Toni[a]
Total verkopft
Sie haben keine Angst vor der Wahrheit. Aber zum Arzt gehen Sie auf keinen Fall. Denn hinter Ihren tosenden Kopfschmerzen kann nur ein unheilbarer Gehirntumor stecken. Das spüren Sie instinktiv. Es hämmert gegen die Schädeldecke, spannt Ihre Schläfen ein wie ein Schraubstock. Sie können vor Schmerzen die Lider kaum heben, ein Ende der Qualen ist nicht in Sicht. Lebensverlängernde Maßnahmen lehnen Sie ab. Wenn schon sterben, dann lieber schnell. Jetzt wollen Sie also den Grabschmuck bestellen. Aber der wird nicht zum Einsatz kommen. Sie haben Kopfweh. Und das ist nicht schlimm.
DIAGNOSE: Es gibt etwa 300 Arten von Kopfschmerzen. Chronisch ist nur, was an mehr als 180 Tagen jährlich im Oberstübchen wütet. Spannungs-Kopfschmerz und Migräne kommen dabei am häufigsten vor. Erstere kennzeichnet ein dumpfer, beidseitig drückender Schmerz, oft begleitet von Kälte und Schwindel. Migräne tyrannisiert nur von einer Seite, pulsiert und schickt gern Vorboten voraus: Licht- und Geräusch-Empfindlichkeit, Heißhunger, Übelkeit sowie Gereiztheit. 22,5 Millionen Deutsche haben chronisch oder episodisch Kopfweh, viele teilen die Tumortheorie. Aber in den allermeisten Fällen liegt keine ernste Erkrankung vor.
BEHANDLUNG: Bettruhe statt Grabesstille heißt die Devise. Oft sind Kopfschmerzen nur ein Symptom von Verspannung. Schläfenmassagen mit Pfefferminz-Öl und Kühlbeutel reichen meist zur Genesung. Das erweitert die Blutgefäße, und wo sich nichts staut, kann auch nichts pochen. Schmerztabletten sind zwar hilfreich, können Kopfschmerz aber auch provozieren. Besser ist ein doppelter Espresso mit einem Schuss Zitrone. Verzichten Sie auf Schokolade und Käse. Das Phenylethylamin darin steht als Auslöser im Verdacht, ebenso Nitrit in gepökeltem Fleisch. Eiscreme und Sex sind vorerst tabu - das eine zu kalt, das andere zu heiß und obendrein zu anstrengend. Statt gerbstoffreichem Rotwein lieber Rosmarintee trinken. Keine Zigaretten! Nikotin geht immer aufs Hirn!
PROPHYLAXE: Kopfweh besiegen, heißt, die Auslöser kennen. Führen Sie Schmerztagebuch. Was Ihren Pseudotumor füttert, ob Lebensmittel, Stress oder Ihre Körperhaltung, finden Sie dann bald heraus. Ist Muskelverspannung der Grund, hilft Yoga oder leichte Gymnastik. Oft kommt der Schmerz aber erst bei Entspannung, vornehmlich am Wochenende. Da hilft: dauerhaft Stress vermeiden und den Schlafrhythmus auch an freien Tagen beibehalten. Falls Sie lieber Chemie einnehmen: Die Wirkstoffe Acetylsalicysäure, Ibuprofen und Paracetamol schlagen bei jedem anders an. Migräne-Patienten sollten Ärzte nicht scheuen. Die haben rezeptpflichtige Medikamente auf Lager.
Jetzt können Sie also weiterleben. Es sei denn, es tut heftig im Hinterkopf weh. Das kann das Startsignal für eine Subarachnoidalblutung sein. An der stirbt jeder Zehnte, bevor er das Krankenhaus erreicht. Aber lebensverlängernde Maßnahmen haben Sie dann nicht zu fürchten!
Einen kühlen Kopf wünscht Ihre Schwester Alpha!
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Dokument erstellt am 31.08.2001 um 21:29:32 Uhr
Erscheinungsdatum 01.09.2001