www.hirntumorhilfe.de
Herzlich willkommen im Forum der Deutschen Hirntumorhilfe!

Thema: Zur Wahrheit verpflichtet?

Zur Wahrheit verpflichtet?
Yvonne[a]
01.09.2004 17:28:42
Ich hab da mal eine Frage. Vielleicht kann mir jemand helfen. Mein Bruder wurde letztens das dritte Mal an einem Astro III operiert. Er bekam danach Temozolomid und Laif. Nach dem ersten Zyklus Temozolomid wurde nach dem MRT festgestellt, dass es nicht angeschlagen hat. Sein Arzt gab ihm noch ein halbes Jahr und sah keine Chance, dass die Chemo doch noch anschlägt. Das wäre ein medizinisches Wunder. Dies sagten sie aber nicht meinem Bruder, sondern nur meiner Familie. Ihm sagten sie, es läuft alles nicht so, wie erwartet. Jetzt nach dem dritten Zyklus Temozolomid wurde ein neues MRT gemacht und schon der Radiologe hat meinem Bruder nun gesagt, es ist alles in Ordnung, das Temozolomid hat angeschlagen. Nun meine Frage. Ist der Radiologe bzw. sind die Ärzte verpflichtet, dem Patienten die Wahrheit zu sagen? Wir haben nun Angst, dass der Radiologe dies nur gesagt, um meinen Bruder nicht zu beunruhigen. Viele Grüße - Yvonne




62.169.3.78 01.09.2004 16:03:17
Yvonne[a]
Nordlicht[a]
01.09.2004 21:36:51
Darf man mal fragen, wie alt Dein Bruder ist?
Wer hat den bislang entschieden, was er zu wissen ekommt und warum?
Lieben Gruss, martina
Nordlicht[a]
Wolfgang[a]
01.09.2004 23:39:10
Hallo Yvonne,

also zuerst kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Arzt nach einem Zyklus Temozolomid das Scheitern der Therapie feststellt. Dazu bedarf es einer längeren Frist, um dies beurteilen zu können. Zweitens frage ich mich wie der Arzt auf 6 Monate Lebenserwartung kommt, falls er es gesagt hat? Und drittens bin ich überrascht, wenn 1. und 2. stimmen soll, dass der Radiologe eine andere Meinung hat und sagt, die Chemo spreche an.

Was ist denn nun wahr?

Wie geht es deinem Bruder physisch und psychisch? Wenn der Allgemeinzustand besser geworden oder stabil ist, dann ist das doch gut. Hat jemand den Bericht des Radiologen gesehen und gelesen bzw. mit dem Radiologen den Bericht besprochen oder ist das "nur so dahingesagt" und nicht überprüft worden?

So und jetzt zum Thema "Zur Wahrheit verpflichtet". Was ist die Wahrheit in diesem Fall? Ich sehe nur lauter Fragezeichen.

Grundsätzlich sehe ich es so: Wenn euer Bruder die Ärzte nach Auskunft über seinen Gesundheitszustand befragt, hat er Anspruch auf die Kenntnis der Ärzte. Wer falsche Auskunft erteilt, kann zur Rechenschaft gezogen werden. Darüber hinaus sollten die Ärzte den Patienten als mündig begreifen und über ihre Situation aufklären. Aber immer auch in Verantwortung für das Wohl des Patienten. D.h. auch Rücksichtnahme, wo Rücksicht erforderlich ist! Direktheit, wo Direktheit erwünscht ist.

Mir kommt es auch ein bißchen so vor wie wenn die Ärzte die Aufgabe "Überbringer einer schlechten Nachricht" zu sein übernehmen sollen. Das kann grundsätzlich auch ein auskunftsberechtigter Angehöriger.

Übrigens, viele schwerkranke Menschen wissen selbst, obwohl es vielleicht nicht ausgesprochen wird, dass ihr Zustand ernst ist. Mindestens solange kein Koma eingetreten ist und man ansprechbar ist, kriegt man alles mit. Da braucht es keinen der einem ins Gesicht sagt "sie werden bald sterben".

