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Thema: Woher kommt die negative Wesensveränderung genau

Woher kommt die negative Wesensveränderung genau
Gaby
06.10.2003 12:30:12
Liebe Forumsteilnehmer,

mich interessiert dafür, woher genau die immer negative Wesensveränderung bei Gehirntumorpatienten kommt. Ist es die totale Unzufriedenheit der Patiente mit der hilflosen und abhängigen Situation oder ist es ein vom Patienten nicht steuerbares Verhalten, das allein durch die Fehlentwicklung im Gehirn zu Stande kommt. Ich frage mich, warum die Wesensveränderung sich durch Beschimpfungen, Überempfindlichkeit, Meckereien ... äußert und nicht durch besonders nettes Verhalten. Es wäre schön, wenn mir das jemand erklären könnte.

Vielen Dank und liebe Grüße
Gaby
Gaby
Jürgen[a]
06.10.2003 12:41:46
Hallo Gaby,

ich weiß nicht woher deine Info kommt, daß man sich immer negativ im Wesen verändert.Meine Umwelt sagt mir schon, daß ich auch eine Wesensveränderung durchgemacht habe aber keine negative.Ich war früher viel ungeduldiger, oft auch mal aufbrausend.Heute sehe ich manches gelassener und endecke Dinge, die sich mir vor meiner Erkrankung verschlossen haben.Ob sich das mit irgendeiner Veränderung im Gehirn erklären läßt glaube ich allerdings nicht, ich denke ich bin einfach auch mit der Erkrankung reifer geworden und der Blick für die schönen Dinge hat sich geschärft.

Gruß

Jürgen
Jürgen[a]
Julia[a]
06.10.2003 13:21:24
Liebe Gaby,

die negative Wesensveränderung habe ich auch bei meinem Freund (GBM IV) festgestellt. Ich denke mal, das der Charakter der gleiche geblieben ist, nur kompensiert sich das ins Extrem. Mein Freund ist schon mal "in die Luft gegangen" und lässt dann seine Wut durch Worte raus. Durch die Krankheit ist es nur einfach verstärkter. Ob es sich dabei um eine psychische oder physische Reaktion handelt weiss ich nicht, vielleicht von beidem etwas.

Was mir jetzt bei ihm aufgefallen ist, er ist sehr ! egoistisch geworden. Er versteht nicht, das Angehörige auch leiden, es interessiert ihn nicht! Man darf kein Verständnis erwarten. Ich glaube schon, das es Ihnen hinterher leid tut, und sie wissen, das sie vielleicht auch ungerecht waren. Aber ich denke auch, es ist eine Form von Wut, warum gerade ich, die da zum Vorschein kommt.

Ich weiss nicht, ob andere auch so denken, aber Deine Fragen haben auch mich sehr interessiert, und ich verstehe wie Du Dich dabei fühlst. Vielleicht konnte ich Dir ja mit meinen Gedanken einen Gedankenanstoss geben :-).

Liebe Grüsse
Julia
Julia[a]
Christine[a]
07.10.2003 15:01:40
Liebe Julia,

mich interessiert, wie es deinem Freund geht!!
Fühlt er sich ansonsten in Ordnung? Traten noch andere Symptome auf?
Seit wann hat er die Erkrankung?

Generell ist es wohl so, dass es darauf ankommt, ob der Tumor in genau der Region des Gehirns gewachsen ist, die z.B. für Aggressivität verantwortlich ist.
Andere Areale des Gehirns sind für andere Symptome verantwortlich.
Wächst der Tumor z.B. in der Region, die für die Motorik relevant ist, so kann dies zu Lähmungserscheinungen fürhen.

Es wäre schön, eine Antwort zu erhalten.

