Hallo nane98,
das kenne ich: „Operation gelungen, Patient so lala…“
Ich hatte mir auch eine Zyste entfernen lassen. Die war bereits 10 Jahre bekannt, aber nach Raumforderung bestand Verdacht auf ein niedrig malignes Astrozytom.
Nach der OP sagte der Chirurg: “Das bin ich gar nicht gewohnt, so gute Nachrichten zu überbringen. Ich habe es komplett entfernt, die OP ist gut verlaufen und das Gewebe ist nicht bösartig.“. Im Entlassungsbrief stand sogar, dass die Epilepsie geheilt sein könnte. Nach 2 Jahren ohne Anfälle könne man versuchen, die Antiepileptika abzusetzen. Dazu kam dann noch ein Tippfehler im Entlassungsbrief beim Dexamethason (wurde 4 Wochen auf sehr hohem Niveau gegeben, obwohl es sofort ausgeschlichen werden sollte), so dass ich wochenlang total euphorisch war (und dick und schlaflos und weitere Nebenwirkungen) – ich war der festen Überzeugung, alles ist gut.
Die OP ist jetzt 8 Jahre her. Ich kämpfe seitdem, bzw. seit dem Absetzen des Dexamethasons, vor allem mit Fatigue und einer Latte weiterer Problematiken. Unter anderem auch extreme Geräuschempfindlichkeit (insbesondere Krankenhausgeräusche) und Problemen mit Reizüberflutung. Geburtstag feiere ich auch nur noch „in kleinen Portionen“ mit maximal 2 Personen.
Ich war immer der festen Überzeugung, dass ich ja eigentlich gesund bin – hoffte darauf, zumindest etwas mehr als halbtags arbeiten zu können. Ich bin selbstständig, liebe meinen Beruf und habe nach der OP versucht, die Arbeit langsam zu steigern. Nach der Arbeit – und sei es auch nur eine Stunde gewesen – war ich wahnsinnig erschöpft. Die meiste Zeit habe ich geschlafen. Einzelne Tage habe ich ganztags gearbeitet – der Körper hat das mitgemacht und ich hatte viel Freude – aber danach lag ich stundenlang bewegungslos auf dem Sofa. Konnte mir nicht die Nase jucken und nicht auf Toilette gehen. Und die nächsten Tage war ich kaum in der Lage, irgendetwas zu machen.
Nach fünf Monaten habe ich in einem Monat 60 Stunden gearbeitet. Das Ergebnis: Drei Grand Male Anfälle in einer Woche (in den 10 Jahren davor konnte man meine Grand Male Anfälle an einer Hand abzählen). Neurologin notiert: „ Antiepileptika für immer!“. Neuroradiologe sagt: „Sie haben jetzt halt eine Narbe“.
Meine Erschöpfung und Antriebslosigkeit wurden von Neurologin und Hausärztin als Depression gesehen. Eine Behandlung brachte nichts. Nach 3 Jahren sah ich ein, dass ich Berufsunfähigkeitsrente beantragen muss. Der Supergau für mich. Ich hatte überhaupt nicht vor, in Rente zu gehen. Ich liebe meinen Beruf, und wollte auch mit 80 noch arbeiten. In den Arztfragebögen wurde gefragt, was bisher getan wurde und welche Therapien geplant seien. Plötzlich empfahlen mir meine Ärzte eine ReHa. Und hier hörte ich zum ersten mal, dass ich es langsam angehen sollte.
Der Gutachter der Versicherung wunderte sich, warum diagnostisch und therapeutisch so wenig unternommen worden war. Seitdem recherchiere ich selbst – weiß inzwischen, dass ich Fatigue habe. Aber an Fatigue denken die Ärzte nicht so leicht – insbesondere wenn man weder Krebs noch MS noch eine andere Krankheit hat, die damit schon eher in Verbindung gebracht wird.
Kurz vor ihrer Rente hat meine Neurologin dann in einem Antrag auf Erhöhung des Grades der Behinderung (zuvor 30 wegen Epilepsie) geschrieben, dass die starke Antriebslosigkeit vermutlich hirnorganische Ursachen habe, da eine Behandlung einer Depression nicht angeschlagen habe. Ich habe jetzt den Grad 50.
Dass es so etwas wie eine AHB gibt, habe ich erst vor kurzem hier erfahren. Ich glaube, das wäre sehr gut gewesen. Alleine mal gesagt bekommen, dass das ein sehr schwerer Eingriff war und es seine Zeit braucht. Und gegebenenfalls auch, dass man trotz „erfolgreicher Operation“ eventuell nicht mehr wie früher werden wird. Eventuell hätte man in der Anfangszeit sogar der Fatigue entgegenwirken können.
Das Schlimme: Die Belastbarkeit nimmt immer weiter ab. Immer weniger reicht schon aus, mich derart zu erschöpfen, dass ich mich nur noch zu einer Sitzgelegenheit schleppen kann, um eine Pause zu machen. Andererseits fühle ich mich insbesondere vormittags oft gesund. Mit Glück kann ich auch recht normal Dinge machen. Mit Pech hält das nur wenige Minuten an. Wenn ich unter Leuten bin, halte ich 1-2 Stunden so durch, dass meine Einschränkungen kaum auffallen. Die Quittung mit Erschöpfung bekomme ich erst im Anschluss – gegebenenfalls über Tage. Im Haushalt kann ich nur sporadisch helfen – Pflegegrad 1 wurde problemlos von der Krankenkasse bewilligt. Arbeiten kann ich noch ca 2-3 Stunden – im Monat. Und ich mache mir natürlich Gedanken darüber, wo das enden soll. Nach starker Überlastung erreiche ich oft mein altes Leistungsniveau nicht mehr. Ich habe gelernt, meine Aktivitäten abzubrechen, wenn ich merke, dass es kritisch wird. Das Problem ist, dass durch einen Rechtsstreit mit meiner Berufsunfähigkeitsversicherung meine Belastungsgrenze regelmäßig überschritten wird und meiner Abwärtstendenz starke Impulse gibt.
Tröstlich: Laut Gutachten ist meine Intelligenz vorhanden. Somit bin ich in guten Phasen in der Lage, solche Texte zu schreiben – ohne dem wäre ich gegen meine Berufsunfähigkeit völlig chancenlos. Außerdem bin ich rein körperlich nicht eingeschränkt und mit einer großen Portion Coffeindoping sowie Motivation durch meinen Mann kann ich regelmäßig Sport machen – solange ich dabei nicht denken muss (Spielstand merken geht z. B. nicht).
Was ich damit sagen möchte, nane98: Sei achtsam mit Dir. Pass auf dich auf und gib Dir Zeit. Mir ist natürlich klar, dass finanzielle Zwänge das schwer machen können – aber Gesundheit ist unbezahlbar.