Gruß

Wolfgang

PS.: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Es hat schon viele Totgesagte gegeben, die wieder aufgestanden sind. Vielleicht solltet ihr eurem Bruder mehr beistehen und Mut machen. Wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft hat schon verloren.
Wolfgang[a]
Gabriele[a]
02.09.2004 21:39:49
Hallo Yvonne,

ihr solltet Euch, wenn nicht geschehen beim Radiologen die Bilder (wir haben diese immer dreifach beantragt) und seinen Bericht mitgeben lassen. Auch mit wenig bis gar keinen Kenntnissen kann man aus dem Bericht lesen ob dieser einen Progress festgestellt hat. Zudem kann man mit ein bisschen Erfahrung sehr gut selber die Bilder beurteilen. Lasst Sie Euch doch vom Radiologen oder einem mitbehandelnden Onkologen etc. erklären. Du kannst die Bilder auch z.B. an Dr. Dresemann am Franz Hospital in Dülmen senden. Wenn ihr könnt (wollt) auch einen Termin dort ausmachen. Er ist unheimlich kooperativ, wird Euch die Bilder erklären und worauf zu achten ist und er sagt immer die volle Wahrheit, auch wenn sie bitter ist und macht gleichzeitig sehr viel Mut, da er auch sehr viele bereits austherapierte Patienten manchmal noch monate- oder jahrelang mit Erfolg therapiert. Mein Mann gehörte dazu. Wir haben die Behandlung über Jahre (auch Astro III später GBM) über eine Distanz von 520 Km bestens koordiniert.

Viel Erfolg

Gabriele
Gabriele[a]
Yvonne[a]
06.09.2004 12:28:33
Erst einmal vielen Dank für Eure Antworten. Mein Bruder wird im November 43 Jahre alt. Er ist alleinerziehender Vater eines 15-jährigen Sohnes, den zurzeit unsere Eltern betreuen. Er wurde im Mai von Prof. Vogel in Berlin zum dritten Mal operiert und dann in eine Rehaklinik (Medianklinik) eingewiesen. Dieser Chefarzt dort in der Klinik hat schon vor der Operation gesagt, dass es alles nicht so gut aussieht und er gegen eine Operation sei. Er wollte ihn sozusagen sterben lassen. Das alles haben wir meinem Bruder nicht erzählt, zumal Prof. Vogel uns allen Hoffnung gemacht hat. Durch die OP hat er eine linksseitige Parese, die aber auf gar keinen Fall irreparabel ist. Mein Bruder ist ein Kämpfer und jetzt nach einem Viertel Jahr kann er schon wieder ein paar Schritte tun. Trotz allem meinten seine Reha-Ärzte, es gehe bergab und es hätte alles keinen Sinn, zumal der erste Zyklos Temozolomid-Chemo nicht anschlug. Seinen trotz allem besser werdenden Zustand schieben sie auf die erneute Gabe von Kortison. Sie wollten sogar die Chemo und auch Laif (wie von Prof. Vogel verordnet) absetzen, weil sie wie gesagt nur noch eine Lebenszeit von höchstens einem Jahr prophezeit haben. Prof. Vogel bestand aber darauf, weiter Temozomid und Laif zu verordnen und wenn das nicht anschlägt, wollte er mit Thalidomid weitermachen. Meine Eltern und ich haben lange überlegt und haben vorerst beschlossen, ihm nicht die volle Wahrheit zu sagen, da uns der Prof. noch Hoffnung gemacht hat. Außerdem hat mein Bruder abgesehen von seiner Erkrankung eine sehr schwere Zeit hinter sich. Seine Frau hat ihn kurz nach der zweiten OP verlassen, weil sie mit seiner Krankheit nicht klarkommt. Sie hat die gemeinsame Tochter mitgenommen. Sein Sohn wollte bei ihm bleiben. Die Scheidung ist nun durch, aber sie gibt kein Ruhe und verlangt dies und das und verweigert ihm seine Tochter. Das ist alles zusätzlich sehr schwer für ihn und wir versuchen, all diese Sachen so weit es geht von ihm fern zu halten, zumindest so lange er noch in der Klinik ist. Nun scheint aber auch unsere Hoffnung bestätigt worden sein. Zum Zustand meines Bruder ist zu sagen, dass er hervorragend ist und von Woche zu Woche besser zu werden scheint. Er ist wie gesagt ein Kämpfer und steht immer wieder auf. Der Radiologe hat bisher immer, wenn das MRT gemacht wurde, gleich gesagt, ob es gut aussieht oder weniger gut. Hat aber gleichzeitig immer betont, näheres erfahre er bei der Auswertung. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Radiologe die Unwahrheit sagt.
Yvonne[a]
NACH OBEN