Grüße

Christine
Christine[a]
Andrea[a]
08.10.2003 11:15:37
Hallo Gaby+Julia,
ich freue mich endlich mal einen Eintrag zu diesem Thema im Forum zu finden, bisher hatte ich manchmal den Eindruck entweder alleine mit meinem Mann u. diesem Problem zu sein,oder dass kein anderer Betroffener darüber reden will. Auch bei meinem Mann ist die Wesensveränderung sehr negativ, allerdings sind es immer Dinge, die in seinem Charakter ansatzweise auch vorher vorhanden waren und jetzt mit voller Gewalt hervortreten (seit 06/01 Astro III). Schon bevor wir von der Erkrankung wußten war er so aggressiv, dass ich Angst bekam, er schmiß mit Gegenständen und trat gegen Türen, dies war nach der 1. OP zunächst weg, trat aber später gemäßigter wieder auf. Nun kommt natürlich auch seine Hilflosigkeit der Erkrankung gegenüber dazu, aber er ist sehr passiv, tut selber gar nichts zur Verbesserung seines Zustandes und läßt sich in den letzten Monaten total hängen. Nun beginnt er morgen eine Umschulung und ich setze viel Hoffnung darauf, wichtig ist es ja auch eine Aufgabe zu haben. Ich bin mittlerweile so zermürbt durch die Situation, dass ich mit vielen körperlichen Ausfallerscheinungen zu kämpfen habe. Wie könnt Ihr mit dieser Situation umgehen?

Alles Gute
Andrea
Andrea[a]
Gaby
08.10.2003 15:37:34
Liebe Andrea,

bei meiner Freundin, kommt es erst seit kurzem zu diesen negativen Veränderungen. Sie hat seid über 1 Jahr die Diagnose Glio IV. Es sind inzwischen mehrere neue Tumore dazu gekommen. U. a. einer im Kleinhirn. Dieser wächst sehr schnell und ich denke die Wesensveränderung kommt wohl am ehesten durch diesen Tumor. Außerdem hat sie vor kurzem erfahren, dass keine! Therapie mehr möglich ist und die Ärzte nichts mehr für sie tun können. Ich denke, diese Situation verstärkt, für mich völlig verständlich, das Negativ-Verhalten.
Meine Freundin ist ein Glück bisher nicht, in dem von Dir geschilderten Maße deines Mannes, agressiv. Ich würde sagen, sie schimpft halt über Kleinigkeiten und zickt leider mit den Menschen, die am meisten für sie tun öfter mal rum.
Wie damit umgehen? Ich nehme ihr nichts übel. Finde sie ist, wenn man die Situation bedenkt, immer noch sehr sehr lieb. Sie war früher ein Mensch der immer lieb und nett war. Diese Charaktereigenschaft überwiegt immer noch. Auf jedenfall nehme ich nichts persönlich und würde das auch jedem empfehlen. Der Mensch mit Gehirntumor ist ein anderer, als der den wir vor der Krankheit kannten. Sprich auch mal mit den Ärzten bezüglich Antidepressiva, ich glaube schon, dass man damit die Ausbrüche deines Mannes etwas besser im Zaum halten kann.

Leider können wir nicht heilen, wohl aber verstehen und damit die Würde lassen, bis zum Ende.

Liebe Grüße und viel Kraft
Gaby
Gaby
Andrea[a]
09.10.2003 16:03:30
Liebe Gaby,
vielen Dank für Deine Antwort. Ich sehe die Dinge genauso, auch wenn es meinem Mann rein gesundheitlich natürlich viel besser geht als deiner Freundin und seine lebenserwartung sicher eine andere ist.Es ist nur manches Mal sehr schwer, diese Einstellung auch zu leben, da man selber auch Gefühle hat. Lebst Du mit Deiner Freundin zusammen oder seht Ihr Euch nur ab und zu? Natürlich hat auch mein Mann nicht nur schlechte Momente, manchmal ist er wirklich fast wie früher, aber ganz oft ist er auch wie ein Fremder für mich. Das ist sehr schwierig.
Ich wünsche Dir und Deiner Freundin weiterhin viel Kraft.
Andrea
Andrea[a]
Gaby
09.10.2003 17:25:11
Hallo Andrea,

ich wohne nicht mit meiner Freundin zusammen. Sie lebt mehr als 500 km von mir entfernt mit Ihrer Familie. So dass ich sie nicht so oft besuchen kann. So bin ich je nach Bedarf der Familie mal eine Woche oder ein paar Tage dort und bemühe mich irgendwie nützlich zu sein.

