstützen genau das Gleiche tun würdest - was will man mehr?

"Schuld / sich schuldig fühlen" setzt eigentlich eine gesunde Selbstreflektion voraus und sollte dazu dienen, etwas an der eigenen Handlungsweise anderen Menschen gegenüber zu ändern, da man bewusst ( oder unerkannt unbewusst) etwas getan hat, was anderen schadete.... und das ist hier eindeutig NICHT der Fall.

Dankbarkeit und das Verstehen, was die Menschen deiner Umgebung für dich tun kann "selbst - verständlich" sein aber genau aus diesem Grund ist es so wertvoll genau wie das Vertrauen in diese Menschen, was immer eine Basis für ein gutes Miteinander - auch und gerade in solchen Situationen sein kann.
Die Missverständnisse und plötzliche Aversionen gegen den Partner - hier der Betroffene & die Angehörigen - resultieren einfach aus der Angst und Unsicherheit, die übermächtig sind.....


Das ist der eigentliche Sinn von Leben!

Mego13

Liebe GMT,

Danke Dir für Deine spannende Rückmeldung und die Anregung. Das mit der "moralischen Pflicht" ist nicht meine Denkweise, deswegen habe ich es auch in Gänsefüßchen gesetzt. Es wird sehr gerne als Klischee und Selbstverständlichkeit genutzt. Damit wird häufig übersehen, was Angehörige täglich leisten. Das weiß ich auch durch meine Arbeit mit Senioren, die an Demenz erkrankt waren oder Kindern, die Entwicklungsverzögerungen zeigten. Andererseits zerbrechen auch Beziehungen an solch schweren Krankheiten. Das erlebe ich gerade bei meiner ehemaligen Bettnachbarin oder eine Bekannte hat in der ersten Krankheitsphase zu mir gesagt: "Also, ich würde lieber sterben, als mich so intensiv um meinen Mann kümmern zu müssen." Damit wollte sie die Leistung meines Mannes hervorheben, ihn hat es allerdings überhaupt nicht erfreut und mich hat es einfach nur schockiert.
Du hast Recht, Dankbarkeit fühle ich. Für meine Liebsten würde ich selbstverständlich das gleiche tun. Im vergangenen Jahr, nachdem meine HIrn-OP gerade eine Woche her war, zeigte sich bei meinem Vater plötzlich eine bedrohliche Blutarmut. Er sollte sofort ins Krankhaus, wollte aber nicht. Wir mussten kämpfen, dass er endlich ging. Danach stand bei ihm ebenfalls der Verdacht auf eine Tumorerkrankung im Raum. Natürlich habe ich mich mit um ihn gekümmert, das stand für mich außer Frage.

Ich gebe Dir völlig Recht, was Deine Überlegungen zum Thema "schuldig fühlen" angehen. Ich würde jeden Deiner Sätze unterstreichen. Ansprechen würde ich es hier im Forum trotzdem immer wieder. Es hat etwas gedauert, bis ich dieses Gefühl meiner Psychoonkologin gegenüber angedeutet habe. Sie empfand es sogar als klassisches Gefühl, was sie häufig bei Tumorerkrankung erlebt. Gleichzeitig noch mit der Annahme wie "man auf solche Gedanken" kommt. Ich glaube, dass uns Offenheit hilft, gewisse Denkweisen zu verarbeiten.

LG
Mego

GMT

Mego13 - Zitat
" Ich glaube, dass uns Offenheit hilft, gewisse Denkweisen zu verarbeiten."

Ja, natürlich auch das - doch zu aller Erst würde ich Ehrlichkeit - besonders sich selbst gegenüber, voraussetzen.....Wer mit sich selber im Reinen ist, weiß, dass weder er noch andere perfekt sind und kann dann tatsächlich ganz offen seine Gefühle und Gedanken äußern ohne Angst oder eben auch sich beleidigt zu fühlen wenn andere, andere Gedanken und Gefühle äußern....das würde vieles einfacher für die Menschen machen ;o))

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