Ich wünsche Dir und Deinem Mann
alles Gute für den weiteren Verlauf!

Gaby
Gaby
Volker[a]
09.10.2003 23:36:05
Liebe Gaby,

was die Wesensveränderung bei hirnorganischen Erkrankungen (Tumore, Schlaganfälle, Blutungen
u.a.) betrifft, so herrscht (wie oft) keine völlige Einigkeit unter den Fachvertretern. Zum Einen spielt
sicher die Lage des Tumors eine Rolle. Veränderungen der Persönlichkeit des Menschen werden
häufig mit Schädigungen im Frontallappen (vordere Rindengebiete) verknüpft, da dort die Funktionen
der Planung und Steuerung des Verhaltens angesiedelt sind. Aber entsprechende Veränderungen
können durchaus auch bei Schädigungen anderer Gebiete auftreten - z.B. im Bereich der
Schläfenlappen oder tiefer gelegener Strukturen (Thalamus, sog. limbisches System) und ihrer
Verbindungen zum Frontalhirn.
Zum Anderen sind die Nervenzellen des Gehirns sehr druckempfindlich und es kann auch schon durch
die Größe eines Tumors (an anderer Stelle im Gehirn), bzw. die damit verbundene Verdrängung
gesunden Gewebes zu Störungen der Hirnfunktionen kommen.

Weshalb die Wesensänderung häufiger negativ, als positiv auffällt hat seine Ursache wahrscheinlich
in dem Umstand, daß die Rindenbezirke in denen die Impulskontrolle abläuft, vorwiegend hemmende
Reize aussenden.
Man kann es sich vereinfacht etwa so vorstellen: Es gibt ein Zentrum für aktives, offensives auch
aggressives Verhalten, das gewissermaßen ständig aktiv ist. Die Rindenbezirke der bewußten
Verhaltenskontrolle üben ständig eine wohldosierte hemmende Wirkung auf dieses Zentrum aus. So
wird unser Verhalten gezügelt und erscheint normalerweise sozial angemessen.
Wenn durch eine Schädigung dieser steuernden Strukturen die Kontrolle vermindert ist, brechen die
ungehemmten (negativen) Verhaltensimpulse durch.
Leider gibt es kein besonderes Zentrum für liebes oder nettes Verhalten, das ist immer ein bewußter
Vorgang der psychische Anstrengung erfordert.
Neben erhöhter Reizbarkeit, Ungeduld u.ä. werden aber auch häufig Veränderungen im Sinne von
zunehmender Abstumpfung und Passivität, also Antriebsverlust berichtet.

In wieweit ein Betroffener bei einer Hirnerkrankung die Kontrolle über sein Verhalten behält, ist
pauschal schwer einzuschätzen. Auf jeden Fall gibt es kein entweder-oder, also ein gewisses Maß
an Kontrolle bleibt sicher bestehen, aber die Schwelle zum Verlust dieser Kontrolle wird niedriger.
In aller Regel wird er also nicht genau so voll verantwortlich für seine negativen Impulse sein, wie ein
hirngesunder Mensch.
Die seelischen Konflikte des Betroffenen, der ja eine lebensbedrohende Veränderung erlebt, werden
selbstverständlich ebenfalls eine Wirkung auf das Verhalten haben. Aber diese sind widerum so
individuell verschieden, wie wir Menschen verschieden sind.

Wenn derjenige bereit und in der Lage ist, einen auf die Betreuung onkologischer Patienten
spezialisierten Psychotherapeuten aufzusuchen - kann er mit entsprechender Hilfe zur (besseren)
Bewältigung dieser Konflikte rechnen. An größeren Krankenhäusern gibt es manchmal solche
Kollegen und die Ärzte onkologischer Praxen arbeiten gelegentlich mit solchen Therapeuten
zusammen, bzw. verfügen über entsprechende Kontaktadressen.
Vielleicht sind ihre Fragen damit teilweise beantowrtet.

Mit freundlichen Grüßen

V.Ramm (Dipl.-Psych./Neuropsychologe)
Volker[a]
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